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Kategorie: Interviews mit Autoren

Arno SpechtArno Specht, der mit seiner erfolgreichen „Geisterstätten“-Reihe aus dem Jaron Verlag schon einige Geheimtipps in Berlin und Dresden für die Leser entdecken konnte, hat sich für sein mittlerweile drittes Projekt Uwe Schimunek, ortskundigen Leipziger, Journalist und Autor von zahlreichen historischen Krimis, mit ins Boot geholt. Gemeinsam haben sie in der sächsischen Stadt viele fabelhafte Orte festgehalten und sich für ein paar Fragen der Leser Welt Zeit genommen.


Waren Sie als kleiner Junge auch schon richtige Abenteurer bzw. haben Sie alte Fabriken früher auch schon magisch angezogen, sodass es eine logische Konsequenz war, daraus später ein gesammeltes Werk zu und es zum Beruf zu machen?

Arno Specht: Ganz im Gegenteil – als kleiner Junge war ich furchtbar ängstlich und fand solche leerstehenden Ruinen so gruselig, dass ich auf dem Weg zur Grundschule sogar Umwege gelaufen bin, um eine alte Fabrik nicht sehen zu müssen. Mein Hobby kann man also als eine Art verspätete Konfrontationstherapie betrachten.

Uwe Schimunek: Ich bin ja erst durch den werten Kollegen zu den Ruinentrips gekommen. Aber wenn ich gewusst hätte, welche eigentümliche Stimmung in manchen Objekten herrscht, wäre ich vielleicht schon früher durch alte Fabriken gezogen.


Wo finden Sie Ihre Inspiration für die einmaligen Schauplätze, die teilweise echte Geheimtipps sind? Konzentrieren Sie sich hauptsächlich auf die Internetrecherche oder nehmen Sie vorher auch gezielt Kontakt zu Insidern oder „Einheimischen“ auf? Ist es sogar schon vorgekommen, dass begeisterte Leser Ihnen Tipps zukommen ließen?

Arno Specht: Die Internetrecherche steht ganz klar in Vordergrund – zumal ich mich in meinen Büchern mit Städten befasst habe, die einige hundert Kilometer von meinem Wohnort entfernt sind. So auf gut Glück durch die Gegend fahren und warten, bis man über was Marodes stolpert, geht da schlecht. Dabei ist es eigentlich das schönste, wenn man aus Zufall auf ein Objekt stößt, das noch in keinem der einschlägigen Foren präsentiert wurde. Man hat da so ein wohltuendes Erstentdeckergefühl …

Uwe Schimunek: Als ich zu dem Projekt gestoßen bin, hatte Arno schon eine Reihe bekannter, attraktiver Ruinen besucht. Als Leipziger konnte ich dann sehr wohl mit dem Fahrrad herum fahren, aber auch Freunde fragen. So sind wir auf ein paar echte Geheimtipps gestoßen, die in keiner anderen Publikation auftauchen. Ein Beispiel ist die Fabrik für Brauereimaschinen. Einige der Objekte kannte ich von den Recherchen zu meinen historischen Krimis. Da hatte ich schon ein paar Geschichten parat.


Haben Sie sich vor der Erkundung der alten Gemäuer immer eine Genehmigung ausstellen lassen oder zum Teil auch Sonderregelungen bekommen? Den Bahnhof Wernerwerk von der stillgelegten Siemensbahn könnte man aktuell nämlich ansonsten nur mit Flügeln besichtigen oder möchten Sie darüber lieber nicht sprechen?

Arno Specht: Gute Frage – nächste Frage bitte!


Welcher Schauplatz hat bei Ihnen während der Recherchereise am meisten Eindruck hinterlassen und bei welchen waren Sie froh, als Sie den Ort (wegen unangenehmer Gerüche oder anderer Faktoren) wieder verlassen durften?

Arno Specht: Ein Ranking fällt mir hier schwer, weil es so viele Orte waren, von denen jeder etwas ganz Besonderes hat. In Leipzig fand ich die Atmosphäre in den Bleichert-Werken toll, und Klassiker wie Beelitz faszinieren mich bis heute – sowohl wegen der historischen Hintergründe als auch wegen der wunderbaren Gründerzeit-Architektur. Froh, wieder rauszukommen, bin ich eigentlich nie. Eine der seltenen Ausnahmen war ein Krankenhaus im Schwarzwald. Dort entdeckten wir in einem abgedunkelten Raum einen Stuhl mit Resten von Fesseln an Armlehnen und Stuhlbeinen, dazu jede Menge roter Spritzer an Wand und Boden – die sich dann aber als Spuren einer Low-Budget-Horrorfilm-Produktion entpuppten.

Uwe Schimunek: Ein besonderes Objekt möchte ich auch nicht hervorheben. Aber was mich echt überrascht hat, war der Klang in den Ruinen – herunterfallende Wassertropfen, das Pfeifen des Windes, das Knirschen der eigenen Schritte. Das ist schon unheimlich, aber eben auch unheimlich schön.


In den Büchern gibt es immer auch wieder berechtigte Hinweise auf Risiken durch marode Wände und einsturzgefährdete Böden. Wurde es für Sie während der Touren auch schon mal gefährlich?

Arno Specht: Direkt gefährlich war's bis jetzt nie – zumindest haben wir's nicht bemerkt …


Gab es (un)schöne Begegnungen mit Urban Explorern oder Anwohnern während der Besichtigung, die Sie uns mitteilen möchten?

Arno Specht: Die Treffen mit anderen Explorern sind in der Regel ausnehmend entspannt: Man plaudert etwas, tauscht sich aus – da habe ich nur nette Erinnerungen. Mit Anwohnern habe ich auch nur einmal schlechte Erfahrungen gemacht: In Leipzig verwickelte uns ein älteres Ehepaar so lange in ein Gespräch, bis die zuvor bereits alarmierten Polizisten auch wirklich eingetroffen waren. Die nahmen das dann aber – wohl zur Enttäuschung der Nachbarn – eher locker.


Der Erfolg Ihrer Bücher im Jaron Verlag gibt Ihnen recht. Warum glauben Sie können sich vor allem Jugendliche so für die verlassenen Plätze begeistern – abgesehen von dem Kick des Verbotenen bei illegalen Partys und überdauernder Spray-Zeichen?

Arno Specht: Junge Leute gingen schon immer auf Entdeckungstouren – nur dass das früher von niemandem gleich zum Trend erklärt wurde. Dass vergessene Orte seit ein paar Jahren immer mehr Menschen – und nicht nur Jugendliche – interessieren, ist sicher auch eine Reaktion auf eine Umwelt, die immer durchgestylter und inszenierter wird. Ob Shoppingmall, Wellnessbad, Erlebnisgastronomie oder Freizeitpark – wir bewegen uns immer häufiger in ebenso perfekten wie keimfreien Kulissenwelten. Das weckt dann schon mal den Wunsch nach dem größtmöglichen Kontrast: Die trashige, schmutzige, etwas unheimliche aber zu 100 Prozent authentische Ruine.

Uwe Schimunek: Ein verlassener Raum ist eben auch ein Freiraum. Und wenn er verlassen ist, kostet er nichts - außer Überwindung. Das ist für Studenten, Kreative und Partyvolk natürlich attraktiv.


Wie lange dauert eigentlich der Schaffungsprozess vom ersten Ausflug bis hin zur fertigen Ausgabe?

Arno Specht: Das ist unterschiedlich – beim Leipzig-Buch war es etwas mehr als ein halbes Jahr, also relativ zügig. Möglich war dies aber nur, weil ja als Team gemeinsam mit unseren Mit-Fotografen Babett Köhler und Adrian Specht gut zusammen gearbeitet haben.


Sind noch weitere Städte für die beliebte „Geisterstätten“-Reihe neben Berlin, Dresden und Leipzig in Planung? In Brandenburg gäbe es zum Beispiel auch viele Ruinen mit interessanter Geschichte, die teilweise sehr gespenstisch liegen. Wenn ja, werden sie dort wieder gemeinsam unterwegs sein? Wann können wir Leser dann mit einer Veröffentlichung rechnen?

Arno Specht: Gerade habe ich den Berlin-Band überarbeitet, vier Texte wurden dafür ausgetauscht. Und dann? Mal sehen. Ein konkretes Projekt gibt's noch nicht, aber die eine oder andere Idee. Aber die muss noch reifen.


Ihr Sohn ist als Photograph immer dabei und fängt die Atmosphäre gekonnt ein. Läge es da nicht nahe, die Eindrücke in einem Bildband in Großformat (und schwarz-weiß?) auf den Markt zu bringen?

Arno Specht: Großformat klingt immer gut – das muss sich aber auch tragen. Unsere Fotos sind nun mal nicht die klassischen Motive für einen Coffeetable-Bildband, den sich ein zahlungskräftiges Publikum gerne dekorativ in die Wohnung legt. Beim Thema schwarz-weiß bin ich eher skeptisch – wir sind beides überzeugte Farb-Fotografen, außerdem gibt’s hier bereits eine sehr hübsche Reihe. Das wäre dann doch etwas nachgemacht.


Was halten Sie davon, wenn ehrwürdige Bauten beispielsweise zu schicken Eigentumswohnungen saniert werden? Ist es ein unnötiger Eingriff in den Verfall oder konserviert es geschickt und praktisch zugleich die Erinnerung an die Geschichte? Würden Sie eventuell gerne selbst in solchen eindrucksvollen Räumen leben wollen?

Arno Specht: Wenn ich durch verfallenen Bauten ziehe, habe ich immer eine zwiespältiges Gefühl: Einerseits reizt der Charme des Morbiden, andererseits ist es oft ein Jammer, welch hochwertige Architektur hier zerfällt. Insofern begrüße ich es, wenn Gebäude saniert und neu genutzt werden, auch wenn sie für Fotografen wie mich dann natürlich verloren gehen. Ob es freilich immer das Edel-Loft sein muss, das sich nur eine bestimmte Zielgruppe leisten kann, ist eine andere Frage …

Uwe Schimunek: Wenn man gerade die Bleichert-Werke nimmt, ist es schon ein Jammer, dass solche tollen Gebäude ganz in der Nähe der Innenstadt vor sich hin verfallen. Und in Leipzig gibt es schon eine Reihe alter Fabriken, die tolle Nutzungskonzepte haben. Man denke nur an das Gelände der alten Spinnerei, wo die Künstler der Neuen Leipziger Schule ihre Ateliers haben.


Uwe SchimunekIm Rahmen der vergangenen Buchmesse in Leipzig haben Sie eine Lesung zu dem aktuellen Buch gehalten. Waren Sie aufgeregt davor ihre Recherchen einem Live-Publikum vorzustellen? Wird es weitere Lesungen geben, vielleicht sogar am Ort des Geschehens?

Arno Specht: Ich gehöre ja nicht zu den Lesungs-Routiniers, insofern war ich am Anfang schon etwas nervös. Das legte sich aber schnell – und hat Lust auf mehr gemacht.

Uwe Schimunek: Ich lese oft aus meinen Krimis. Aber ein bisschen Aufregung gehört dazu. Wenn es sich wieder ergibt, machen wir sicher wieder etwas zusammen. Es hat mit Arno und der Fotografin Babett Köhler jedenfalls viel Spaß gemacht.

Herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen! Weiterhin viel Erfolg und passen Sie auf sich auf, wenn Sie zwischen Asche, Staub und Schutt für uns nach neuen Attraktionen stöbern.