Smaller Default Larger

"Aber etwas war geblieben. Die Eibe, die ich als Junge so häufig hinaufgestiegen war und deren eigenartig dumpfen Geruch ich noch immer in der Nase hatte, erhob sich in einer nur wenige Quadratmeter großen, dunklen und verwilderten Ecke wie ein stummer Zeuge im Wartestand. Sie hatte miterlebt, was mir verborgen blieb, als ich als Junge hinaufgeklettert war und von oben die Welt der Nachbargrundstücke betrachtet hatte. Jetzt wusste auch ich, was die Großmutter wusste, mir aber nie erzählt hatte, wenn sie am Fenster stand und hinausblickte."

Thomas Medicus unternimmt eine literarische Spurensuche, die ihn in die Vergangenheit seiner Heimatstadt und der eigenen Familie führt. Er erzählt von einem Verbrechen, das heute wie ein Vorzeichen wirkt, von J.D. Salingers Zeit als GI in Deutschland und einem jugendlichen Aufbruch. Geschichte wie unter dem Brennglas – von den Anfängen der Nazizeit über Krieg und Stunde Null bis weit in die junge Bundesrepublik hinein – und eine ebenso aufrichtige wie poetische Annäherung an das, was man Heimat nennt.

 

Heimat 

Autor: Thomas Medicus
Verlag: Rowohlt Berlin
Erschienen: März 2014
ISBN: 978-3871347610
Seitenzahl: 288 Seiten

Hier geht's zur Leseprobe


Inhalt, Stil und Sprache
"Heimat" – ein Titel, der viele Assoziationen hervorruft. Der Untertitel "Eine Suche" lässt diese noch anwachsen. Aber eigentlich ist alles schon vom Autor festgelegt und Spielraum nicht vorhanden. "Heimat" ist der Ort, an dem man geboren wurde und seine Kindheit verbracht hat. Basta. "Eine Suche" müsste konkreter "Die Suche" heißen, denn Medicus sucht nach den Geheimnissen seiner Kindheit, jenen Geheimnissen, die alle kennen, aber keiner an die Kinder weitergibt. Zum einen sind das Klatsch und Tratsch, aber, wie in diesem Fall, die Ereignisse in Gunzenhausen, Medicus' Geburtsort, während der Nazizeit. Er berichtet autobiographisches, schweift dabei aber immer wieder ab in die Vergangenheit, die nicht vergehen will. Er kehrt oft zu den Ereignissen an Palmsonntag 1934 (Blutpalmsonntag) zurück, schildert diese mehrfach, im Überblick und im Detail. Geht dabei sogar auf die Biographie eines der Haupttäter ein. Recht bald informiert er den Leser darüber, dass der berühmte Schriftsteller J.D. Salinger ("Der Fänger im Roggen") als GI in Gunzenhausen, das er nur G. nennt, stationiert war. Nun folgt eine Teilbiographie Salingers, inklusive der Schlacht im Hürtgenwald und einem Exkurs zu Kriegsneurosen. Das einzige Verbindungsglied ist dabei, dass der Autor Salinger verehrt. Er reist sogar an dessen Wohnort, wo dieser sehr zurückgezogen gelebt hat. Diese "Suche", die sich über viele Jahre hinzieht und immer nur in kleinen und kleinsten Schritten vollzogen wird, ermüdet auf die Dauer. Da ist man dann wirklich erleichtert und froh, dass der Autor das Jammertal verlassen konnte und sich nun nicht mehr als "Heimatgefangener" empfindet. Dazu haben die Schulprojekte – Erforschung des jüdischen Lebens der Kleinstadt – der "Stephani-Mittelschule" in Gunzenhausen nicht unerheblich beigetragen; der Autor sieht seine Heimatstadt nun wesentlich positiver.

So ganz genau weiß man nicht, wie man dieses Buch einordnen soll – ist es eine Autobiographie, eine Biografie Salingers, eine Abrechnung mit der Provinz, oder vielleicht deren Loblied, eine Dokumentation, ein Erinnerungsbuch, das jüdischem Leben in Gunzenhausen gewidmet ist? Alles und noch ein bisschen mehr. Aber nichts erschöpfend ausgearbeitet. Nur das was er, Medicus, grade gebrauchen kann auf seiner Suche nach der verlorenen Kindheit. Salinger hat mich nun gar nicht interessiert, dafür hätte ich gerne mehr erfahren über die Schulprojekte. Leider wird man mit einer Internetadresse abgespeist. Zu allem Unglück, möchte man fast sagen, passt auch noch die Sprache. Was ja anfürsich schon mal gut ist, aber die seitenlangen, zum Teil wirklich poetischen Beschreibungen langweilen oder lullen ein. Hier und da wirds auch mal "blumig". Man wünscht sich, dass es endlich mal vorangeht. Und dann wird man mit der positiven Wendung geradezu überfallen. Man legt das Buch etwas ratlos zur Seite und muss an Deutschlehrer denken, die noch Wert auf eine gut ausgearbeitete Gliederung und gründliches Nachdenken darüber, was man eigentlich mitteilen will, gelegt haben.


Aufmachung des Buches
Das Buch ist hellgrau eingebunden mit Lesebändchen und besitzt einen Schutzumschlag. Dessen Cover zeigt ein wogendes Getreidefeld im Frühjahr unter tiefhängenden Wolken. So wirklich einladend wirkt es nicht, weist aber bereits auf die etwas düstere Stimmung der Biografie hin. Einige schwarz-weiße Fotos ergänzen den Text. Der Anhang "Literatur" findet sich am Ende des Buches, allerdings wird nicht klar, ob es sich um verwendete und / oder weiterführende Literatur handelt. Natürlich fehlt weder die Danksagung, noch der Bildnachweis.


Fazit
Ein literarischer Eintopf, bei dem weniger mehr gewesen wäre.


2 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de oder deinem Buchhändler vor Ort

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo