Sie weiß alles von dir: deine beste Freundin. Und genau das macht sie gefährlich…
Rachel Walsh, Kriminalreporterin des Nachrichtensenders National News Network, wird zu einer Pressekonferenz der Polizei in Brighton entsandt. Als sie den Konferenzraum betritt, sieht sie auf einem Poster neben dem Podium das Bild ihrer ältesten, besten Freundin vor sich: Clara O´Connor. Clara, mit der Rachel drei Tage zuvor in einer Bar verabredet, die dort jedoch nie aufgetaucht war …
Originaltitel: Precious Thing |
Die Grundidee der Handlung
Rachel hat ihre beste Freundin Clara schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, und wollte sich mit ihr eigentlich in einem Club in einer Kleinstadt treffen. Stattdessen trifft sie dort einige ehemalige Schulkameradinnen – von Clara weit und breit keine Spur. Kurz darauf muss Rachel mit Entsetzen feststellen, dass ihre Freundin verschwunden ist und von der Polizei gesucht wird. Ein mörderisches Katz-und-Maus-Spiel nimmt seinen Lauf, in dessen Verlauf Rachel schockiert feststellen muss, dass sie nicht nur einem grausamen Plan zum Opfer gefallen, sondern auch dass aus ehemals unendlichem Vertrauen, absoluter Hass geworden ist.
Unglaublich frisch und wortgewandt hat Colette McBeth diesen Thriller auf Papier gebracht.
Stil und Sprache
Der Leser erlebt den Thriller aus der erzählenden Sicht von Protagonistin Rachel in der Vergangenheitsform. Diese scheint eine Art Monolog mit Clara zu führen, ohne dass diese dabei anwesend ist, und in Erinnerungen zu schwelgen – wenn auch auf negative Weise. Im Verlauf der Handlung kommt eine brutale Wahrheit ans Licht, die Rachel fast an ihrem Verstand zweifeln und ihr Leben Stück für Stück auseinanderfallen lässt. Der Schreibstil von Colette McBeth ist erfrischend, schnörkellos und einfach. Ihr Wortschatz herrlich ausgeprägt und unglaublich abwechslungsreich. Das Ganze wirkt wie ein Rückblick Rachels auf Geschehnisse, die lange zurück liegen und ein Familiendrama der ganz besonderen Güte offenbaren, das in die eigentliche Story raffiniert verpackt ist und die Geschichte in der Geschichte bildet. Am Ende habe ich mich gefragt, wer hier nun die eigentliche Psychopatin ist. Eine irre Mixtur aus aktuellen und vergangenen Ereignissen bildet den Weg dorthin und gibt tiefe Einblicke in die weibliche Psyche.
Colette McBeth hat eine ganz individuelle Eigenart, die Schauplätze und Szenen zu beschreiben. Ich konnte die stickige Luft des Hauses, wo Rachel eine Zeit lang lebte, ebenso riechen wie ich die vollkommende Sterilität von ihrem Londoner Apartment vor mir sah oder den sturmgepeitschten Strand in der Nacht, als sie sich gegen die Windböen stemmte, und schließlich vor einer der Strandhütten stand. Obwohl die Autorin eine seltsam verhaltene Art hat die Dinge zu beschreiben, und Rachel alles mit einer eigenartigen Mischung aus Sarkasmus und Ironie rekapituliert, sah ich durch ihre Erinnerung alles ganz klar und deutlich vor mir. Trotzdem konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich das alles mit einer seltsamen Distanziertheit erlebe und dennoch – groteskerweise - im Geschehen voll drin bin. Klingt widersprüchlich, doch so hat es sich für mich angefühlt. Seltsamerweise hat dies aber auch zu einer hervorragenden Betrachtungsweise der jeweiligen Situation geführt, die mir auf der anderen Seite aber wiederum keine Chance gelassen hat, einen direkten Zugang zur Handlung zu bekommen. Sicher, ich hab jede Zeile aufmerksam gelesen, aber so richtig berühren konnte der Thrillerinhalt mich nicht. Es war, als ob entweder ich oder das Buch unter einer Glocke gewesen ist. Vielleicht ist es aber auch genau dieser Abstand gewesen, der mich das Buch nicht aus der Hand legen ließ – so faszinierend war der Inhalt.
Figuren
Die Autorin wirft ihre Figuren in ein mörderisches Psychospiel, in dem nicht immer klar ist, wer Gut und wer Böse ist. Aber eines ist von Beginn an klar: jeder Charakter überzeugt und wirkt wie aus dem Leben gegriffen. Da gibt es die Chirurgentochter Clara, die Zeit ihres Lebens die Mutter schmerzlich vermisste und dies in einem entsprechenden Verhalten zeigt. Rachel ist ohne Vater aufgewachsen und leidet, seit sie denken kann, unter den Alkoholexzessen ihrer Mutter. Als sich die beiden Mädchen in der Schule treffen, springt sofort der gewisse Funke über und es nimmt ein Drama seinen Lauf, das es gewaltig in sich hat. Wer denkt, dass erwachsene Psychopatinnen schon gefährlich sind, der hat noch nie einen solchen Teenager erlebt – und schon gar keinen weiblichen.
Clara ist eine Schönheit wie sie im Buche steht. Ihre Ausstrahlung und ihr Charme zwingen selbst den trockensten Charakter in die Knie. Doch Clara ist auch depressiv und unberechenbar. Sie muss unter allen Umständen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und sie braucht die unterwürfige und bewundernde Art von Rachel. Dass diese sich aus dieser aufgezwungenen Rolle irgendwann befreit und ihren eigenen Weg geht, passt Clara überhaupt nicht und entsprechend reagiert sie. Aus einstiger Liebe wird Hass – tödlicher Hass.
Rachel ist eine berühmte TV-Persönlichkeit, die sich ihren Weg vom pummeligen Teenager zur wunderschönen erwachsenen Frau hart und eisern erkämpft hat. Vom Babyalter an auf brutale und zerstörerische Weise beigebracht, dass sie ungewollt und ein Nichts ist, und dass sie das Leben ihrer Mutter zerstört hat, überlebt sie diese Art der Erziehung nur dank der liebevollen Zuwendung ihrer Tante Lauren. Trotzdem hinterlässt der verachtende Stil der Mutter seine Spuren. Deren Tod, als Rachel etwa sechzehn ist, ist für sie ein regelrechter Befreiungsschlag, während er ihre Freundin Clara unerklärlicherweise total zerstört. Den Grund dafür erfährt Rachel jedoch erst Jahre später, als sie vor den Trümmern ihres Lebens steht und nur noch einer an sie glaubt: Jake. Dank ihm gelingt es ihr, den Horror der Gegenwart durchzustehen und am Guten in ihr festzuhalten – trotz aller widrigen Umstände.
Aufmachung des Buches
Dieses Klappenbroschur ist farblich sehr kalt und düster gestaltet. Das Covermotiv besteht aus blauen, grauen und schwarzen Farben und zeigt Luftblasen, die nach oben steigen sowie einige Pflanzen im unteren Teil. Streicht man über das Cover, fühlt man, dass der Autorenname leicht erhoben und sehr glatt abgebildet ist. Hält man das Buch dann noch ein bisschen schräg, glänzen dessen Buchstaben. Zwar zieht sich das Covermotiv bis zur Rückseite des Buches, doch hier ist es wesentlich dunkler zu sehen und bildet somit den perfekten Hintergrund für die weiße Inhaltsübersicht des Thrillers. Nicht schlecht, aber auch nicht wirklich aufregend.
Fazit
Ein bizarrer und spannender Thriller, der von abgrundtiefem Hass und grenzenlosem Vertrauen erzählt, aber auch von perfiden Racheplänen und den dunklen Gründen einer weiblichen Psyche. Und einer, der mich am Ende hin und her gerissen zurück gelassen hat. Die Psychologie ist brillant und die Handlung äußerst raffiniert. Wer einmal Lust auf eine andere Autorin und eine etwas andere Schreibweise hat, der ist mit diesem Buch bestens bedient.
Hinweise
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