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Ein mitreißender Roman in einem filmreifen Setting: Rolf Lappert beschwört eine Schicksalsgemeinschaft aus schrägen Figuren, die ihr Leben in die Hand nehmen.

Ben ist 16 und sitzt in dem verschlafenen Kaff Wingroden fest, weil seine Mutter mal wieder mit ihrer Band durch die Lande tingelt und er auf seinen greisen Großvater und die Gärtnerei achtgeben muss. Ein bisschen Schwung in sein Leben bringt Lena, die mit ihrem klapprigen Peugeot ebenfalls hier gestrandet ist. Aber auch Mazlow (sic!), der Visionär des Dorfes, sorgt mit seinen ausgefallenen Ideen für ausreichend Aufregung. Denn bald kreuzen nicht nur UFOs den Himmel über Wingroden, sondern auch junge Hochzeitspaare pilgern in Scharen herbei. 

 

Pampa Blues 

Autor: Rolf Lappert
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag, Reihe Hanser
Erschienen: November 2013
ISBN: 3-423-62564-7
Seitenzahl: 272 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Der sechzehnjährige Ben/Benjamin lebt mit seinem dementen Großvater Karl in Wingroden. Dessen Pflege muss er alleine stemmen, was ihm auch weitestgehend gelingt, ihn aber auch zeitweise sehr fordert, was dazu führt, dass er nach Afrika will, wo sein Vater vor Jahren verunglückte. Unterstützung von Seiten Erwachsener erhält er nicht. Die haben anderes zu tun; die Mutter ist mit einer Jazzband in Europa unterwegs und Maslow, der Dorfzampano und Vaterersatz (?), will das triste Dorf wieder auf Vordermann bringen und benötigt dazu Bens Hilfe. Plötzlich werden Ufos gesichtet und ein Mord passiert. Und dann spült das Schicksal auch noch Lena in Bens Leben und bringt es durcheinander. Er muss sich entscheiden – Wingroden oder Afrika.

Der Roman hat viele offensichtliche Themen – Erwachsen-werden, Landflucht, Demenz, Kriegstraumata – das eigentliche Thema heißt aber Verlust; Verlust von Sicherheit, Heimat, geliebten Menschen, Kontrolle, Identität; und die Bewahrung und Wiedergewinnung derselben. Das ist ein wenig zuviel des Guten. Und die Mischung der Coming-of-Age-Erzählung mit den skurrilen Abenteuern der Dörfler stimmt überhaupt nicht, zumal der Autor meint, er müsse für alle ein überzuckertes Happy End anbieten, das einer Hollywood-Schnulze zur Ehre gereichen würde.
Die Erzählung erinnerte mich, sowohl was ein Teil der angesprochenen Themen als auch einige Figuren angeht, an den Roman "Sansibar oder der letzte Grund" von Alfred Andersch; erreicht dessen Niveau aber nicht mal ansatzweise.
Anmerken möchte ich noch, dass die Pflege eines dementen Angehörigen in beinahe fahrlässiger Weise als Banalität dargestellt wird, was die anstrengende Realität verkennt, die auch Erwachsene häufig an ihre physische und psychische Leistungsfähigkeit bringt – und hier von einem Jugendlichen alleine gemeistert wird.


Stil und Sprache
Die Geschichte wird vom Ich-Erzähler Benjamin verfasst und obwohl sich dieser nicht der aktuellen Jugendsprache bedient, schreibt er doch umgangssprachlich und direkt, allerdings wirkt er dadurch häufig auch spröde und distanziert. Dazu trägt auch die Verwendung des Präsens bei. In der Regel nimmt er die Rolle des Beobachters und Kommentators ein. Von seinem Innenleben erfährt man nicht viel, tiefere Einblicke gewährt er fast nicht. Dafür berichtet er viel Alltägliches von sich, seinem Großvater und den fast ausschließlich männlichen Bewohnern des Dorfes, dessen Tristesse man fast mit Händen greifen kann; ein Ort, der zudem  geographisch nicht festgelegt ist und dessen Beschreibung an verlassene Westernstädte erinnert. Spannung ergibt sich eigentlich nur aus der Frage, ob Ben gehen oder bleiben wird, da ändert auch die Hintergrundhandlung mit UFOs und Mord wenig. Der Erzähler hat Zeit, viel Zeit; umso überhasteter erscheint dann das Ende. Leider lässt der Autor viele Fäden, kaum dass er sie aufgenommen hat, wieder fallen, im Epilog führt er sie dann schließlich zusammen. Statt des allgemeinen Happy Ends hätte mir ein offenes Ende besser gefallen, das den Lesern erlaubt, die Geschichte nach eigenem Gusto weiterzuspinnen. 


Figuren
Die Hauptfigur ist klar der Ich-Erzähler, die heimliche Hauptfigur aber ist Karl, der Großvater väterlicherseits.  Seine Geschichte fand ich interessanter als die aller anderen Personen, auch wenn sie nur angedeutet wird. Mit wenigen Pinselstrichen skizziert Lappert die Dorfbewohner, die allesamt gut charakterisiert sind. Sie erfüllen zwar das eine oder andere Klischee, ohne aber vom Autor vorgeführt zu werden. Lena, die kurz im Dorf auftaucht, bleibt ausgesprochen blass. Eine Figur, die wie Gegori (ein traumatisierter russischer Soldat) eigentlich nur die Aufgabe hat, die Handlung voranzubringen.
Womit ich nun endlich bei Benjamin bin – und von dem ich ehrlich sagen muss, dass ich mit ihm nicht wirklich warm geworden bin. Der Autor ließ mir dazu keine Chance; es ist schon erstaunlich, wie wenig Empathie er seiner Hauptfigur entgegenbringt, im Gegensatz zu seinen anderen z.T. sehr egoistischen und unreifen Figuren. Benjamin ist tief im Inneren noch ein Kind mit einem riesengroßen Schmerz, der nicht vergehen will und der sich nach seinem Vater sehnt. Diese Sehnsucht führt dazu, dass Benjamin sich ausnutzen lässt. Er richtet sein Leben an den Bedürfnissen der anderen aus, anstatt sich selbst wahrzunehmen, und steckt immer wieder zurück, ohne das allerdings zu bemerken. Leider hinterfragt Lappert dieses Verhalten in keinster Weise. Ganz im Gegenteil stellt es für ihn ein Zeichen von Reife dar und er preist es als solches auch noch an. Und da ging mir der Hut hoch – Jugendlichen die Verleugnung des eigenen Selbst zu empfehlen, das grenzt schon an Körperverletzung.


Aufmachung des Buches
Das Cover des Taschenbuchs zeigt eine Zapfsäule im tiefen Gras irgendwo im Nirgendwo bei allerschönstem Sommerwetter. Das wirkt originell und stimmt bereits aufs Thema ein. Die Schrift ist angenehm groß und mit der Danksagung schließt das Buch ab.


Fazit
Das Buch kann man Jugendlichen ob der getroffenen Aussage nicht empfehlen.


1 5 Sterne


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