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Kategorie: Mythen und Historik

London, Herbst 1888.
Jack the Ripper – wer kennt diesen Namen nicht? Im Herbst 1888 ermordet der weltberühmte Serienmörder fünf Prostituierte auf abscheulichste Art und Weise und versetzt das Londoner East End in Angst und Schrecken.

London, Frühjahr 1889.
Inspektor Frederick Abberline macht Jagd auf die Zuhälter, die ihre “Mädchen” im Akkord arbeiten lassen, um den von Jack verursachten Verdienstausfall wieder wettzumachen.

Doch getrieben von seiner Besessenheit, was Recht und Gesetz betrifft, greift Abberline zu Methoden, die für Scotland Yard bei weitem zu unkonventionell sind, und sein treuer Gefährte, Georg Godly, warnt ihn. Es sei vielleicht an der Zeit, zu verschwinden.

Eine Serie von Morden, die in ihrer Vorgehensweise denen von Jack sehr ähneln, wurde in Paris begangen. Während Abberline den Kanal überquert, um den Mörder aufzuscheuchen, wird Godley mit einem neuen Fall betraut: Ein Arzt, der aufgeschlitzt in einem von innen verschlossenen Raum aufgefunden wird. Einziger Hinweis ist ein arcado-zypriotisches Manuskript, das erschreckende Enthüllungen enthält.

Zwei Untersuchungen, zwei Mörder. Alles ist miteinander verknüpft, das Hypnose-Protokoll ist der Schlüssel und Abberline muss der unerträglichen Wahrheit ins Auge sehen: Er ist Jack the Ripper.

 

Jack the Ripper SplitterDouble 

Originaltitel: JACK L’ÉVENTREUR 1: LES LIENS DU SANG, 2: LE PROTOCOLE HYPNOS
Autor: Francois Debois
Übersetzer: Thomas Schöner
Illustration: Jean-Charles Poupard
Verlag: Splitter Double
Erschienen: Dezember 2013
ISBN: 978-3-86869-694-3
Seitenzahl: 112 Seiten
Altersgruppe: ab 14 Jahre (Empfehlung des Rezensenten)

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Die Grundidee der Handlung
Viele Theorien und Mythen drehen sich um die weltberühmten Prostituiertenmorde in England des ausklingenden 19. Jahrhunderts, die „Jack the Ripper“ zugeschrieben werden. Wie nur wenige Themen sonst hat diese Mordreihe seit Jahrzehnten Autoren und Filme- wie Comicmacher zu dutzenden Projekten inspiriert – so nun auch das Team von Autor Francois Debois, Zeichner Jean-Charles Poupard und Kolorist Guillaume Lopez. Die Stimmung unter der Bevölkerung und bei der Polizei, die Vorurteile gegen Migranten, vorschnelle Verurteilungen und der zunächst konsequente Ausschluss von Verdächtigengruppen wurden dabei sehr gut getroffen und passen zur gesellschaftlichen Struktur der damaligen Zeit. Jack the Ripper ist ein verstörender Blick in die finstersten Regionen der menschlichen Existenz.

Der Comicband ist zweigeteilt: während sich der erste Teil an die (soweit für mich zu beurteilen) gängigen Fakten hält und zugleich in seinen Theorien zur Identität von "Jack the Ripper" vielen Verfilmungen entspricht, spinnt Teil 2 die Szenerie weiter, in dem sie auf ein internationales Setting mit einem verhängnisvollen und skrupellosen Zusammenhang angehoben wird – deutlich mehr Fiktion, aber geschickt durchdacht und beileibe nicht weniger packend erzählt. Insgesamt hält der Leser einen historischen Thriller des viktorianischen Zeitalters in Händen, der so fesselnd ist, dass ich ihn in einem Rutsch gelesen habe.

Die neue Produktgruppe "Splitter Double", zu der Jack the Ripper zählt, ist praktisch die kleinste Gesamtausgaben-Veröffentlichungsform, die bei Splitter erscheint. Darin werden kurze Reihen als Gesamtausgabe zusammengefasst, die schon mit zwei Bänden abgeschlossen sind.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Schon auf seinen ersten Seiten erzeugt der Comicband eine dichte und düstere Atmosphäre. Nicht wenige der ersten Szenen spielen sich im nächtlichen, nebelverhangenen London ab, dessen Umrisse schnell im Dunst verschwinden und dessen gedämpfte Farbtöne – begleitet von tiefen Schatten – einen dreckigen, grüngrauen Touch haben. In ihnen erheben sich Backstein- und Fachwerkhäuser und lassen das viktorianische London Gestalt annehmen. Auch der prasselnde Regen passt zur Stimmung und zum Bild Londons – Zeichner wie Kolorist verstehen es, sofort das richtige Setting für den Fall „Jack the Rippers“ zu initiieren. Den Kontrast hierzu bilden die Einsatzbesprechungen der Polizei in dem von der Sonne hell erleuchteten Hauptquartier.
Ganz anders als das trübe, verregnete London zeigt sich Paris bei dem ersten Blick auf den Seiten 66 / 67 – ein weiter Blick über die Dächer der französischen Hauptstadt, klare und helle Farben und ein trotz einigen Wolken blauer, von Vogelschwärmen belebter Himmel vermitteln eine viel offenere, freundlichere und friedlichere Stimmung.

Dem Zeichner ist es gelungen, die Charaktere sehr zielsicher und realistisch umzusetzen – sie alle wirken glaubhaft, spielen ihre Rollen in diesem Drama überzeugend, ob sie nun Haupt- oder Nebenfiguren sind. Die Bekleidungen und Uniformen sind exakt auf die Epoche abgestimmt, aber – ebenso wie die Handelnden selbst – sehr individuell gehalten. Die Charaktere sind sehr sorgfältig gezeichnet, die jeweiligen Merkmale ihrer Gesichter hervorgehoben und ihre Mimik jederzeit stimmig und glaubhaft. Besonders Inspektor Abberline ist hochcharismatisch mit seinem guten Aussehen, der unwirschen Frisur, dem Dreitagebart und dem scharfen, forschenden Blick. Einige Rückblicke in seine Vergangenheit, aber auch in seine verwahrloste Wohnung zeichnen hingegen das Gesamtbild eines Mannes, der schwere Lasten – auch die des Alkohols – mit sich herumträgt. Ähnlich faszinierend sind die Figuren des Doktor Gull, Leibarzt der Königin, oder des Polizisten George Godley.

Der Anblick der ermordeten Frauen ist an sich schon grausam – gleicht man ihn aber mit den Schilderungen des polizeilichen Leichenbeschauers ab, so wird schnell klar, dass Poupard bei der Wiedergabe der Toten auf bestimmte Details verzichtete, um dem Leser nicht alles zu zeigen und ihn zu schonen.

Poupard war das Umfeld ebenso wichtig wie die Figuren, die er in ihm auftreten lässt, und so hat er nicht nur die verdreckten Straßen, engen Gassen und abwechslungsreichen Fassaden Londons detailreich und sehr ansehnlich gezeichnet, auch die Innenansichten der verschiedenen Räumlichkeiten sind mit viel Liebe zu Einzelheiten und einem genauen Gespür für den Zeitgeist ins Bild gesetzt. Wunderschön sind beispielsweise die Säulenfassade des Royal Opera House und das imposante Treppenhaus innen anzuschauen. Absolut faszinierend ist auch die große und imposante Illustration der London Bridge, die sich noch  im Bau befindet – wer sich hier keine Zeit nimmt und den Blick schweifen lässt, verpasst viele beeindruckende Einzelheiten.

Wie man bei einem historischen Setting zunächst erwartet, sind die Bilder überwiegend klassisch angeordnet und variieren – in ihrer rechteckigen Form – lediglich in der Größe. In besonders dramatischen oder in Schlüsselszenen weicht der Zeichner hiervon bewusst ab, in dem er sich die Panels beispielsweise überlagern lässt und so für mehr Dynamik im Erzählfluss sorgt. Die Bildumrandungen bzw. Stege sind, abhängig von den Szenen, mal in Weiß oder Schwarz ausgeführt und tragen als weiteres Element zur Stimmungsdichte dieses Comicalbums bei.


Aufmachung des Comics
Das Comicalbum ist als Hardcoverfassung im verlagstypischen Großformat aufgelegt worden. Wie man es von Splitter nicht anders kennt, kann sich die Verarbeitung und die Materialwahl von Umschlag und Papier im Inneren sehen lassen, auch der Druck ist tadellos. Einziger Ansatzpunkt für Spitzfindige: der Band hat sich nach dem ersten Lesen minimal verzogen. Dennoch findet sich kein Ansatz eines Rotstiftes, den man bei dem attraktiven Preis des Doppelband-Konzeptes „Splitter Double“ vielleicht hätte annehmen können.

Im Anhang an den Plot findet sich ein achtseitiges Skizzenbuch, das Einblick in die Arbeit von Jean-Charles Poupard gibt. Zugleich erzählt er hier auch über seine Herangehensweise an dieses Projekt.


Fazit
Düster, grauenvoll und von der ersten bis zur letzten Seite spannend – Debois und Poupard ist mit ihrer Interpretation des Jack the Ripper ein großer Wurf gelungen!


5 Sterne


Hinweise
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