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Kategorie: Krimis

Gerade noch hing Brunetti Gedanken über Gott und die Welt und die Beerdigung seiner Mutter nach, da reißt ihn der Tod einer Elfjährigen aus allen Betrachtungen und unwichtigeren Fällen. Und verfolgt ihn schon bald bis in die Träume, denn das Schlimmste daran ist: Niemand meldet ein Kind als vermisst. Und auch der Goldschmuck, den das Mädchen auf sich trägt, wird von niemandem reklamiert. Brunetti muss nicht nur in Erfahrung bringen, warum das Roma-Mädchen zu Tode kam, sondern auch, wer sie überhaupt ist. Und er muss begreifen, wie weit manche Leute zu gehen bereit sind, wenn ein Kind im Spiel ist.
Brunettis 17.Fall führt ihn von den Auffanglagern der Ärmsten bis ins Wohnzimmer von Wohlsituierten mit ihren guten Verbindungen zu Recht und Ordnung. Dem Commissario aber ist mehr denn je sein eigenes Gewissen Gesetz.


  Autor: Donna Leon
Verlag: Diogenes
Erschienen: 2009
ISBN: 978-3-257-06695-1
Seitenzahl: 351 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Guido Brunetti muss seine Mutter zu Grabe tragen. In dieser eh schon extrem belastenden Gefühlslage ist er von Außen leicht angreifbar und reagiert sensibler als sonst. Als dann ein ehemaliger Schulkamerad, der als Geistlicher mehrere Jahre in Afrika verbracht hat und am Grab seiner Mutter die Andacht hält, im Anschluss der Trauerfeierlichkeiten ihn um einen eher dubiosen Gefallen bittet, wird Guido misstrauisch. Während er eher widerwillig seine Nachforschungen anstellt, stolpert er zusammen mit Vianello über die Leiche eines Kindes. Das etwa elfjährige Mädchen mit den langen blonden Haaren beschäftigt die beiden von da an und die Kleine verfolgt Guido sogar bis in seine Träume. Wer war sie, wo kommt sie her? Und warum vermisst sie keiner? Die Obduktion bringt weitere unglaubliche Details zum Vorschein. Die Tote hatte in ihrer Vagina einen Ring, war keine Jungfrau mehr und hatte Gonorrhöe. Entsetzt von dieser Nachricht war ihm klar, er musste unbedingt herausfinden, wer das Mädchen war, was oder wer zu ihrem Tod geführt hat. Eher per Zufall erfuhr er durch Kollegen bei den Carabinieries, dass es sich um ein Roma-Mädchen aus einem Lager außerhalb Venedigs handelt. Sie wurde zusammen mit anderen Kindern und ihren Geschwistern bereits öfters wegen Diebstahls aufgegriffen und zurück ins Lager gebracht. Als der Commissario im Lager eintrifft, erwartet ihn kaltes Misstrauen. Bis auf die Mutter scheint der Tod des Mädchens dort niemanden zu berühren. Keiner der Roma ist bereit mit ihm zu reden. Er muss sich also auf den Ring, der bei der Kleinen gefunden wurde, konzentrieren. Die Initialen, welche auf dem Ring eingraviert sind, führen ihn schließlich in die Venediger Mittelschicht. Der Stadtbekannte Kaufmann, dessen Tochter mit dem Sohn des Innenministers verbandelt ist, hat ebenso wie die Mitglieder seiner Familie wasserdichte Alibis und auch hier kommt er nicht wirklich weiter. Als selbst sein Vorgesetzter Patta, der sich nicht vorstellen kann, dass eine Familie mit so gutem Namen etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun haben könnte, ihn zurück pfeift, bricht für ihn eine Welt zusammen.


Stil und Sprache
Donna Leon hat in ihrem 17. Fall ein hartes aber doch typisch italienisches Thema aufgegriffen. Die allgegenwärtigen Roma, die am Rand der Gesellschaft angesiedelt sind und auf der anderen Seite die angesehene Mittelschicht mit ihren Kontakten zu Polizei und Staat. Sie zeigt diesen Konflikt mit seinen teilweise perversen Auswüchsen sehr direkt und hält dabei kein Blatt vor den Mund. In Form des Commissario Brunetti bringt sie vor allem die Machtlosigkeit eines Einzelnen gegenüber der vorherrschenden Gesellschaftsstruktur auf den Tisch. Die Geschichte um das kleine Roma-Mädchen berührt den Leser genauso wie Brunetti. Das schafft die Autorin nicht nur wegen der schrecklichen Umstände des Falles, sondern vor allem wegen der düsteren Stimmung, die sie meisterlich erzeugt und über die gesamte Geschichte transportiert. Wie gewohnt beschreibt sie mit viel Liebe zum Detail die einzelnen Szenen und Orte, so dass der fleißige Donna Leon-Leser nach Band 17 in Venedig schon fast zu Hause ist.
Einziger Wermutstropfen ist diesmal der Nebenstrang, bei dem Brunetti einem ehemaligen Schulkameraden helfen soll. Die Geschichte hat nichts mit dem eigentlichen Fall zu tun und verebbt ohne wirklich abgeschlossen zu werden.


Figuren
Das besondere bei Donna Leons Reihe ist die Farbigkeit ihrer Charaktere. Dies wird dem Leser besonders in diesem Fall bewusst. Brunetti scheint an seine Grenze zu stoßen. Die Bilder des toten Mädchens lassen ihn diesmal auch Nachts nicht los. Er ist Mental angegriffen und tut sich schwer, mit den Begleitumständen des Falles klar zu kommen. Er versteht weder das Verhalten der Familie des Mädchens noch die scheinbare Gleichgültigkeit seines Vorgesetzten. Dies macht Brunetti noch sympathischer als er eh schon ist. Auch die Roma-Familie wird sehr plastisch dargestellt, sie agieren vorsichtig, sind gegenüber den Beamten verschlossen und misstrauisch. Vom Leben und dem, wie sie behandelt werden, gezeichnet. Donna Leon zeigt sehr schön wie diese beiden fremden Kulturen aufeinandertreffen und zu welchen Konflikten dies führen kann.


Aufmachung des Buches
Diogenestypisch ist der Einband komplett in Weiß gehalten. Das Cover bestimmt ein schwarzer Rahmen, in dem sich ein Foto einer venezianischen Kanalszene befindet. Auf der Rückseite ist die Autorin Donna Leon nebst einer kurzen Vita untergebracht.

Die insgesamt 31 Kapitel lassen sich durch ihre angenehme Länge und nicht zu kleinen Schrift ordentlich lesen.


Fazit
Ein weiterer sehr schöner, atmosphärischer Band um den sympathischen Commissario Brunetti. Für Donna Leon Fans ein Muss, für alle anderen eine gelungene Geschichte um ein nicht ganz einfaches Thema. Einen leichten Abzug gibt es für den unvollendeten Nebenakt.


4 5 Sterne


Hinweise
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Backlist:
Fall 1: Venezianisches Finale
Fall 2: Endstation Venedig
Fall 3: Venezianische Scharade
Fall 4: Vendetta
Fall 5: Aqua Alta
Fall 6: Sanft entschlafen
Fall 7: Nobilta
Fall 8: In Sachen Signora Brunetti
Fall 9: Feine Freunde
Fall 10: Das Gesetz der Lagune
Fall 11: Die dunkle Stunde der Serenissima
Fall 12: Verschwiegene Kanäle
Fall 13: Beweise, das es Böse ist
Fall 14: Blutige Steine
Fall 15: Wie durch ein dunkles Glas
Fall 16: Lasset die Kinder zu mir kommen