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Kategorie: Romane

Mia erbt nach dem Tod ihrer Großmutter ein halb verfallenes, idyllisch an einem See gelegenes Hotel im Taunus. Als sie mehr über die Vergangenheit des einst glanzvollen Hauses erfahren will, begegnet sie dem Iren Séan, der dort ebenfalls nach Antworten sucht. Gemeinsam stoßen sie auf die Geschichte jenes dramatischen Sommers kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der das Schicksal von vier Menschen für immer veränderte …

 

Der entschwundene Sommer 

Autor: Rebecca Martin
Verlag: Diana
Erschienen: März 2014
ISBN: 978-3453357549
Seitenzahl: 480 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Vier Jugendliche, die über alle Standesunterschiede hinweg jeden Sommer gemeinsam spielten, durch den Wald jagten und im See schwammen, treffen das letzte Mal so unbefangen aufeinander. Nächstes Jahr wird Corinna bereits als Küchenhilfe arbeiten. Johannes wird zur Armee gehen, sein Bruder Ludwig bald folgen und Bea muss auf die Führung des familieneigenen Hotels vorbereitet werden. Die vier Jugendlichen ahnen nicht, dass ein Krieg heranzieht, der ihr Leben für immer verändern wird und dass in diesem letzten, unbeschwerten Sommer der Grundstein für die folgenden, schicksalsschweren Jahre gelegt wird.

Die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken ist ein wenig irreführend, weil sie zwei Dinge suggeriert: dass die Haupthandlung in der Gegenwart liegt und dass die Vergangenheitshandlung nur in einem Sommer spielt. Beides stimmt absolut nicht. Der Fokus des Romans liegt eindeutig auf der Vergangenheit – die auch den Großteil des Buches einnimmt. Hier spielt sich die Handlung im Laufe von mehreren Jahren ab und eben nicht in einem Sommer. Dementsprechend handelt es sich bei „Der entschwundene Sommer“ eigentlich um ein historisches Buch, dem eine minimale Gegenwartshandlung hinzugefügt wurde.


Stil und Sprache
Rebecca Martin wählt einen angenehm zu lesenden Schreibstil, der relativ unaufgeregt und doch prägnant die Handlung einfängt. Da sie in der dritten Person aus wechselnden Perspektiven schreibt, gibt es viele beschreibende Abschnitte, die sowohl die Erlebnisse der Charaktere, als auch immer wieder ihre Gedanken und Gefühle widerspiegeln. Grundsätzlich hat mir das sehr gut gefallen, allerdings greift sie zu häufig auf nachträgliche Beschreibungen zurück, statt die Erlebnisse direkt zu erzählen. Das nimmt ein wenig die Emotionen aus dem Erlebten, was besonders schade ist, weil man an anderen Stellen deutlich sieht, wie großartig sie schreiben kann, wenn sie sich an diese nahe, emotionale Erzählweise herantraut.

Während sich sprachlich die unterschiedlichen Jahrzehnte der beiden Handlungsstränge kaum niederschlagen, hat die Autorin in den ausgewählten Details die Zeiten großartig eingefangen. Seien es Gegenstände des Alltags oder auch die Denkweisen der Charaktere – sie stellt insbesondere das beginnende zwanzigste Jahrhundert sehr überzeugend dar. Viele liebevolle Details porträtieren die Zeit und machen die Handlung umso glaubwürdiger.

Besagte Handlung ist durchgängig interessant, aber nicht gleichermaßen spannend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Vergangenheit und die Gegenwart nicht stimmig verknüpft werden. Eigentlich werden sie stattdessen parallel erzählt und man kann nur erahnen, woher Mia am Ende angeblich die ganze Geschichte weiß, denn eigentlich findet sie nur Bilder und Rezepte. Hier wurde unglaublich viel Potential verschenkt, denn die Gegenwartshandlung wirkt dadurch beinahe wie unnötiges Beiwerk zu einem historischen Roman. Jede Unterbrechung der Vergangenheit wirkt sich entsprechend störend auf den Spannungsaufbau aus. Zum Glück hat aber die Geschichte von Corinna und Bea ansonsten einiges zu bieten und hält bis zum Schluss berührende Überraschungen bereit.


Figuren
Auf den ersten Blick erscheint Mia wie die typische reiche Hausfrau. Sie verbringt die Zeit mit ihrer Stieftochter faul auf dem Balkon, kümmert sich nur ab und zu um ein bisschen Papierkram und überlässt die Finanzen ihrem Mann. Damit ist sie nicht unbedingt das, was ich mir unter einer interessanten Hauptfigur vorstelle. Zum Glück ändert sich ihr Leben aber schnell, denn mit dem Erbe kommt die Begeisterung für das Hotel und die Familiengeschichte, die sich dahinter verbirgt. Mia nimmt ihr Leben also endlich wieder in die eigenen Hände und wächst im Rahmen des Buches an jeder neuen Herausforderung. Für meinen Geschmack bleibt sie bei der einen oder anderen Entdeckung noch zu zurückhaltend, aber ansonsten ist sie eine Hauptfigur, der man gerne durch die Handlung folgt.
Die Nebencharaktere der Gegenwart konnten mich hingegen nicht so ganz überzeugen. Die meisten bleiben blass und greifen auch auf so manches Klischee zurück. Der im Klappentext angekündigte Séan braucht sehr lange, bis er überhaupt auftaucht und selbst dann erfährt man nur wenig über ihn. Die Gefühle zwischen ihm und Mia bleiben völlig unerklärt und springen entsprechend auch nicht auf den Leser über.

Anders sieht es bei den Charakteren der Vergangenheit aus. Diese wurden durchgängig sehr überzeugend ausgemalt, sie zeigen viele verschiedene Schichten und wandeln sich im Laufe der Handlung gravierend. Auch die Sympathien des Lesers verschieben sich immer wieder und es ist ein deutliches Zeichen für die Realitätsnähe der Charaktere, dass man keinen von ihnen als nur böse oder nur gut erlebt. Stattdessen versteht man die Hintergründe und kann sich so ein differenziertes Bild machen. Die Hauptpersonen in der Vergangenheit sind die Freundinnen Corinna und Bea. Beide wurden sehr glaubwürdig ausgestaltet und entwickeln sich im Laufe der Geschichte weiter. Sie haben Geheimnisse und Schwächen und wirken unglaublich real.


Aufmachung des Buches
Die Taschenbuchausgabe von „Der entschwundene Sommer“ wurde mit einem dem Genre entsprechenden Cover ausgestattet. Die Farben sind zurückhaltend gewählt, das Bild passt zur Handlung und könnte sogar direkt vom Ort des Geschehens stammen. Das dargestellte Herbstlaub weckt zusammen mit dem altertümlichen Eindruck der Einrichtung direkt Assoziationen mit einer Geschichte, die in der Vergangenheit spielt und viele ernste Aspekte anspricht. Also eine durchaus gelungene Gestaltung, die nicht aus dem Genre-Rahmen fällt – weder im positiven noch im negativen Sinn.


Fazit
Rebecca Martins Roman „Der entschwundene Sommer“ hält, was man sich von der Autorin und dem Cover verspricht: eine interessante Familiengeschichte, eine realistische, berührende Darstellung der Vergangenheit und ein Geheimnis, das erst nach und nach aufgedeckt wird. Gute Unterhaltung wird dem Leser also geboten, mir fehlte jedoch die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart und auch das Highlight, das den Roman aus der breiten Masse des Genres hervorhebt, blieb aus.


3 5 Sterne


Hinweise
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