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„Es war Sommer, als ich endlich aufhörte zu wachsen und begann, mich hübsch genug zu finden, um einen YouTube-Channel zu starten, der Name ergab sich. Juni, Juli, August, drei Monate ohne Angst, drei Monate, in denen Dinge aus dem Ruder liefen. Zuerst Maria (auch wenn sie das bis heute leugnet), dann der Regen und bald darauf die Flüsse, woran natürlich der Regen Schuld war – und zuletzt wir alle.
Es glich einem sanften Fieber, sanft deswegen, weil wir uns nicht matt fühlten, sondern gestärkt. Unsere Glieder schmerzten nicht. Wir waren voll da. Es ging nie um Mutproben, das haben die meisten leider nicht kapiert. Wir kämpften nicht darum, unsere Ängste zu überwinden. Wir hatten einfach keine mehr. Bis wir begriffen, dass wir zu weit gegangen waren.“

 

Marias letzter Tag 

Autorin: Alexandra Kui
Verlag: cbt
Erschienen: 2. März 2015
ISBN: 978-3-570163177
Seitenzahl: 288 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Lou hat es nicht leicht in ihrem noch jungen Leben, denn jahrelang wurden ihr von ihrem Umfeld alle möglichen Ängste eingetrichtert. Ihre beste Freundin Maria scheint sich hingegen vor nichts zu fürchten, ist immer fröhlich und unbeschwert - bis sie eines Tages von einem Zug erfasst wird und seitdem schwer verletzt im Koma liegt. Von einem Selbstmordversuch wird ausgegangen, da Maria angeblich wahnsinnige Angst davor hatte, wie ihre Mutter Brustkrebs zu bekommen. Lou beschließt daraufhin, sich endlich vom Druck der auf ihr lastenden Ängste zu befreien, und ruft ihren „Sommer ohne Angst“ aus. Auf ihrem neu eingerichteten YouTube-Channel »Marias letzter Tag« postet Lou selbstgedrehte Videos von ihren Mutproben. Schon bald steigt im Netz das Interesse an ihrem Videoblog, weitere Fans schließen sich mit immer gewagteren Aktionen an, und irgendwann gerät alles außer Kontrolle.

In ihrem bewegenden Jugendroman greift Alexandra Kui mit der Verbreitung von verrückten und teils lebensgefährlichen Mutprobenvideos auf Videoblogs im Internet ein aktuelles Zeitgeist-Phänomen unter Teenagern auf. Überzeugend arbeitet sie in ihrer tiefgründigen, nachdenklich stimmenden Geschichte um Lou die vielfältigen Aspekte von Angst heraus und beleuchtet sehr nachdrücklich Hintergründe und mögliche Konsequenzen der Mutprobenvideos. 


Stil und Sprache
Bis auf den Beginn des Prologs wird die Geschichte durchgängig in der ersten Person der Gegenwartsform aus Sicht der Hauptfigur Lou erzählt. Hierdurch erhält man eine sehr eindringliche und persönliche Sichtweise auf den für sie sehr ereignisreichen Sommer, der einen Wendepunkt in ihrem bis dahin sehr angsterfüllten Leben darstellt. Die eigentliche Handlung erlebt man als eine Art Rückblick auf die Geschehnisse, die äußerst witzig, mitreißend und voller Action und Dramatik erzählt werden. In ihren etwas chaotischen, abschweifenden und wenig chronologischen Erinnerungen lässt Lou uns zudem an einer bunten, originellen Mischung von Word Clous, Fotos, Beschreibungen ihrer Videoclips und Posts aus dieser Zeit teilhaben, die in verschiedenen Schrifttypen sehr abwechslungsreich eingestreut sind. Diese sprunghafte, temporeiche und recht experimentelle Erzählweise ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, passt aber hervorragend zu Lous neuem Lebensgefühl, der Welt des Internets und ihrem Videoblog. Die schnelle, oft sehr einfache Sprache der jugendlichen Protagonistin, lässt sich sehr flüssig lesen, und wirkt mit ihrem frechen Unterton sehr lebendig und authentisch.

Nach und nach beginnt man sich in Lous aufgewühltes Seelenleben einzufühlen und erhält einen tieferen Einblick in Lous angeschlagene Psyche und ihre ganz besondere Art der Rebellion gegen ihre Ängste und den Druck von außen. Einige sehr dramatische Szenen und verschiedene Wendepunkte lassen die Spannungskurve immer weiter ansteigen und bis zum Schluss nicht abreißen. Anhand von Lous radikaler Entwicklung arbeitet Kui sehr nachvollziehbar heraus, was Jugendliche dazu bringt, sich bei Mutproben derartig verrückten und lebensgefährlichen Situationen auszusetzen. Darüber hinaus führt sie den Lesern sehr eindringlich die drastischen Auswüchse dieser Zeitgeist-Erscheinung und ihre Grenzen vor Augen, ohne jedoch den moralischen Zeigefinger zu erheben. So hat die Autorin eine sehr bewegende, tiefgründige Geschichte geschaffen, die nachdenklich stimmt und den Leser anregt über seine Ängste, Verwundbarkeit und Einstellung zum eigenen Leben nachzudenken.


Figuren
Alle Figuren sind entsprechend ihrer Rolle in der Erzählung vielschichtig ausgearbeitet und wirken sehr lebensnah, natürlich und glaubwürdig. Sehr gelungen ist vor allem die sehr tiefgründig angelegte, sympathische Hauptfigur Lou, die sich im Laufe der Handlung von einem ruhigen, angepassten und eher unscheinbaren Mädchen zu einem risikofreudigen, rebellierenden Teenager entwickelt. Lou ist es leid, sich ständig unter Druck gesetzt zu fühlen und sich von ihren Ängsten und der negativen, fatalistischen Grundhaltung ihrer Familie beherrschen zu lassen. Aufgewühlt durch den Unfall ihrer besten Freundin beschließt sie, endlich mit einer sehr drastischen Konfrontationstherapie dagegen anzukämpfen. Beim Versuch ihre Ängste zu überwinden, ihre Grenzen mit den Mutproben zu überschreiten und ihr Umfeld zu provozieren, wird sie zu immer extremeren und gefährlicheren Aktionen angetrieben, bis ihr Leben schließlich völlig aus den Fugen zu geraten scheint.

Die Autorin versteht es hervorragend, Lous allmähliche charakterliche Veränderung und ihr neues, faszinierendes Lebensgefühl von plötzlicher Stärke und Unverletzlichkeit nachvollziehbar und glaubwürdig zu vermitteln. Zugleich erhalten wir einen sehr interessanten, authentischen Einblick in die oft zu Extremen neigende Gefühlswelt Jugendlicher während der Pubertät.


Aufmachung des Buches
„Marias letzter Tag“ ist als gebundenes Buch mit Schutzumschlag erschienen, der in zarten Grüntönen gehalten ist. Das auf den ersten Blick recht unauffällig erscheinende Cover greift mit dem durch Spotlack hervorgehobenen „Play“-Symbol in der Mitte und den hellen, zerfaserten Gewitterwolken im unteren Bereich einige wichtige Motive des Romans auf und macht neugierig auf den Inhalt des Buches. Sehr schön hebt sich auch der glänzende, in kräftigem Rot gehaltene Titel vom Hintergrund ab und rundet die gelungene Gestaltung ab.

Neben Prolog und Epilog ist der Roman in 3 Teile untergliedert, die in weitere, nicht durchnummerierte Kapitel unterteilt sind. Zum Abschluss finden sich im Anhang noch Angaben zu den Quellen der verwendeten Songtexte, Fotos und Zeichnung und ein Kurzportrait der Autorin.


Fazit
Ein toller Jugendroman, der mit der originellen Umsetzung und seiner tiefgründigen, nachdenklich stimmenden Geschichte überzeugen kann. Empfehlenswert für alle Leser ab 14 Jahren sowie alle jung gebliebenen Erwachsenen.


4 5 Sterne


Hinweise
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