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Victoria ist eine richtige Kratzbürste, kennt sie doch von Geburt an nur Waisenhäuser und Pflegefamilien. Ihre Gefühle kann sie nur in der Sprache der Blumen ausdrücken: ein Strauß Ringelblumen für Trauer, eine Pfingstrose für Wut. Daher findet sie in einem kleinen Blumenladen einen Job. Mit Immergrün weckt sie zärtliche Erinnerungen in ihren Kunden, bringt mit Maiglöckchen das Glück für sie zurück. Doch ihre Vergangenheit holt Victoria immer wieder ein - auch als sie dem einen Mann begegnet, der ihre Sprache spricht.

 

Die verborgene Sprache der Blumen 

Originaltitel: The Language of Flowers
Autor: Vanessa Diffenbaugh
Übersetzer: Karin Dufner
Verlag: Droemer Knaur
Erschienen: 14.03.2011
ISBN: 978-3426199046
Seitenzahl: 416 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Victoria Jones ist volljährig und kann damit endlich den verhassten Waisenhäusern entfliehen. Ein intaktes Familienleben hat sie nie kennen gelernt, weil ihre leibliche Mutter sie direkt nach der Geburt verlassen hat, und diverse potentielle Adoptiveltern mit der aufbrausenden Art des Kindes überfordert waren und kapitulierten. Als verlässliche Bezugsperson steht ihre Sozialarbeiterin Meredith ihr immer schützend an der Seite und versucht sie in die richtigen Bahnen zu lenken. Victoria ist verbittert, eingeschüchtert und mittlerweile obdachlos, doch sie besitzt die Fähigkeit, mit Blumen Gefühle auszudrücken. Es erscheint allerdings unmöglich, in der Freiheit Fuß zu fassen, weil die unsagbaren Schuldgefühle der Vergangenheit schwer auf ihr lasten, durch deren Ursache sich damals der einzige Mensch von ihr entzweite, der sie wahrlich geliebt hat – ihre Pflegemutter Elizabeth. Kann eine zufällige Begegnung auf dem Blumengroßmarkt mit einem Unbekannten zarte Knospen der Hoffnung hervorbringen oder verschanzt sich Victoria erneut hinter ihrer Mauer aus Schmerz und Trauer?

Die Idee, ein verstörtes Heimkind mit einer Gabe der besonderen Art zu schmücken, hat viel Potenzial, da hier der Kontrast zwischen dunklen Kapiteln der Einsamkeit und den strahlenden Farben in Verbindungen mit dem aromatischen Duft der Blumen noch stärker zur Geltung kommt. Der komplizierte Charakter von Victoria wird durch die Arbeit als Floristin regelrecht geerdet und zeigt, dass jeder Mensch einen Platz in der Gesellschaft verdient – auch mit einem chaotischen Hintergrund.


Stil und Sprache
Die Autorin hat eine sehr ernste und traurige Atmosphäre geschaffen, die sogar die seltenen positiven Intermezzos mit einer kummervollen Aura umgibt. „Die verborgene Sprache der Blumen“ ist also eher kein Buch für alle Stimmungslagen, da es teilweise sehr bedrückend und depressiv anmutet und die Verzagtheit manchmal aus jeder Zeile tropft. „Kaktus heißt, dass ich dich hasse, flüsterte ich und knallte ihr die Tür vor der Nase zu.“ (S.107) Die nonverbale Kommunikation über zahlreiche Pflanzenarten wurde geschickt in das Geschehen eingeflochten und verwurzelte den trübseligen Ballast aus beinahe 20 Lebensjahren mit der ausströmenden Sehnsucht von hasserfüllten bzw. sentimentalen Botschaften.

Die Spannung kam nicht zu kurz, weil der Wunsch, den Grund für das Zerwürfnis von Elizabeth und Victoria zu erfahren, immer mächtiger wurde. Die beiden waren sich so nahe, wie es nur Mutter und Tochter sein können, doch plötzlich bricht ihr Bund. Ein wichtiger und unerwarteter Umstand in Victorias Leben, der ihr alles abverlangt und den Wendepunkt in der Geschichte einläutet, nimmt daraufhin enormen Platz im Roman ein, wenngleich es für mein Empfinden zu viel Platz war. Victoria ist nicht bereit für den Schritt, den sie gehen muss und wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Verantwortung, und ihr Zwiespalt zwischen aufgeben und kämpfen wird verhältnismäßig lang und breit erörtert. So verständlich wie ihre Ängste auch waren, gab es doch vermehrt Szenen, die auf erschreckende Weise zeigten, wie unreif die Volljährige war und damit eine Gefahr für sich und ihre Umwelt darstellte. Vanessa Diffenbaugh hat ihre Erfahrungen mit Pflegekindern an dieser Stelle sehr glaubhaft vorgeführt, denn einerseits wollen viele als autarke Erwachsene gelten und andererseits wie ein Kind dirigiert werden.


Figuren
Die junge Victoria ist keine Protagonistin, der zu Beginn die Herzen der Leser zufliegen werden, da sie mit ihrer ungezügelten Aggression ein Alptraum für Eltern und Lehrer ist. Ihre Mitbewohner schikaniert sie mit Taten und Worten und schert sich in keinster Weise um die gesellschaftlichen Normen, wodurch sie sich selbst in die Rolle der Außenseiterin drängt. Nur schrittweise erfahren wir jene Qualen, die das Mädchens in ihrer Kindheit ertragen musste, welche sie auch zu der ungehobelten Person werden ließen, die dadurch schließlich das Vertrauen in die Menschen vollständig verlor. Trotzdem sind ihre Wutausbrüche nicht einfach zu ertragen, weil das gebrochene Herz mit teuflischen Absichten gefüllt ist und die Leser an einigen Stellen selbst am liebsten resignieren wollen. Wegen dieser abweisenden Art wurde ich bis zum Schluss nicht mit ihr warm, sondern empfand lediglich Mitleid für die kratzbürstige Floristin. Victorias Gabe, mit einigen Blüten mehr auszudrücken als Worte es vermögen, hat aber Respekt verdient, denn diese geheime Sprache aus dem späten 19. Jahrhundert beherrscht nicht jeder.

Ohne die helfenden Nebencharaktere wäre Victoria allerdings verloren gewesen, sodass sie nicht unerwähnt bleiben sollen. Als Mutterrolle bieten sich gleich zwei Frauen in dem Roman an, denn Elizabeth opfert sich hingebungsvoll für ihren Mündel auf; erinnert sie das störrische Kind doch an sich selbst in der Vorpubertät. Sie kann Victoria nach einiger Zeit leider nur noch akzeptablen Beistand in emotionaler Stabilität leisten, da das eigene Leid immer größer wird und schlussendlich die Pflegschaft mit einem Knall zerbricht. Elizabeth bleibt aber immer der Fels in der Brandung und zeigt mit ihrer Ruhe und Pfiffigkeit, wie man unliebsame Marotten mit Geduld und Liebe überwinden kann.
In der Phase der Selbstfindung nach den schützenden Mauern des Heimes tritt Renata in den Mittelpunkt. Die Russin mit einer herzlichen Großfamilie gibt Victoria die Chance, in ihrem Blumenladen genügend Geld zu verdienen, und steht auch sonst wie eine gutmütige Matroschka immer zum besten Zeitpunkt in Reichweite.
Last but not least übernimmt auch ein männlicher Charakter eine nicht zu verachtende Rolle in Victorias Leben, denn Grant ist Elizabeths Neffe und ebenfalls sehr blumenaffin, wodurch er wie ein Seelenverwandter in der Not aufkreuzt. Der Gärtner ist genauso verletzlich und zurückhaltend wie die Protagonistin, aber nicht so stürmisch und damit mein heimlicher Held der Geschichte.


Aufmachung des Buches
Das Cover der gebundenen Ausgabe unterscheidet sich deutlich von dem danach veröffentlichten Taschenbuch. Bei dem Hardcover wird der Leser von einer hübschen Frau mit Blumen in den Händen direkt angeschaut und zum Kauf animiert. Obwohl diese sich nicht mit meiner Vorstellung von Victoria überschneidet, da die Protagonistin den direkten Blickkontakt meidet, ist es durch seine Schlichtheit vor dem dunkelgrünen Grundton trotzdem ein Blickfang. Die Wahl des gezeichneten Löwenzahn beim Taschenbuch ist allerdings stilvoller. Als Bonus findet der Leser ein 10-seitiges Blumenwörterbuch im Anhang mit den gängigen Bedeutungen in alphabetischer Reihenfolge, was ein netter Abschluss der Lektüre ist.


Fazit
Mit ihrem Debüt hat Vanessa Diffenbaugh einen sehr melancholischen Frauenroman mit Tiefgang und aufwühlenden Momenten erschaffen, welcher den Leser an dem harten Leben der Protagonistin teilhaben lässt. Die Eckpunkte von Victoarias Vita sind verstörend, bewegend und dennoch voller Lichtblicke, sodass man sich wunderbar von der Botschaft der Blühpflanzen durch Höhen und Tiefen treiben lassen kann.


4 Sterne


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