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Kategorie: Interviews mit Autoren


Hallo Herr Meyer. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben.

Sie haben rund 50 Bücher veröffentlicht die in 28 Sprachen übersetzt wurden, die weltweite Auflage beträgt mehrere Millionen Exemplare. Beachtlich! Doch wie fing alles an? Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Ich habe als Teenager eine Menge Kurzgeschichten geschrieben – oder besser: begonnen -, zu Anfang meist mehr oder minder basierend auf dem, was ich selbst gern gelesen oder im Kino gesehen habe. Meine allererste Geschichte, mit elf, war mehr oder minder vom „Herrn der Ringe“ abgeschaut, danach habe ich mich an einer ganzen Menge Fortsetzungen von Filmen versucht – heute würde man das Fan-Fiction nennen. Ich habe mal „Das Imperium schlägt zurück“ fortgesetzt (das war vor „Rückkehr der Jedi-Ritter“), aber auch obskurere Sachen wie „Der Zauberbogen“. Mit den Jahren wurden dann eigene Ideen und Plots daraus.


Was fasziniert Sie am Schreiben?

Anderen Menschen Bilder in den Kopf zu pflanzen, die es dort vorher nicht gegeben hat – in der Hoffnung, dass sie sich festsetzen und auch nach Jahren mal wieder zum Vorschein kommen. Das war vor allem der Grund für mich, die ersten Kinder- und Jugendbücher zu schreiben. Erfahrungsgemäß sind ja die Bücher, die wir in unserer Kindheit lesen, diejenigen, an die wir uns am längsten erinnern können und die uns am meisten beeinflussen.


Was war es für ein Gefühl, als Sie das erste Mal Ihr eigenes Buch gedruckt in den Händen gehalten haben?

Eine Mischung aus Stolz und Schrecken: Mein erstes Buch war ein True-Crime-Roman, und auf dem Foto war ein Zeitungsausschnitt über das Mordopfer abgedruckt. Man hatte mir versprochen, den Namen – wie im Buch selbst – zu verändern oder zu blenden. Stattdessen war er auf dem Cover deutlich zu lesen. Prompt gab das Ärger mit dem Weißen Ring, einer Opferschutzorganisation.


Wie ist es heute, nach so vielen veröffentlichten Romanen? Ist es immer noch ein so unglaubliches Gefühl, die eigenen Worte zwischen zwei Buchdeckeln zu sehen, oder hat sich vielmehr Routine eingeschlichen?

Routine nicht, es ist schon noch spannend. Bei den Trilogien allerdings nur beim ersten Band, beim zweiten und dritten legt sich das aus irgendwelchen Gründen. Dabei sind das ja ebenso neue Bücher wie Band 1, aber in meinem Kopf scheint es da ein Signal zu geben: Mit dem ersten Teil wurde die Geschichte auf die Welt losgelassen und damit ist alles in Ordnung.


Das Cover eines Buches ist ein wichtiger Bestandteil der Vermarktung. Inwiefern können Sie bei der Gestaltung Ihrer Bücher mitwirken? Welches Ihrer Buch-Cover gefällt Ihnen am besten?

Ich mische mich immer ein, mittlerweile mehr und mehr mit Erfolg. Ich hatte früher, vor allem bei Heyne, eine Menge ganz grässlicher Cover – der Tiefpunkt war das Hardcover von „Die Unsterbliche“ -, aber heute beziehen mich die Verlage ein. Favoriten? „Arkadien erwacht“. „Die Fließende Königin“. Einige der internationalen Ausgaben sind auch sehr hübsch.


Wie bereits erwähnt, werden Ihre Bücher in viele Sprachen übersetzt. Über welche Übersetzung haben Sie sich am meisten gefreut? Welche Sprache empfanden Sie hierbei am ungewöhnlichsten?

Am meisten gefreut habe ich mich sicher über die amerikanischen und britischen Ausgaben (das sind übrigens zwei vollkommen unterschiedliche Übersetzungen), vor allem, weil ja doch sehr wenig deutsche Literatur ins Englische übersetzt wird. Ich bin nicht sicher, ob es „ungewöhnliche“ Sprachen gibt, aber in manchen Ländern wundert man sich über die merkwürdige Aufmachung. In Ungarn oder einigen der baltischen Republiken gibt es Cover, die für unseren Geschmack jenseits von Gut und Böse sind.


Haben Sie auch schon die eine oder andere Übersetzung gelesen?

Nur Teile der englischen. Die britische Übersetzung von Anthea Bell wurde in England als bestes übersetztes Kinderbuch 2005/2006 ausgezeichnet, das sagt ja schon einiges über die Qualität aus. Anthea Bell ist dort eine der gefragtesten Übersetzerinnen überhaupt. Sie ist eine ganz reizende ältere Dame, Mitte Siebzig, und sie arbeitet in mehreren Sprachen. Sie hat Freud ins Englische übertragen, ist aber auch die langjährige „Asterix“- und Cornelia-Funke-Übersetzerin.


Wo im Ausland haben Sie Ihrer Einschätzung nach die meisten Fans?

In Japan, vermute ich. Dort sind bislang eine halbe Million meiner Bücher verkauft worden.


Sie gelten als moderner Vertreter des magischen Realismus, da in Ihren Büchern Wirklichkeit, Träume und Phantastik in einem engen Verhältnis zueinander stehen. Wie sind Sie darauf gekommen, historische Personen und Ereignisse mit phantastischen Elementen aus der Welt der Mythen, Märchen und Sagen miteinander zu verbinden?

Anfang der Neunziger erklärten mir die Verlage, Phantastik aus Deutschland wollten sie nicht haben – mit Ausnahme von Wolfgang Hohlbein -, worauf ich ihnen anbot, historische Romane zu schreiben. Gar nicht so sehr, weil mich Geschichte interessierte, sondern weil ich immer ein Fan von Mantel-und-Degen-Filmen und vor allem der alten ZDF-Adventsvierteiler war. Etwas in der Art wollte ich schreiben, und so kam „Die Geisterseher“ zustande. Und so lange die Verlage „Historischer Roman“ auf den Umschlag schreiben konnten, hatte ich freie Hand mit phantastischen Elementen. Also vermischte ich beides immer stärker, was ich ohnehin viel reizvoller finde als eine vollständig ausgedachte Fantasywelt.


Erst kürzlich ist Ihr neuestes Werk, „Wunschkrieg“, der zweite Band der Sturmkönige-Trilogie, erschienen. Worum geht es in diesem Buch?

„Die Sturmkönige“ ist eine orientalische, epische Fantasy-Trilogie. Ich habe mir die Atmosphäre und einige Elemente von „Tausendundeine Nacht“ ausgeliehen, aber nicht die Figuren – ich wollte keinen Sindbad- oder Ali-Baba-Roman schreiben. Es gibt Luftschlachten auf fliegenden Teppichen, ganze Armeen von Dschinnen, versunkene Städte in der tiefen Wüste und eine kleine Flasche mit ziemlich großem Innenleben.


Wie sind Sie auf die Idee zu dieser Trilogie gekommen? Gerade dass die Geschichte ein orientalisches Setting hat ist alles andere als alltäglich im Fantasy-Genre …

Eben deshalb. Wenig geht mir so sehr auf die Nerven wie die Selbstverständlichkeit, mit der im Fantasy-Genre mittlerweile Konformität akzeptiert wird.


Im Oktober erscheint das Buch „Arkadien erwacht“, von dem Sie sagen, dass es keine Vampirgeschichte ist, auch wenn es sich womöglich im Kurztext so anhören mag. Was ist es denn für eine Geschichte?

Vordergründig ist ARKADIEN ERWACHT eine Liebesgeschichte zwischen zwei Nachkommen verfeindeter Mafiaclans auf Sizilien. Mit Gestaltwandlern. Aber das ist nur die Oberfläche. Darunter brodelt ein viel, viel älterer Konflikt der zurückgeht ins versunkene Arkadien. Mir geht es vor allem um die Atmosphäre des Mittelmeers, um seine Mythen und Stimmungen und die Art und Weise, wie seine – wahre und erfundene - Geschichte auch heute noch die Menschen beeinflusst, die an seinen Ufern leben.


Eine schöne Idee ist, dass über das Cover abgestimmt werden konnte; zwei Bilder standen zur Auswahl. War das Ihre Idee oder die des Carlsen-Verlags? Welche Version sagt Ihnen eher zu?

Hundertprozentig jene, die gewonnen hat. Ich mochte die andere Illustration, aber nicht als Cover für mein Buch. ARKADIEN ERWACHT ist sehr viel erwachsener als der Eindruck, den das verworfene Bild erzeugt hätte. Die Version, die mit großem Abstand gewonnen hat, trifft den Ton der Geschichte dagegen sehr genau.
Die Idee kam aus dem Vertrieb des Carlsen-Verlages, so weit ich weiß. Ursprünglich war das gemalte Cover bereits abgesegnet, aber jemandem dort hat es so wenig gefallen wie mir, und dann wurde in einer ziemlichen Nacht-und-Nebel-Aktion die Abstimmung initiiert.


Sie arbeiten sicherlich bereits an einem neuen Projekt. Verraten Sie uns ein wenig darüber?

Ich konzipiere gerade das zweite ARKADIEN-Buch.


Nun möchte ich noch kurz auf das Schreiben als solches eingehen:
Haben Sie bestimmte Rituale, die Sie beim Schreiben einhalten, beispielsweise eine feste Schreibzeit oder eine festgelegte Seitenzahl pro Tag?

Ich schreibe von Montag bis Freitag, im Idealfall zehn Seiten am Tag. Vierzig pro Woche sollten es sein, eher ein paar mehr.


Planen Sie Ihre Romane erst bis ins kleinste Detail, bevor Sie mit dem Schreiben beginnen oder schreiben Sie einfach drauflos?

Ich erarbeite mir als erstes ein sehr detailliertes Exposé, einen Aufriss der gesamten Handlung, Szene für Szene. Das ist mein Grundgerüst beim Schreiben, zum einen als Hilfestellung, zum anderen als Rückversicherung für Tage, an denen meine Motivation nicht groß genug ist, um den Plot wirklich ausgefeilt weiterzuentwickeln.


Die Figuren in Ihrem Romane sind sehr realistisch, man kann sagen: sie leben! Dafür müssen Sie als Autor Ihre Figuren gut kennen. Doch wie lernen Sie sie kennen? Erstellen Sie Checklisten, interviewen Sie Ihre Figuren?

Ich habe für einen einzigen Roman, DAS BUCH VON EDEN, mal solche Listen angelegt, in tagelanger Kleinarbeit – um dann beim Schreiben zu merken, dass ich kein einziges Mal mehr hineingeschaut habe. Danach habe ich das ganz schnell wieder aufgegeben. Ich muss die Figuren auch so gut genug kennen, um mich Tag für Tag in ihre Köpfe hineinzudenken. Das ist eher eine emotionale Bindung, keine sachliche anhand von Stichworten und Listen.


Wie wichtig sind Ihnen Lesungen? Sind Sie vor einer solchen Veranstaltung nervös oder ist es mittlerweile Routine?

Ich habe nur noch sehr selten Lampenfieber – und wenn doch kann ich in der Regel nicht nachvollziehen, warum nun gerade bei dieser oder jener Veranstaltung. Normalerweise hat das nichts mit der Publikumsgröße zu tun. Auch nicht mit Presse oder Kameras. Das Ganze folgt Gesetzmäßigkeiten, die mir ein ziemliches Rätsel sind. Aber zum Glück passiert das kaum noch.


Waren Sie auch schon im Ausland auf Lesetour? Was war das für eine Erfahrung?

Die beiden Touren durch die USA waren natürlich interessant. Mein dortiger Verlag, Simon & Schuster, hat mich kreuz und quer durchs ganze Land geschickt, nach New York, Chicago, Washington, Seattle und noch ein paar andere Städte. Die Lesungen waren größtenteils in Schulen, und zumindest dort hat keines der Vorurteile gegriffen, die wir gewöhnlich von den Amerikanern haben: Die Jugendlichen, die ich getroffen habe, waren extrem interessiert und neugierig, sehr aufgeschlossen, was einen fremdsprachigen Autor angeht. Das hatte ich so nicht erwartet.


Wie gehen Sie mit Kritik an Ihren Werken um?

Der überwiegende Teil der Besprechungen ist positiv, was den Umgang mit ihnen erleichtert ... Es gibt negative Kritiken, über die ich mich ärgere, aber nur dann, wenn ich das Gefühl habe, der Rezensent wird unsachlich. Ich vergesse sie aber auch sehr schnell wieder.


Viele Ihrer Romane sind als Hörbuch erhältlich. Hören Sie sich diese an?

Nur die Hörspiele, die aber dafür immer wieder. In die echten Hörbücher, also die einstimmigen Lesungen, höre ich nur mal hinein, vielleicht mal eine komplette CD, nicht mehr. Das ist mir zu nah am Buch, und das lese ich ja auch nicht noch mal, nachdem es erschienen ist (dafür aber bis zur Abgabe etwa vier bis fünf Mal, und das reicht dann auch). Hörspiele hingegen funktionieren für mich wie Musik, da wird mir selbst dann die Geschichte nicht zu langweilig, wenn ich sie mir selbst ausgedacht habe.


Sie haben schon so viele Bücher geschrieben, beschleicht Sie da manchmal die Angst, plötzlich keine Ideen mehr zu haben? Oder geht es Ihnen da mehr wie Cornelia Funke, die sagt, ein Leben reiche nicht aus, um all ihre Ideen in Büchern zu verpacken?

Das bringt es auf den Punkt, finde ich. Wer nicht genug Ideen hat, hat auch nichts zu sagen – und ist damit auch kein Geschichtenerzähler.


Ich danke Ihnen für das Interview.