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Frankfurt, im Jahr 1765. Die Reiche-Schwestern Annmarie, Aurora und Lydia leben in ständiger Furcht, denn ihr Vater Georg wird als Kunstdieb und Kunstfälscher im ganzen Land gesucht. Da begegnet Reiche durch Zufall einem Werber aus dem großen russischen Reich. Im Auftrag von Katharina II. soll er deutsche Bürger in ihr Land holen. Endlich scheint sich für die heimatlose Familie ein Ausweg aufzutun. Doch Russlands Härte trifft sie unerwartet. An der Wolga folgen auf kalte, raue Winter heiße, staubige Sommer. Das Haus, in das die Reiches einziehen, wurde einst von Kalmücken überfallen, die dort lebende Familie ermordet. Immer obsessiver begibt sich Annmarie auf die Spuren von Mariann, der ermordeten Tochter, während Aurora sich mit einem jungen Balten auf eine gefährliche Affäre einlässt und Lydia zwischen zwei Männern wählen muss: dem, den sie liebt und dem, der das Überleben an der Wolga sichert. Die Schwestern kämpfen für den Erhalt ihrer Existenz, für die große Liebe und den verdienten Erfolg. Gelingt es ihnen, ihre harten Schicksale zum Positiven wenden? Ein Epos über das bewegte Schicksal der Wolgadeutschen zur Zeit von Katharina der Großen.

 

Wolgatoechter 

Autorin: Ines Thorn
Verlag: Wunderlich
Erschienen: 18. Juli 2014
ISBN: 978-3805208628
Seitenzahl: 384 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
In den Jahren 1763 bis 1767 folgten viele Deutsche der Einladung der Zarin Katharina II., sich in den russischen Gebieten an der Wolga anzusiedeln. Auch Georg Reiche, der in Deutschland keine Zukunft mehr für sich und seine Familie sieht, lässt sich anwerben und verlässt mit Frau und drei Töchtern die Heimat. 

Laut Inhaltsangabe soll dieser Roman – Zitat: „Ein Epos über das bewegte Schicksal der Wolgadeutschen …“ zu dieser Zeit sein. Die Zusammenfassung verspricht Einiges an Spannung, was die Autorin dann aber leider nicht so recht in ihrer Erzählung umsetzen kann.


Stil und Sprache
Entgegen der Jahreszahl 1765 im Klappentext - als deutsche Aussiedler tatsächlich an die Wolga zogen - spielt das Buch fast 30 Jahre später, denn auf Seite 16 unterhalten sich die drei Reiche-Schwestern über die Hinrichtung Ludwigs XVI. (Januar 1793) und darüber, dass Frankreich nun eine Republik ist. Es gibt keinerlei Daten, an denen man sich orientieren könnte, aber wenn man sich ein wenig in der Geschichte auskennt, fallen immer wieder Details auf, die einfach nicht zusammenpassen. So befand sich Frankreich von 1792-1797 im Krieg mit dem deutsch-römischen Kaiserreich und daher ist kaum anzunehmen, dass - wie auf Seite 10 geschildert - in Frankfurt französische Offiziere in Uniform flanierten. Auch starb Katharina die Große bereits 1796 und hat den Aufstieg Napoleons gar nicht mehr miterlebt – Zitat Seite 316: „ .. ein Feldherr mit Namen Napoleon schickt sich an, sein Reich auszudehnen ...“ Den Krieg gegen ihn, von dem in diesem Zusammenhang die Rede ist, führte ihr Enkel Alexander I. erst Jahre nach ihrem Tod.
Es würde zuviel Raum einnehmen, alle diese Widersprüche zu schildern, weniger informierte Leser werden sich wohl auch nicht daran stören, aber wenn auf dem Vorsatzblatt ein „Historischer Roman“ angekündigt wird, erwarte ich persönlich eine bessere Recherche.

Das Buch lässt sich an sich leicht und flüssig lesen, es gibt ein paar interessante Ansätze – z.B. die Beschreibung der Reise, der Märkte, der Lebensweise der russischen Bevölkerung –, man könnte sich recht gut unterhalten fühlen, wenn es nicht einfach zu viele unglaubwürdige, oft auch widersprüchliche Szenen gäbe, die sogar teilweise geradezu lächerlich anmuten. Ein ganz gravierendes Beispiel hierfür ist die „Malkunst“ von Vater Georg; Zitat Seite 170: „Das war seine Gabe, er konnte malen, was er einmal gesehen hatte …“ und so war es ihm tatsächlich gelungen, vom „Isenheimer Altar“ – einem der bekanntesten Kunstwerke der Renaissance – Fälschungen herzustellen. Zitat Seite 35: „.. beinahe sämtliche Tafeln hatte er schon kopiert und sie hernach mit gutem Gewinn als vermeintliche Originale an Klöster und Kirchen […] verkauft“. Dabei malte er stets im Keller oder auf dem Dachboden, wo doch sogar ein „Laie“ weiß, dass dazu gutes Licht erforderlich ist und man sich auch fragt, wie er das bei der ständigen Flucht von Herberge zu Herberge überhaupt bewerkstelligt hat, von der Beschaffung der Farben für so ein umfangreiches Werk und dem Verkauf in „Kirchenkreisen“ ganz zu schweigen. (Randbemerkung: Ich gestehe, dass ich über diese phantasievolle Darstellung schallend gelacht habe, wobei sich mir aber doch die Frage stellte, für wie leichtgläubig – um nicht zu sagen dumm - die Autorin ihr Publikum hält.)

Die Spannung, die die Inhaltsangabe erwarten lässt, bleibt leider aus. Der Kampf der Schwestern „ ... um die große Liebe und den Erfolg ...“ hört sich in den wenigen Sätzen dort aufregender an, als er dann im Buch weitschweifig geschildert wird. Die Sprache ist eine Mischung von manchmal recht aussagekräftigen Beschreibungen – etwa der „lauten“ Stadt Frankfurt oder der bunten russischen Märkte - und dauernden Wiederholungen, wie der „Schippe“, die Aurora ständig „seufzend“ zieht und der „matten“ Klage ihrer Mutter, dass ihr „... das auch nicht an der Wiege gesungen wurde“.


Figuren
Obwohl sich die Handlung recht gleichmäßig auf die Mitglieder der Familie Reiche verteilt und der Leser sie – sowohl zusammen, als auch jede einzelne Person – als Beobachter von außen begleitet, bleiben die Figuren doch fremd und ihre Handlungen und Gefühle oft nicht nachvollziehbar. Wirkliche Sympathie und Verständnis konnte ich persönlich für keine entwickeln.

Der Vater zerfließt in Selbstmitleid, würde angeblich für seine Familie alles tun, hat ein schlechtes Gewissen, weil es ihm nach so vielen Jahren noch immer nicht gelungen ist, angemessen für sie zu sorgen, macht aber im Grunde nichts, um die Situation zu ändern. Das Verhältnis zu seinen Töchtern wird auf Seite 141/142 aus seiner Sicht geschildert. Lydia ist sein Liebling, trotzdem bestiehlt er sie, über Annmarie – Zitat: „ ... wusste er kaum etwas, sie war ihm sogar ein wenig fremd“ und zu Aurora heißt es - Zitat: „ ... er liebte Aurora, keine Frage, er würde sein Leben für sie geben … „ aber gleichzeitig findet er - Zitat:“... sie war wahrhaftig eine von denen, deren Männern man viel Geld bezahlte, damit sie sie einem vom Hals hielten ...“ - eine merkwürdige Liebe!
Damit wäre die Sechzehnjährige auch schon charakterisiert. Egoistisch, trotzig, ständig jammernd und nörgelnd ist an ihr nicht das Geringste liebenswert. Trotzdem will der ältliche polnische Kaufmann Lucinski sie unbedingt heiraten. Aber zuerst muss er seine häßliche Tochter, ein Mädchen von 14 Jahren, unter die Haube bringen. Auch diese Vater-Tochter-Beziehung strotzt nur so von Widersprüchen, denn – Zitat Seite 251: „ .. er liebte seine Tochter und gedachte ihr den nötigen Schliff beizubringen […] sie hatte die Gestalt eines Schlachtrosses, Haare wie Stroh, den Liebreiz einer Grenzschranke […]. Für Lucinsci ein einziger Alptraum“! Seltsamerweise wird dann auf Seite 378 Bozenas Haar – Zitat: „... das einzige Schöne an ihr“ genannt. Man hat auch hier das Gefühl, dass die Autorin manchmal nicht mehr weiß, was sie wenige Sätze/Seiten zuvor geschrieben hat.
Die Mutter und die zwei älteren Schwestern sind etwas weniger Ich-bezogen, sie helfen einander zeitweise, aber im Grunde geht jede ihre eigenen Wege.


Aufmachung des Buches
Das dunkelgraue Hardcover trägt auf dem Buchrücken in Goldschrift den Titel und den Namen der Autorin. Auf einen kurzen Prolog folgen 43 Kapitel, die nicht näher bezeichnet sind, lediglich der Epilog trägt die Überschrift: „Ein Jahr später“. Ein Nachwort oder sonstiges Material zum Thema gibt es nicht.
Der Schutzumschlag zeigt eine junge Frau im Pelzmantel vor einer winterlichen Stadtansicht.


Fazit
Einen Roman über das Schicksal der Wolgadeutschen habe ich bisher noch nicht gelesen, von daher hat mich das Buch interessiert. Leider konnte mich die Geschichte der Familie Reiche nicht so recht überzeugen, dazu ist der historische Hintergrund zu wenig authentisch und die Charaktere sind in ihren Handlungen nicht wirklich nachvollziehbar.


2 Sterne


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