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Enkelin eines jüdischen Textilhändlers aus Odessa, Schwägerin des späteren Hitler-Attentäters, Flugpionierin, tragische Himmelsstürmerin – Melitta von Stauffenberg lebte gefährlich und stets am Limit.
Ihre Liebe zum feingeistigen Althistoriker Alexander von Stauffenberg war genauso bedingungslos wie ihre Hingabe an die Fliegerei, die ihr am Ende zum Verhängnis wird. Thomas Medicus beschreibt auf der Grundlage bisher unbekannter Quellen dieses ebenso faszinierende wie radikale Leben. Ein einzigartiges Frauenschicksal – und ein dramatisches Kapitel deutscher Geschichte.

 

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Autor: Thomas Medicus
Verlag: Rowohlt Verlag
Erschienen: 9. März 2012
ISBN: 978-3871346491
Seitenzahl: 416 Seiten

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Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Melitta Schenk von Stauffenberg, geb. Schiller, lebte ein Leben, das viele fasziniert. Sie studierte Technische Physik und arbeitete als Ingenieurin und Wissenschaftlerin in der Luftfahrtforschung, zunächst zivil, später dann im Auftrag des Militärs. Nebenbei machte sie alle Flugscheine, die zur damaligen Zeit möglich waren und erhielt als zweite Frau nach Hanna Reitsch den Ehrentitel "Flugkapitän". Als Testpilotin führte sie ihre eigenen Flugversuche durch und wertete sie aus. Dabei kam sie auf über mehr als 2000 Sturzflüge mit Sturzkampfbombern - eine sehr ungewöhnliche Anzahl. Verheiratet war sie mit Alexander Schenk von Stauffenberg, einem Bruder Claus von Stauffenbergs. Als "Halbjüdin" hatte sie einen besonders schweren Stand während der Zeit der Herrschaft der Nationalsozialisten. Ihre "Gleichstellung mit Deutschblütigen" bewahrte sie und ihre Familie vor der Verfolgung. Nach dem Attentat auf Hitler im Juni 1944 kam sie allerdings vorübergehend in Sippenhaft, aus der sie wegen ihrer kriegswichtigen Tätigkeit aber wieder entlassen wurde. Inwieweit sie in die Attentatspläne vom 20. Juli 1944 eingeweiht war, lässt sich nicht hundertprozentig sagen. Die Historiker Gerhard Bracke und Peter Hoffmann sagen "Ja", Medicus sagt "Nein".

Das Ziel des Autors ist es zu beweisen, dass seine These stimmt. Er wirft anderen Autoren vor, keine stichhaltigen Beweise vorlegen zu können und nur Behauptungen aufzustellen. Leider bleibt auch er diese schuldig. Und er schreckt in diesem Zusammenhang auch nicht vor Geschichtsklitterung zurück, wenn er die Meinung vertritt, dass Frauen im „militärischen“ Widerstand um die Brüder Stauffenberg keine Rolle spielten (S.12/13). Er unterschlägt gleich deren drei: Elisabeth Charlotte Gloeden, Elisabeth Kuznitzky, Margarethe von Oven. Mit  dieser Auslassung untermauert er seine Behauptung, Melitta von Stauffenberg wäre nicht involviert gewesen, da keine Frau zu diesem Kreis gehört habe. Leider wusste ich bis zu diesem Buch nichts über Frau v. Stauffenberg, so dass ich nicht beurteilen kann, ob es noch mehr solcher Unterschlagungen gibt, die vom Autor vorgenommen werden, um seine eigene These zu stützen.

Die weitere Lektüre gestaltet sich zunehmend schwierig. Zum einem erhält man sehr wenig Informationen über die Porträtierte selbst, dafür aber eine Überfülle an historischem Hintergrund, zumal er sich auch immer wieder in Nebensächlichkeiten verliert. Zum anderen ermüden Stil und Sprache. L'Art pour l'art passt hier einfach nicht, auch nicht, wenn es als Gegensatz zu Melitta von Stauffenbergs nüchterner beruflicher Umgebung gedacht sein sollte. Außerdem widerspricht er sich häufig selbst. Er macht eine Feststellung, nur um kurz darauf seine Aussage(n) zu widerrufen. Als Beispiel die Beschreibung eines privaten Fotos: auf Seite 156 schreibt er dazu: " .. eine Fotografie, die Melitta im Sommerkleid an ihrem Schreibtisch (...) schemenhaft erkennen lässt". Wenige Zeilen später ergeht er sich in folgenden Sätzen zum gleichen Bild:  "Von der funktionalen Sachlichkeit moderner Aviatik findet sich nicht die geringste Spur. Die Einrichtung ist schlicht, fast bieder, dennoch rankt es vegetativ-ornamental auf Teppich, Rock und Bluse, windet sich an der Zimmerwand empor, erblüht in Vasen, krümmt sich animalisch raubkatzenhaft als Tisch- und Hockerbein". Dabei trifft "schemenhaft" zu, denn das Schwarzweiß-Bild ist relativ unscharf. Keinesfalls erkennt man Blumenranken auf ihrer Kleidung oder auf der Wand.

Es gelingt ihm leider auch nicht, ein Bild der Porträtierten zu malen, dem man folgen könnte. Das liegt auch daran, dass es scheinbar wenig Quellenmaterial zu ihrer Person gibt. Allerdings fällt es dem Autor auch schwer, sich in sie einzufühlen und auch nur ansatzweise zu verstehen. Wer sie war, wie sie dachte und fühlte, muss man sich aus spärlichen Zitaten aus den Briefen ihrer Geschwister zusammensuchen. Diese vermitteln das Bild einer hochintelligenten, ernsten, selbstbestimmten und sensiblen Frau, die gar nicht auf die Idee kam, dass sie anders sein könnte als andere. Diesen Ansichten kann er sich nicht anschließen und interpretiert ihr Verhalten häufig gegensätzlich – aus begabt wird karrieresüchtig, aus sensibel nervös oder sturzflugsüchtig. Überhaupt drängt sich schnell der Eindruck auf, dass er Melitta von Stauffenberg nicht leiden kann. Er lässt kaum eine Gelegenheit aus ihre Reputation in Zweifel zu ziehen. Selbst ihre aufopfernde und fast selbstzerstörerische Fürsorge für die Sippenhäftlinge des 20. Juli, die von diesen bezeugt wird, zieht er ins Negative, weil sie sich angeblich nur um Freunde und Verwandte kümmerte. Woher weiß er das? Und wenn ja, ist dies verwerflich?
Auch Menschen, die ihr nahestanden, oder denen sie mehr oder weniger zufällig begegnete, verschont er bis auf Nina von Stauffenberg nicht. Die Integrität und Glaubwürdigkeit von Zeitzeugen zieht er in entwürdigender Weise in Zweifel. Die Danksagungen an die Nachkommen der Familien Schiller und Stauffenberg (für die vertrauensvolle Öffnung ihrer Archive) wirken da fast wie Hohn. Nebenbei wird auch Marion Gräfin Dönhoff für ihr Engagement für die Männer und Frauen des 20.Juli 1944 gerügt. All dies dient einzig und allein dem Ziel, seine These als einzig zulässige darzustellen. Aber warum auf diese Weise? Weil es zuwenig tragfähige Beweise für seine These gibt?

Es ist wichtig, dass ein Biograph den Porträtierten in seiner Zeit verortet, um ihn, seine Handlungen und Denkweisen verstehen zu können; es sollte sich dabei aber kein Missverhältnis wie hier ergeben. Der historische und gesellschaftliche Hintergrund wird ausführlich betrachtet; fast völlig fehlen in seiner Darstellung dagegen der Stand der Wissenschaft zu dieser Zeit und die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen. Technische Details zu ihrer Tätigkeit werden nicht genannt. Für Laien ist es fast unmöglich zu verstehen und zu bewerten, was genau sie erforscht hat. War sie wirklich nur Mittelmaß, wie Medicus behauptet, oder hat die Ingenieur-Pilotin nicht doch Hervorragendes geleistet? Schließlich wurde sie ja aus der Sippenhaft entlassen, weil ihre Tätigkeit kriegswichtig war. Wieso war sie das? All das erfährt man nicht. Auch nicht, wie sie und ihre Familie es verkrafteten zu wissen, dass sie jederzeit die Gunst der Nazis verlieren und in ein KZ deportiert werden könnten. So viele Menschenleben hingen von ihrem Sonderstatus ab.

Nach der Lektüre dieses Buches habe ich mich gefragt, mit wem der Autor einen Strauß auszufechten hat. Was nimmt der Autor Melitta von Stauffenberg oder anderen übel? Ich finde darauf keine Antwort. Ich gestehe Medicus zu, dass er wirklich nur die Absicht hatte, ihrer Heroisierung entgegenzutreten, die seiner Meinung nach zu Mythen und Legenden über sie geführt haben. Er wollte die wahre Frau dem Leser nahebringen, aber irgendwann ist ihm diese Biographie wohl entglitten. So bleibt ein sehr fader Geschmack zurück.


Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch verfügt über Fadenheftung und ein graues Lesebändchen. Passend dazu ist es grau eingebunden, mit silberner Schrift auf dem Buchrücken. Das Cover zeigt ein schwarzweißes Foto von Melitta von Stauffenberg in den zwanziger Jahren. Etliche private Fotos, von ihr und ihrer Familie, geben Einblick in ihr Leben. Es gibt aber auch offizielle Aufnahmen, die sie als Pilotin zeigen. Darüber hinaus wurden noch einige Fotos zu historischen Gebäuden und Ereignissen (z.B. das Attentat auf Hitler) in den Text eingefügt. Insgesamt 36 Seiten Anmerkungen, mehrere Seiten Literaturhinweise und ein Personenregister vervollständigen das Buch.


Fazit
Eine Biographie, die so unfair mit dem von ihr porträtierten Menschen umgeht, sollte man nicht kaufen.


1 Stern


Hinweise

Dieses Buch kaufen bei: amazon.de alt

Wer mehr über die militärisch-wissenschaftliche Arbeit von Melitta von Stauffenberg erfahren möchte, kann sich hier informieren.

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