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Leben und Sterben lassen

Ihr erster Gedanke war, dass man sie lebendig begraben hatte. Dass sie sich in einem Sarg befand. Unter ihrem Rücken spürte sie Holz, und dicke Bretter befanden sich zu ihrer Linken und zu ihrer Rechten, so nah, dass sie gerade noch den Arm heben konnte, um zu erfühlen, dass auch über ihr Holz war. Nie zuvor hatte sie Angst vor engen Räumen gehabt. Doch dieser Raum machte ihr große Angst.

Ein düsterer Schocker aus der Feder des Horror-Großmeisters Jack Ketchum.

 

Lebendig 

Originaltitel: Right to Life, Brave Girl, Returns
Autor: Jack Ketchum
Übersetzer: Kristof Kurz
Verlag: Heyne
Erschienen: Mai 2014
ISBN: 978-3-453-67658-9
Seitenzahl: 224 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Sara Foster und Greg Glover kennen sich seit nunmehr sechs Jahren. Sie hat eine gescheiterte Ehe hinter sich und trauert nach wie vor um ihren verstorbenen Sohn Daniel. Er ist verheiratet und hat einen Sohn namens Allan. Das zwischen den beiden ist wahre Liebe, dennoch kann es vorerst keine gemeinsame Zukunft für sie geben. Als Sara ungeplant schwanger wird, sind sie sich über die Lösung des Problems einig. Abtreibung! Am Tage ihres Termins lässt Greg Sara vor der Klinik aussteigen, um eben noch schnell das Auto zu parken. Plötzlich ist Sara spurlos verschwunden. Was zunächst keiner ahnt: Sara hat es sich nicht etwa anders überlegt und ist untergetaucht, nein, Sara wurde entführt.
Als sie zu sich kommt, befindet sie sich halbnackt in einer Art Kiste in einem Kellerraum. Dunkelheit, Kälte und Tränen sind nur der Beginn eines grausamen Martyriums. Ihre Peiniger haben es auf Demütigung, Entbehrung und Kontrollverlust abgesehen – und natürlich auf ihr Baby …

Ein Ketchum, der hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, dennoch mit Spannung und Unbehagen überzeugt.


Stil und Sprache
Dallas Mayr, bekannt als Jack Ketchum, ist der Grand Master der World Horror Convention, wurde mehrfach ausgezeichnet und zahlreiche seiner Werke verfilmt. Mit „Lebendig“ veröffentlicht der Heyne Verlag eine Novelle des Schriftstellers zusammen mit zwei Kurzgeschichten, „Tapferes Mädchen“ und „Rückkehr“, als Bonusmaterial.

Die Inhaltsbeschreibung der Hauptlektüre lenkt den Fokus Richtung religiösem Fanatismus und Kontroverse. Nach anfänglicher Beschreibung von Charakteren und Ausgangssituation stehen jedoch viel simplere Motive hinter Entführung und folgender Tortur. Die ersten Tage versteht Ketchum voll und ganz mit Grauen und Anspannung zu spicken. Die Erzählung aus unterschiedlichen Perspektiven in dritter Person weckt Neugier und böse Vorahnungen. Die Spannung steigt rasant. Als es dann jedoch zu großen Zeitsprüngen und Zusammenfassungen kommt, entsteht eine unwillkommene Distanz zwischen Leser und Hauptfiguren. Angst und Gewalt wirken nur noch oberflächlich. Der Autor nimmt auch an dieser Stelle kein Blatt vor den Mund, verspielt allerdings großes Potenzial. Der Abschluss des Geschehens kommt folglich überhastet und leider wenig überraschend.

Die genannten Kurzgeschichten um Kindesmissbrauch und Abschied versöhnen den Leser trotz begrenzten Umfangs schlussendlich wieder. Beide sind auf ihre Art sehr gelungen.


Figuren
Die Novelle beginnt mit tief empfundener Trauer eines Liebespaares, Sara und Greg, sehr emotional und bewegend. Greg, verheiratet und sich der Pflichten gegenüber seiner Familie stets bewusst, verschwindet allerdings schnell im Abseits des Geschehens. Die Konzentration des Lesers liegt ausnahmslos bei Sara. Ihre Gedanken und Empfindungen zu Beginn der Entführung wecken Gänsehaut. Die Entführer, Stephen und Kath Teach, sind mit Vorsicht zu genießen. Anfangs verstecken sie sich hinter einer vermeintlich einflussreichen Organisation und drohen Sara, ihren Liebsten etwas anzutun, sollte sie sich nicht den festgelegten Regeln und Befehlen fügen. Beide haben ihre jeweils eigenen Beweggründe, die Dreiundvierzigjährige gefangen zu halten.
Sara scheint wie gelähmt, ihre Gedanken überschlagen sich. Doch aus Panik wird Zorn und die Lehrerin beweist Mut und Überlebenswillen. Ihrer Zähmung, dem Schmerz und sonstigen Perversitäten der Peiniger steht sie tapfer entgegen. Und siehe da, auch Stephen und Kath sind nur Menschen und ihr lange gereifter Plan ist nicht vollends durchdacht …

Jack Ketchums Beschreibung von Opfer und Täter wirkt nachvollziehbar, dennoch fehlt in dieser Erzählung das gewohnte Quäntchen Nähe zu den Figuren, die man aus anderen Büchern kennt.


Aufmachung des Buches
„Lebendig“ wird als Deutsche Erstausgabe im Heyne Hardcore Programm veröffentlicht. Titelmotiv und Inhaltsbeschreibung ergänzen sich zweifelsohne. Das Auge des Betrachters sieht ins Gesicht einer blonden Frau, die mit leerem Blick auf Holzplanken liegt. Die Farben erscheinen größtenteils gedämpft. Lippen und Romantitel bieten in dunklem Rot einen vagen Kontrast. Das Taschenbuch liegt angenehm in der Hand, das Schriftbild ist augenfreundlich.

Als Ergänzung zu Novelle und Kurzgeschichten, erhält der Leser ein vollständiges Werksverzeichnis der bei Heyne erschienenen Ketchum-Romane.


Fazit
Jack Ketchums „Lebendig“ ist eine spannende Geschichte zwischen Abtreibung, unerfülltem Kinderwunsch und BDSM-Neigungen, die jedoch durch Zeitsprünge und einem allzu schnell und einfach abgehandeltem Schluss Potenzial hinsichtlich Tiefe und Wirkung verschenkt. Die Kurzgeschichten „Tapferes Mädchen“ und „Rückkehr“ sind gelungene Appetithappen auf mehr.


3 5 Sterne


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