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Als Arn Chorn Pond noch ein Junge ist, übernimmt das radikale kommunistische Regime der Roten Khmer die Macht in Kambodscha. Es folgt ein schrecklicher Völkermord, dem zwei Millionen Menschen zum Opfer fallen.
Arn hat überlebt. Doch der Preis dafür war hoch. Denn er ist selbst zum Täter geworden. Und es ist ihm schwer gefallen, den Tiger in seinem Herzen zu bändigen.
Patricia McCormick hat ein bemerkenswertes Buch geschaffen, das zeigt, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind - und welche Fehler sich niemals wiederholen dürfen.

 

Der Tiger in meinem Herzen 

Originaltitel: Never Fall Down
Autorin: Patricia McCormick
Übersetzer: Maren Illinger
Verlag: Fischer KJB
Erschienen: 19. Februar 2015
ISBN: 978-3596855803
Seitenzahl: 256 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Arn Chorn-Pond war ein normaler 11-jähriger Junge, als die Soldaten der Roten Khmer in seinen Heimatort Battambang einmarschierten und sämtliche Stadtbewohner in ländliche Arbeitslager verschleppten. Ein Tag, der sein ganzen Leben verändern sollte, denn in den folgenden vier Jahren wird er Zeuge von unfassbarer Gewalt, abscheulichen Gräueltaten und einem beispiellosen Völkermord, der etwa 1,7 Millionen Menschen, einem Viertel der damaligen Bevölkerung Kambodschas, das Leben kosten sollte.
Arn wurde von seiner Familie getrennt und in ein Kinderarbeitslager aufs Land gebracht, um in sengender Hitze von früh bis spät auf den Reisfeldern zu arbeiten. Er musste mit ansehen, wie unzählige Kinder vor Hunger und Erschöpfung starben oder hingerichtet wurden. Als Soldaten eines Tages Kinder suchten, die für ihre „revolutionäre Musikgruppe“ ein Instrument spielen sollten, meldete Arn sich sofort, obwohl er niemals zuvor Musik gemacht hatte. Diese Entscheidung rettete ihm das Leben, denn fortan spielte er gemeinsam mit seinen vier Freunden für die Roten Khmer patriotische Hymnen und Militärmärsche. Nach Einmarsch der vietnamesische Armee im Jahr 1978 wurde Arn gezwungen, als Kindersoldat an vorderster Front gegen die Befreier des Landes zu kämpfen, bis ihm schließlich die Flucht in ein thailändisches Flüchtlingscamp gelang.

In ihrem historischen Jugendroman erzählt die vielfach ausgezeichnete amerikanische Autorin Patricia McCormick das sehr bewegende, unvergessliche Schicksal des kambodschanischen Jungen Arn Chorn-Pond. Basierend auf seinen äußerst erschütternden Erlebnissen schildert sie sehr nachdrücklich und authentisch, wie er die Schreckensherrschaft der kommunistischen Roten Khmer und den Völkermord in Kambodscha in der Zeit von 1975 bis 1979 überlebte.


Stil und Sprache
Wie im Nachwort erläutert hat Patricia McCormick beschlossen, die in stundenlangen Interviews mit Arn zusammengetragenen Erinnerungsfragmente an sein Martyrium bei den Roten Khmer nicht als Biographie sondern als Roman niederzuschreiben. Hierzu hat sie ungenaue oder fehlende Informationen zu Schlüsselszenen so plausibel und wahrheitsgetreu wie möglich ergänzt und Arns traumatische Erlebnisse schließlich zu einer stimmigen, chronologischen Handlung verdichtet.

Die Geschichte wird durchgängig in der ersten Person der Gegenwartsform aus Sicht der Hauptfigur Arn erzählt. Hierdurch ist der Leser unglaublich nah bei den schockierenden Geschehnissen und erhält einen äußerst eindringlichen Einblick in Arns Gefühls- und Gedankenwelt. Die eigentliche Handlung erlebt man in vielen kurzen, lose aneinander gefügten Episoden, in denen der Ich-Erzähler Arn über unterschiedliche Etappen seines Martyriums während der vier Jahre des Pol-Pot-Regimes berichtet. Zudem lässt er uns an vielen kleinen, eher zufälligen Begebenheiten teilhaben, die sein Leben immer wieder aufs Neue gerettet haben, während seine Freunde um ihn herum starben.
In bewegenden und teilweise sehr erschütternden Schilderungen von Hunger, Willkür, Psychoterror und Folter lässt die Autorin den Alltag der Kinder im Arbeitslager der Roten Khmer lebendig werden. Äußerst schonungslos konfrontiert sie den Leser immer wieder mit kaum auszuhaltenden Szenen über abscheuliche Gräueltaten, brutale Exekutionen und dem allgegenwärtigen Tod. „Wie ein Metzger schneidet er jeden einzelnen auf und zieht die Leber heraus, die Milz, das Herz. Überall ist Blut. Ich sehe alles, rieche das Blut, das rohe Fleisch. Meine Augen sehen es. Aber ich fühle nichts. Wenn du was fühlst, wirst du verrückt.“ (S. 94)

Die sprunghafte und gehetzt wirkende Erzählweise ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, passt aber hervorragend zu Arns Persönlichkeit und wirkt sehr authentisch. Bewusst hat die Autorin ihren Roman in einer sehr einfachen, reduzierten Sprache geschrieben und versucht damit, Arns Ausdrucksweise und seinen ganz eigenen Sprachstil während der Interviews wiederzugeben – was allerdings durch die Übersetzung ins Deutsche größtenteils verloren gegangen ist. Dennoch spürt man beim Lesen deutlich, dass die vielen traumatischen Erinnerungen von Arn an diese grausame Zeit trotz des großen Zeitabstands immer noch sehr lebendig und präsent sind und sicher niemals vergessen werden.


Figuren
Sehr einfühlsam und bewegend schildert die Autorin das tragische Schicksal und unendliche Leid der Hauptfigur Arn Chorn-Pond. Während man Arn anfangs noch als sympathischen, sehr aufgeweckten 11-jährigen Jungen mit seinen Geschwistern kennen lernt, erlebt man bald einen drastischen Wandel in seinem Verhalten. Je mehr man von seinen unvorstellbar brutalen und albtraumhaften Erlebnissen während der vier Jahre der Schreckensherrschaft des Pol-Pot-Regimes erfährt, desto mehr leidet man mit ihm und bangt Seite für Seite um sein Leben und Seelenheil. Um in dieser Hölle zu überleben, muss er geschickt Bündnisse eingehen, aber auch grausame Entscheidungen treffen – Cleverness, Mut und Einfallsreichtum helfen ihm beim verzweifelten Überlebenskampf.
Angesichts des tagtäglichen Terrors und seiner Todesangst ist es sehr nachvollziehbar, dass Arn bald tief greifende Veränderungen in seinem Denken und Handeln durchlebt. Er beginnt, seine Emotionen völlig auszublenden und sich Strategien anzueignen, um den allgegenwärtigen Horror nicht mehr an sich herankommen zu lassen. „Aber er ist tot. Längst tot. Ich denke, dass ich traurig sein muss, oder ängstlich. Aber in mir ist kein Gefühl. Keine Tränen, gar nichts. Wir sehen uns lange an. Ich fühle nichts. Der Tod gehört jetzt zu meinem Alltag.“ (S. 56). Sehr glaubhaft hat die Autorin auch Arns innere Entwicklung und seinen zwiespältigen Wandel vom Opfer zum Täter herausgearbeitet, denn als Kindersoldat der Roten Khmer musste auch er schließlich brutale Gräueltaten begehen und Menschen töten, um nicht selbst getötet zu werden.

Sehr berührend schildert die Autorin in einer abschließenden Schlüsselszene, wie es Arn endlich nach vielen Jahren in den USA gelingt, den „Tiger in seinem Herzen“ zu kontrollieren, seine emotionale Erstarrung und Sprachlosigkeit hinter sich zu lassen, zu weinen und in aller Öffentlichkeit über seine erlittenen Traumata reden zu können. Bewundernswert ist, wie Arn sich als überlebender Zeitzeuge seitdem unermüdlich als Botschafter der kambodschanischen Kultur und in verschiedensten Projekten für die Menschenrechte engagiert und dafür sorgt, dass dieser entsetzliche Völkermord niemals in Vergessenheit gerät.


Aufmachung des Buches
„Der Tiger in meinem Herzen“ ist als gebundenes Buch ohne Schutzumschlag erschienen. Das Covermotiv ist eine in blau-grün Tönen farbverfremdete Fotografie und passt sehr gut zum Inhalt des Romans. Das Bild zeigt einen asiatisch aussehenden Jungen, der die für die Roten Khmer typische revolutionäre Einheitskleidung und eine Mao-Mütze trägt. Er sieht den Betrachter mit einem eindringlichen, unendlich traurigen Blick durch einen Stacheldrahtzaun hindurch an – ein Gesicht stellvertretend für die vielen Kinder und Jugendlichen, die in Kambodscha Opfer der Terrorherrschaft der Roten Khmer wurden.

Der Roman ist neben kurzem Vorwort und Epilog in 18 Kapitel unterteilt. Im Anhang des Buches findet sich ein interessantes Nachwort der Autorin sowie eine sehr bewegende Danksagung von Arn Chorn-Pond.


Fazit
Ein aufrüttelnder, aus Sicht des Zeitzeugen Arn Chorn-Pond erzählter Jugendroman über die Schreckensherrschaft der kommunistischen Roten Khmer und den Völkermord in Kambodscha in der Zeit zwischen 1975 und 1979. Ein empfehlenswerter, wichtiger Roman, der mit seiner sehr eindringlichen, schonungslosen Erzählweise allerdings auch erwachsenen Lesern unter die Haut geht und wegen der vielen schockierenden Szenen nicht leicht zu lesen ist.


4 Sterne


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