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Ein berührender Roman aus der württembergischen Textilindustrie im 19. Jahrhundert

1854 macht sich der vierzehnjährige Bernhard Schroth auf den Weg von Heubach hinauf auf die Alb nach Lauterburg, um dort eine Weberlehre anzutreten. Bald muss er erkennen, dass sich die Aussichten für zünftige Weber ständig verschlechtern. Technische Neuerungen, die Abschaffung der Zünfte und weltweite Wirtschaftskrisen reißen Bernhard mit in den Strudel der Veränderungen.
Dennoch ist er fest entschlossen, etwas aus seinem Leben zu machen. In Stuttgart lässt er sich zum Korsettweber ausbilden, und als sich die Gelegenheit bietet, in der in Heubach neu gegründeten Korsettfabrik zu arbeiten, kehrt er überglücklich nach Hause zurück. Bald stellt sich auch das lang ersehnte familiäre Glück ein.
Die Korsettindustrie erlebt im Lauf der Zeit ein ständiges Auf und Ab. Als in Heubach eine Fabrik für genähte Miederwaren gegründet wird, ersetzt auch Bernhards Brotherr die Webstühle durch Nähmaschinen. Bernhard verliert seine Arbeit – und seine Welt bricht in Stücke …

 

Zeuglesweber 

Autor: Ines Ebert
Verlag: Silberburg-Verlag
Erschienen: 14. März 2014
ISBN: 978-3-842513136
Seitenzahl: 320 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Die obige Zusammenfassung gibt bereits einen sehr guten Überblick über die Handlung der größtenteils fiktiven Familiensaga, die während der Industrialisierung und den Anfängen der württembergischen Korsettfertigung im 19. Jahrhundert angesiedelt ist. 

In ihrem historischen Roman ist es der Autorin Ines Ebert sehr eindrucksvoll gelungen, die bewegende Lebensgeschichte des Korsettwebers Bernhard Schroth in die sorgfältig recherchierten Hintergründe der damaligen Zeit einzubetten, und die dramatischen Veränderungen im Weberhandwerk und die Schicksale der betroffenen Korsettweber authentisch und glaubwürdig zu schildern.


Stil und Sprache
Zu Beginn braucht man etwas Geduld, um in die Geschichte hineinzufinden, denn die Autorin lässt sich etwas Zeit die Haupthandlung um ihren Protagonisten Bernhard Schroth zu entwickeln und erläutert in Rückblenden recht ausführlich die familiären Ursprünge der Schroths im württembergischen Heubach. Obwohl es sich bei „Zeuglesweber“ weniger um eine spannungsgeladene Geschichte sondern eher um eine eindringliche Milieustudie handelt, gelingt es Ebert dennoch bald den Leser mit ihrem angenehmen, abwechslungsreichen Erzählstil gefangen zu nehmen. Die Autorin hat die Lebensumstände der Menschen und das Lokalkolorit jener Region sehr lebendig und authentisch dargestellt, so dass der Leser mühelos in die damalige Epoche der Industrialisierung im 19. Jahrhunderts abtauchen und diese hautnah miterleben kann. Auch die persönlichen Schicksale der Figuren sind äußerst glaubwürdig in die sorgfältig recherchierten realen Begebenheiten und Hintergründe eingebettet und gekonnt mit der fiktiven Handlung verwoben. 

Ebert gibt viele interessante historische Einblicke in die rasanten Wandlungen im Weberhandwerk hin zur industriellen Fertigung, beleuchtet die politischen Veränderungen und den Einfluss der damaligen Wirtschaftskrise auf die Textilindustrie und bringt dem Leser zugleich sehr anschaulich deren fatale Auswirkungen auf das Schicksal der Bevölkerung und die gesamten Region nahe. Am Beispiel von Bernhards bewegender Lebensgeschichte führt Ebert dem Leser die schwierigen Lebensverhältnisse und die allgemeine Not der Menschen sehr eindringlich und realitätsnah vor Augen - die harten Arbeitsbedingungen, die Beeinträchtigungen durch schlechte Ernten, Geldnot und Krankheiten und der allgegenwärtige Tod durch das frühe Sterben der Kinder und der Mütter im Kindbett.
Erzählt wird die Geschichte aus wechselnden Erzählperspektiven, gelegentlich auktorial, jedoch überwiegend aus Sicht der Hauptfiguren. Zusätzlich werden immer wieder Briefwechsel eingeschoben, die einen interessanten Einblick in die Gefühle und Gedanken der Charaktere geben und für Abwechslung sorgen.

Die Sprache ist recht niveauvoll und der damaligen Zeit angemessen. Sehr passend wären vereinzelt in die wörtliche Rede eingestreute Ausdrücke aus der schwäbischen Mundart gewesen, die für etwas mehr zusätzliches Lokalkolorit gesorgt hätten.


Figuren
In der Familiensaga rund um die Schroths aus Heubach tritt eine Vielzahl von Figuren mit unterschiedlichsten Charakteren auf, die von der Autorin sehr vielfältig und mit viel Liebe zum Detail gezeichnet werden. Gekonnt hat sie insbesondere ihren Hauptfiguren Leben eingehaucht, ihr Innenleben einfühlsam und sehr individuell mit ihren Stärken und Schwächen ausgestaltet und ihre charakterliche Entwicklung im Laufe ihres Lebens plausibel ausgearbeitet. Die jeweiligen Lebensumstände der Figuren werden von der Autorin glaubhaft und lebensnah geschildert, so dass man einen aufschlussreichen Einblick in die Verhältnisse und den Lebensalltag der damaligen Zeit erhält, sich sehr gut in ihre Sorgen und Nöte hineinversetzen und auch ihr Verhalten nachvollziehen kann.

Auch wenn aus dem bewegten Leben der sympathischen Hauptfigur Bernhard Schroth, dem Ururgroßvater der Autorin, nur wenige Eckdaten überliefert sind, ist es Ines Ebert mit bemerkenswerter Empathie gelungen, seine fiktive Lebensgeschichte und die seiner Familie lebendig und überzeugend nachzuzeichnen und lehrreich in den historischen Kontext einzubetten. So kann man sich sehr gut vorstellen, dass sich alles wie geschildert zugetragen hat.
Als Leser nimmt man Anteil am Schicksal der ans Herz gewachsenen Figuren der Familie Schroth aus Heubach aber auch der Familie, bei der Bernhard in die Lehre gegangen ist, und verfolgt, wie sie die folgenschweren Umbrüche in der Handweberei und entbehrungsreichen Zeiten der Industrialisierung zu meistern versuchen.


Aufmachung des Buches
Das broschierte, in einem dunklen Braunton gehaltene Taschenbuch zeigt auf dem vorderen Cover einen Ausschnitt aus dem Gemälde „Maid sewing a lady into a corset“ vom holländischen Maler Constantinus Fidelio Coene (1780-1841). Das abgebildete Motiv einer jungen Frau in Korsett und Unterkleid passt hervorragend zum Thema des Buchs. 

14 Kapitel führen durch den Roman, dem ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt ist. Im umfangreichen Anhang finden sich Anmerkungen der Autorin zu den historischen Hintergründen ihres Romans, ein Glossar, eine aufschlussreiche Schemazeichnung eines Handwebstuhls, die Abbildung eines im Buch erwähnten „Sanduhr-Korsetts“, Quellenangaben, eine weiterführende Literaturauswahl sowie abschließend eine kurze Danksagung der Autorin.


Fazit
Eine bewegende Familiensaga, die dem Leser sehr aufschlussreiche Einblicke in den Wandel der württembergischen Textilindustrie im 19. Jahrhunderts und in die Anfänge der beiden weltbekannten Miederfabriken SUSA und Triumph International gewährt. Aus Sicht des jungen Korsettwebers Bernhard Schroth aus Heubach auf der Ostalb erfährt der Leser viele Details über das damalige Alltagsleben, die sich rasch wandelnden Arbeitsbedingungen der im Weberhandwerk tätigen Menschen und die politischen Situation zu Zeiten der Industrialisierung.

Ein empfehlenswerter, sehr lehrreicher historischer Roman, der eine längst in Vergessenheit geratene Epoche wieder lebendig werden lässt.


4 5 Sterne


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