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Robert Seethaler erzählt von dem Seilbahnarbeiter Andreas Egger, dem Unglück und Glück widerfährt, über den die Zeit hinweggeht und der am Ende versöhnt und staunend auf die Jahre blickt, die hinter ihm liegen. Es ist eine einfache und tief bewegende Geschichte. Die Geschichte eines ganzen Lebens.

 

Ein ganzes Leben 

Autor: Robert Seethaler
Verlag: Hanser Berlin
Erschienen: 28. Juli 2014
ISBN: 978-3-446246454
Seitenzahl: 160 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Nach dem frühen Tod seiner Mutter kommt Andreas Egger 1902 im Alter von etwa 4 Jahren in das kleine Dorf in einem abgeschiedenen Tal in den Bergen. Widerwillig nimmt der Bauer Hubert Kranzstocker das uneheliche Kind seiner Schwägerin bei sich auf. Ungeliebt, gedemütigt und regelmäßig misshandelt wächst er als Außenseiter durch die harte Arbeit am Hof zu einem kräftigen, jungen Mann heran - zudem durch einen schlecht verheilten Beinbruch ein wenig hinkend, nachdem sein liebloser Ziehvater einmal beim Schlagen zu fest zugelangt hatte. Mit 18 Jahren verlässt Andreas nach einer Auseinandersetzung mit dem Großbauern den Hof. Zunächst schlägt er sich als Hilfsknecht durchs Leben, baut sich eine kleine Hütte am Rande der Baumgrenze und hilft später als Gelegenheitsarbeiter beim Bau der ersten Seilbahn im Tal. Mit Marie, dem neuen Schankmädchen im Wirtshaus, lernt er seine große Liebe kennen. Doch ihr gemeinsames Glück ist nur von kurzer Dauer und wird auf tragische Weise durch die Urgewalten der Natur beendet.

Nach seinem erfolgreichen Vorgängerroman „Der Trafikant" ist dem österreichischen Schriftsteller Robert Seethaler mit seinem neuen Buch erneut ein beeindruckender Roman gelungen. Auf gerade einmal 160 Seiten erzählt er das schlichte, eher ereignislose Leben des Andreas Egger in einer sehr berührenden Geschichte, die einem noch lange nachhaltig in Erinnerung bleibt. Trotz der Schwere des Inhalts ist „Ein ganzes Leben" ein eher stiller, faszinierend leichter Roman, dem Seethaler mit seiner schönen, eindringlichen Sprache und seinem ausgefeiltem Erzählstil eine ganz besondere Note verliehen hat.


Stil und Sprache

Nicht gerade spektakulär liest sich die Kurzbeschreibung zu diesem Roman. Doch schon nach wenigen Seiten übt die Erzählung mit ihrem sehr mystischen Beginn einen besonderen, intensiven Sog auf den Leser aus und zieht ihn unweigerlich in ihren Bann. In ein rückständiges Bergdorf inmitten der Alpen Anfang des 20. Jahrhunderts versetzt die Autorin den Leser und lässt ihn am bedrückenden Leben des Waisenjungen Andreas Egger auf dem Hof seines gewalttätigen Ziehvaters teilhaben. Sehr einfühlsam und plastisch zeichnet Robert Seethaler die Szenen des damaligen, bäuerlichen Alltagslebens, gibt Einblicke in eine Welt, die sich heute kaum noch jemand vorstellen kann und schafft eine sehr authentische und eindringliche Atmosphäre. Ob nun die harte, alltägliche Arbeit, die seelische Vernachlässigung und körperlichen Misshandlungen, der Leser erlebt hautnah Andreas schwierige Kindheit und Jugend mit, die man alles andere als leicht bezeichnen kann, und sein Wesen nachhaltig prägen.

Beinahe beiläufig entfaltet der Autor die faszinierende Lebensgeschichte seines kleinen Helden mit all seinen persönlichen Niederlagen und Verlusten, der den gewaltigen Wandel der Zeiten und atemberaubenden Fortschritt eines Jahrhunderts in diesem abgeschiedenen Tal an sich vorüberziehen sieht und die Gräuel des 2. Weltkriegs miterlebt hat – doch all dies scheint keinen großen Eindruck auf ihn und sein Inneres hinterlassen zu haben. Auch der Leser erlebt all die Geschehnisse aus der Außenperspektive in der dritten Person in der Vergangenheitsform und hat das Gefühl, unmittelbar neben der Hauptfigur zu stehen und ihr über die Schulter zu schauen.

Die Einfachheit des bäuerlichen Dorflebens und die beeindruckende Kulisse der alpinen Landschaft mit ihren Naturgewalten setzt Seethaler gekonnt dem technischen Fortschritt im 20. Jahrhundert entgegen, der allmählich aber unaufhaltsam Einzug in das Bergdorf hält, einen rasanten Gesellschaftswandel mit dem aufkommenden Tourismus aber auch ökologische Probleme für die Alpenregion nach sich zieht.

Seethaler ist ein wunderbarer Erzähler, dessen ruhiger Erzählfluss und betont sachlich gewählte Sprache den Leser gefangen hält. Bemerkenswert ist seine eindringliche, stilistisch präzise, ausgefeilte Sprache, die mit ihrer Leichtigkeit einen faszinierenden Kontrast zu Eggers harten, trostlosen Leben darstellt. Wie es auch die Wesensart der Hauptfigur ist, werden die emotionalen, tragischen Momente seines Lebens sehr sachlich und nüchtern geschildert, so dass der Leser bisweilen sehr bewegt und nachdenklich innehält. Intensiv, bildgewaltig und realistisch lässt der Autor Ereignisse und Landschaft lebendig werden, ohne jedoch übertrieben oder zu pathetisch zu wirken.


Figuren
Mit viel psychologischem Feingefühl ist es dem Autor gelungen, seine Hauptfigur authentisch und glaubhaft zu zeichnen und ihm Leben einzuhauchen. Mit geschickt platzierten Details versteht er es, Eggers oft fremde Gedankenwelt transparent und sein Handeln bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar zu machen und den Leser intensiv, aber dennoch sehr unaufgeregt an seinen Glücksmomenten und Schicksalsschlägen teilhaben zu lassen.

Sehr plastisch stellt Seethaler Egger als einen in sich ruhenden, sehr genügsamen und stillen Menschen dar, der sein einfaches, entbehrungsreiches Leben mit beachtlicher Ruhe, Gelassenheit und großer Langmut meistert - stets im Einklang mit der Natur und tief verwurzelt mit seiner Heimat. In den Augen vieler Mitmenschen ist Egger ein verschrobener Sonderling, der auf den ersten Blick beinahe für einfältig und geistig zurückgeblieben gehalten werden könnte - doch je mehr man Einblick in sein Wesen erhält, desto mehr Sympathie und Respekt bringt man ihm als starke Persönlichkeit, seiner anspruchslosen Lebensweise und faszinierenden Lebensweisheiten entgegen.

Trotz seiner leidvollen Kindheit, vieler Ungerechtigkeiten und Schicksalsschläge, die dem Protagonisten widerfahren, beschreitet er seinen Alltag mit unerschütterlicher Beständigkeit und Lebenskraft. An seinem Lebensende oft einsam, vermag Egger ohne jegliche Verbitterung auf die Vergangenheit und sein erfülltes Leben zurückzuschauen und dem Tod voller Gelassenheit entgegen zu blicken, denn ihm ist es stets gelungen, sein Schicksal voller Dankbarkeit und Zufriedenheit anzunehmen.


Aufmachung des Buches
Ein ganzes Leben von Robert Seethaler ist als gebundenes Buch mit Schutzumschlag erschienen. Obwohl das elfenbeinfarbene Buchcover äußerst schlicht gehalten ist, zieht es die Blicke auf sich und weckt Neugierde. Beinahe die gesamte obere Hälfte des Covers nehmen der Autorenname in blau und der Buchtitel in Orange ein. Das recht kleine, unscheinbare Umschlagmotiv ist rechts im mittleren Drittel des Covers platziert, zeigt die Rückenansicht eines mit einem Rucksack bepackten Manns in einfacher Arbeitskleidung und passt sowohl zeitlich, als auch stilistisch sehr gut zum Inhalt. Insgesamt ist die Aufmachung dieses schmalen Büchleins sehr geschmackvoll und ansprechend.


Fazit
Mit seinem außergewöhnlich leichten, poetischen Schreibstil ist dem österreichischen Autor erneut eine wunderbare, äußerst bewegende Erzählung gelungen, die noch lange nachhaltig in Erinnerung bleibt. Ein sehr empfehlenswerter Roman, der eine große Leserschaft verdient!


5 Sterne


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