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Kategorie: Romane

Wiedersehen mit der Familie Bennet aus „Stolz und Vorurteil“

„Wenn Elizabeth Bennet ihre Petticoats selbst waschen müsste“, dachte Sarah, „würde sie bestimmt sorgfältiger mit ihnen umgehen“. Es ist Waschtag auf Longbourn, und das Hausmädchen Sarah müht sich über Wäschebottichen und träumt dabei von einem anderen, aufregenderen Leben. Als der junge James auf dem Hof auftaucht, scheint er wie die Antwort auf ihre Stoßgebete – doch James hütet ein Geheimnis von großer Sprengkraft, das das Leben auf Longbourn für immer verändern könnte.

 

Im Hause Longbourn 

Originaltitel: Longbourn
Autor: Jo Baker
Übersetzer: Anne Rademacher
Verlag: Knaus
Erschienen: September 2014
ISBN: 978-3-8135-0616-7
Seitenzahl: 448 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Sarah, langjähriges, fleißiges Dienstmädchen im Hause der Bennets, verrichtet auf Longbourn so manch unangenehme Arbeit, um es den Bennetdamen, die uns aus Stolz und Vorurteil bekannt sind, so angenehm wie möglich zu machen. Der Alltag plätschert dahin, bis James die Stelle als Hausbutler einnimmt – und Sarah äußerst neugierig macht - und auch James kann sich Sarahs Anblick nicht entziehen. Sein Auftauchen ist aber nicht nur für Sarah ein unerwartetes Erlebnis, auch Mrs Hill scheint auf den jungen James aufmerksam geworden zu sein – und argwöhnisch beobachtet sie das Treiben.

So geheimnisvoll der Plot, so überraschend ist die Auflösung, die den Leser in der Tat mit explosivem Stoff konfrontiert. Neue Figuren mischen sich mit Altbekannten, sodass Im Hause Longbourn ein Fest für alle Stolz und Vorurteil-Liebhaber ist, aber auch Nichtkenner des Buches werden sich dem Zauber schwer entziehen können. Obwohl Jo Baker nicht die Originalautorin von Stolz und Vorurteil ist, schafft sie es, den Zauber Jane Austens einzufangen und in eine spannende, bewegende Story zu verpacken, die einen bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt.


Stil und Sprache
Obwohl zwischen dem Original Stolz und Vorurteil und dem vorliegenden Buch über 200 Jahre liegen, schafft es die Autorin mit Bravour den Stil der Zeit einzufangen und dort anzuknüpfen. Angefangen bei ihren Schilderungen fühlt man sich sogleich in das Setting zurückversetzt, ihre Figuren werden durch die Dialoge lebhaft - Sarah und die anderen Dienstboten, die sonst stumm waren, bekommen nun endlich eine Stimme. Die Beschreibungen der Landschaften sind ausreichend, dabei nicht zu opulent, man kann sich sogleich in die Landschaft um Hertfordshire hineinversetzen.

Die äußerliche Beschreibung der Personen erfolgt nur beiläufig im Laufe des Romans. Auf eine detaillierte Ausführung der Figuren aus Stolz und Vorurteil, wie Elizabeth oder Jane Bennet, wird weitestgehend verzichtet; nur relevante Merkmale werden erwähnt, und auch der sonst so im Fokus der Aufmerksamkeit stehende Mr Darcy wird hier nur in einem Nebensatz in Bezug auf sein äußeres Erscheinungsbild benannt, sodass man gerade an diesen Stellen schmunzeln muss.
Die agierenden Personen wie Sarah, Mrs Hill, Polly oder auch Mr Hill, werden dadurch nicht stärker porträtiert, aber die Beschreibung legt den Fokus deutlich auf die Dienstboten – was auch fast selbstverständlich ist, schließlich sind es die Nebenfiguren des Originals, die ihren würdigen Schauplatz bekommen. Als Kontrast zu den eher spärlichen Beschreibungen der Longbourn-Dienstbotenschaft wird James hingegen recht ausschweifend beschrieben, doch dazu komme ich später noch.

Die Dialoge sind in ihrer Gestaltung je nach Figur, die auftritt, anders, so merkt man auch an der Sprache, wie das Verhältnis der einzelnen Figuren untereinander ist. Während die Dialoge von Sarah mit Polly locker und alltagssprachlich sind, sind die Unterhaltungen zwischen Sarah und den Bennetmädchen von der Hierarchie des Hauses geprägt, wie es sich für einen Dienstboten gehört, und auch in der Wortwahl bemüht sich Sarah um korrekte Formulierungen, wie man an ihrer Wortwahl Colonel Forster oder auch Mr Collins gegenüber sieht. Diese Wechsel von lockeren, zum Teil groben oder auch barschen Worten untereinander stehen diesen wohlformulierten Dialogen im Kontrast entgegen, was zeigt, dass die Autorin in der Lage ist, beide Seiten klar voneinander zu trennen, und somit den Roman plastisch macht.

Der Roman ist in seinen Beschreibungen und Schilderungen in der dritten Person Präteritum geschrieben, es herrscht also ein regulärer personeller Erzähler vor, der immer wieder in die verschiedenen Figuren schlüpft, doch den Fokus eher auf Sarah legt.
Vom Aufbau her ist der Roman in drei Bände aufgeteilt, er imitiert somit den Stil des Originals, das in seinen ersten Publikationen in Einzelbänden bzw. -teilen erschien. Die einzelnen Kapitel werden jedes Mal mit einem Zitat oder einer Äußerung eingeleitet, die die Verortung zum Original leichter macht (und meiner Vermutung nach auch in Teilen aus dem Original sind). Die Spannung wird durch die Aufteilung in die Einzelbände sehr gut hergestellt, jeder Teil endet mit einem Ereignis, welches den Verlauf der Story ändert.
Der Leser erlebt somit mit den drei Teilen gewissermaßen drei Höhepunkte, doch auch zum Ende des Romans hin, wo alles schon glücklich anmutet, wird nochmal auf den letzten Seiten Spannung aufgebaut, sobald diese aufgelöst wurde, legt man das Buch dann vollends zufrieden weg. Man kann also sagen, dass das Buch mehr als nur einen Spannungsbogen spannt, eher ist es eine Achterbahn der Spannungen. Natürlich darf man jetzt nicht hochgradige Action wie aus Filmen erwarten, da der Roman sich von den Ausführungen der Ereignisse nach wie vor an die Zeit, in der das Originalwerk spielt, hält. Wem aber genau diese Schilderungen Freude bereiten, der wird in dem Auf und Ab gute Unterhaltung finden.


Figuren
Wie bereits genannt, spart die Autorin Jo Baker eher bei der Beschreibung der Figuren beziehungsweise präsentiert uns die Figuren erst im Verlauf des Romans. Die populären Figuren aus Stolz und Vorurteil werden fast gar nicht beschrieben, das erklärt sich eigentlich nur dadurch, dass sie den Kennern des Werkes derart präsent sind, dass es einer Beschreibung nicht mehr bedarf.

Das eher niedrig gehaltene Beschreiben der Figuren lässt einen als Leser somit stärker auf die Aktionen der Figuren schauen. Dem Leser wird sogleich Sarahs Arbeit geschildert, man leidet regelrecht mit, wenn man von ihren aufgeschürften, wunden Fingern liest, und auch ihre Gedanken, während sie die Schmutzwäsche der doch sonst so edlen Bennetdamen bearbeitet, lassen einen Schmunzeln und zuweilen sogar laut Auflachen. Anhand der Schilderungen der Tätigkeiten, die Sarah, Polly und auch Mrs Hill erledigen müssen, zeigt sich der Unterschied in der Lebensweise der Figuren, zugleich bietet es einen realistischen Blick auf das Leben zu der Zeit, und dass auch Ladies der Gesellschaft schwitzen und ihre Periode bekommen, wie jede andere Frau auch.

Der Roman füllt durch die Dienstboten, aber auch durch die Erweiterung einiger Hauptfiguren, die Leerstellen, die der Roman Stolz und Vorurteil gelassen hat, auf. Neben den Dienstboten, die mit Mr Hill und James nicht nur aus weiblicher Belegschaft bestehen, werden auch einige Figuren aus Stolz und Vorurteil beleuchtet, die sonst wenig Rampenlicht bekommen haben. So werden im Roman Mary Bennet und ihre Gefühle zu Mr Collins zeitweise in den Fokus gerückt, und auch Mr Bennet, den man entweder mag oder nicht, bekommt eine wichtige Rolle. Sonst so schillernde Figuren wie Mr Darcy, Mr Bingley oder auch Lady Catherine de Bourgh hingegen bekommen weniger Aufmerksamkeit, man sucht diese Figuren schon fast, was einen einerseits als Leser freut, zum anderen lässt es einen aber auch mit hochgezogener Augenbraue verwundert zurück. Durch diese veränderte Personenfokussierung bekommt der Roman seine eigene Dynamik.

Neben Sarah haben wir die männliche Hauptfigur James, die zunächst recht ausführlich geschildert wird, da sie ein unbekanntes Objekt in dem Getriebe der Longbournbelegschaft ist. Es scheint notwendig, dass der Leser seine Aufmerksamkeit ebenso auf James richtet wie Sarah es tut, und schon recht früh fühlt man sich zu James hingezogen, da er durchaus sympathisch rüber kommt und fleißig arbeitet, gleichzeitig fragt man sich als Leser, welche Geheimnisse er mit sich trägt und wieso er überhaupt nach Longbourn gekommen ist. Auch Mrs Hills Verhalten lässt einen verwundert zurück, und im Laufe des Buches werden genau diese Geheimnisse gelüftet.
Eine weitere, nicht bekannte Figur bildet der Butler der Bingleys, Ptolemy Bingley, ein dunkelhäutiger Diener, der, trotz des Nachnamens, nicht in Verwandtschaft steht, und Sarah mächtig den Kopf verdreht, zum Leidwesen von Mrs Hill und James. 

Das auftretende Figurenensemble mag zunächst unübersichtlich anmuten, dadurch, dass es aber recht linear in den Ereignissen abläuft, ist es eher eine Art Kommen und Gehen der Figuren beziehungsweise einige Figuren sind bereits so bekannt, dass man sie zum Teil ausblendet und als Randfiguren wahrnimmt.
In ihren Ausführungen und Schilderungen sind die handelnden Akteure durchaus mehrschichtig und dreidimensional,  besonders, da es sich um Dienstboten handelt und nicht um die Mitglieder der höheren Gesellschaftsschicht, und man so schneller Analogien und Bezugspunkte als Leser findet.


Aufmachung des Buches
Der Roman ist ein gebundenes Buch mit Schutzumschlag, das Cover zeigt eine Dame, vermutlich Elizabeth Bennet, die mit dem Rücken zu einem steht. In der rechten Ecke, im Türrahmen schüchtern versteckt, ein Dienstmädchen mit Schürtze und Wasserbottich, bei dem es sich wohl um Sarah handelt.
Die Farben sind eher dezent gehalten, so dominieren smaragdgrün (in Abstufungen ins Schwarze gehend) und leinentuchweiß bzw. es handelt sich eher um einen Eierschalenton. Man erkennt sogleich die Zeit, in der das Buch spielt, es lässt auch aufgrund der Figuren erraten, um was es gehen kann, somit passt das Cover sehr gut zum Inhalt.

Das Buch ist, wie bereits erwähnt, in drei Bände aufgeteilt, die Kapitel werden einzeln mit Aussagen oder Zitaten eingeleitet. Auf der Innenklappe des Schutzumschlages befindet sich eine Vita der Autorin. Die linke Schutzumschlagklappe und der Buchrücken haben den Inhalt des Buches aufgedruckt, zum Ende des Bandes gibt es ein Nachwort der Autorin. Sonst enthält der Roman keinerlei Extras oder Anhänge. 


Fazit
Fans des Werkes Stolz und Vorurteil bekommen mit Im Hause Longbourn endlich die Personen präsentiert, die im Original keinen Platz gefunden haben. Mit einer fesselnden, in seiner Auflösung wirklich brisanten Story, schafft es Jo Baker, den sonst so stummen Figuren Leben einzuhauchen, die sich durchaus mit den Figuren aus Stolz und Vorurteil messen können. Und auch Nichtkennern bietet der Roman eine Unterhaltung der besonderen Sorte durch die unkonventionelle Wahl der Hauptfiguren.


5 Sterne


Hinweise
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