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In seinem neuen Roman taucht António Lobo Antunes in den Alentejo ein, das große Herzstück Portugals zwischen der Algarveküste und dem Tal des Flusses Tejo. Hier singen die Bauern vom Meer, obwohl sie es selbst nie gesehen haben; hier züchtet eine Großgrundbesitzerfamilie seit Generationen Stiere für den Kampf, doch nun droht der Ruin. Meisterlich fängt Lobo Antunes diese untergehende Welt ein, in all ihren Stimmen, im Ineinander von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in funkelnden Bildern.

 

Welche Pferde sind das 

Originaltitel: Que Cavalos São Aqueles Que Fazem Sombra No Mar?
Autor: Antonio Lobo Antunes
Übersetzer: Maralde Meyer-Minnemann
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
Erschienen: Oktober 2013
ISBN: 978-3-630-87345-9
Seitenzahl: 448 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Die Zeit des Salazarregimes hat António Lobo Antunes hinter sich gelassen. In seinem neuen und vermutlich letzten Roman mit dem sperrigen Titel Welche Pferde sind das, die da werfen ihren Schatten aufs Meer? konzentriert er sich auf die Zeit des Untergangs nach der Diktatur. Der 1942 geborene portugiesische Autor und langjährige Anwärter auf den Literaturnobelpreis ist schwer krank. Vor diesem Hintergrund mischt er sich hin und wieder in das Geschehen ein und betont, dieses Buch sei sein Vermächtnis.

In vertrauter Vielstimmigkeit beschreibt Lobo Antunes den Niedergang einer erfolgreichen Stierzüchterfamilie und den erwarteten und für sechs Uhr abends vorhergesagten Tod der Dona Maria José Natércia. Während die Familie auf den Tod der Mutter wartet, erinnern sie sich an die gemeinsame Zeit. In unzähligen Bildern erzählen sie von ihren Hoffnungen, stillen Sehnsüchten und aufkeimenden Emotionen. Lobo Antunes lässt nicht nur die Lebenden zu Wort kommen, auch die Toten mischen sich immer wieder ein und es entsteht ein buntes Potpourri aus Vergangenheit und Gegenwart.


Stil und Sprache
Lobo Antunes Sprache liegt eine gefühlvolle und zugleich absurde Poetik zugrunde, die das Thema oft in Wiederholungen umkreist. Sein Stil unterliegt einer eigenen Ordnung und ist nichts für Leser, die an Punkt und Kommas gewöhnt sind und eine stringente Handlung bevorzugen. Immerhin gibt es einige Kommas, aber nur einen einzigen Punkt - am Ende des Buchs – und Stringenz fehlt vollkommen, obwohl die Mitglieder der Familie ihre eigene Geschichte erzählen und sie zu einer Einheit zusammenfügen.

Nicht nur seine Romane über Portugals Geschichte und Gegenwart haben ihn berühmt gemacht, ebenso sein ungewöhnliches polyphones Erzählen, in denen es keinen zuverlässigen Erzähler mehr gibt, trugen zu seinem Erfolg bei.

Auch in seinem neuesten Werk überschneiden sich die Stimmen und zuweilen ist es mühevoll, ihnen zu folgen. Die gewohnte Form der Erzählkunst wird aufgelöst und die multiplen Assoziationen sind eine Herausforderung für die bisherige Denkart. Die Handlung zerrinnt vor den Augen des Lesers, die Vermittlung zwischen Autor und Leser verliert seine traditionelle Bedeutung.

Trotz der ungewohnten Lesart nimmt man Lobo Antunes Bücher immer wieder gerne zur Hand und ist erstaunt über die einfühlsame Stimmung und die empfindsamen Seelen, die die Geschichte tragen.


Figuren
Der inzwischen verstorbene Vater erzählt, wie er und seine Kinder unter den Neurosen und der Liebesunfähigkeit seiner Frau und deren dekadente Großbesitzerfamilie leiden. Er sucht sein Glück in den Casinos und im Alkohol und treibt somit seine Familie in den finanziellen Ruin.

Die Kinder sehen hilflos zu, wie die alte und geordnete Welt der Eltern zusammenbricht, und eine neue entsteht, in der sich weder die Eltern noch die Kinder zurechtfinden. Ihr Leben ist geprägt vom Nihilismus, einem Gefühl der Leere und einer Leblosigkeit im Leben. Ihr einziger strahlender Lichtblick ist das Dienstmädchen Mercília, die die Kinder liebt und ihnen Herzenswärme schenkt. Dennoch kann auch sie nicht die dunkle Färbung des Lebens der Kinder erhellen, sie gehen in der neuen Welt zugrunde.

Lobo Antunes Kunst liegt im Bestreben, eine Verständigung zwischen den tiefsten Empfindungen und Sehnsüchten seiner Figuren und ihrer gewählten Lebensform zu finden. In ständiger Zwiesprache geben sie Geheimnisse preis, wie Beatriz Drogensucht, Anas Prostitution oder ihres Bruders Homosexualität, und sie alle zerbrechen an der Fragilität des Lebens.

Die Gefühlsmonotonie treibt sie zur Unfähigkeit des Lebens und offenbart sich in einer Gefühlskälte, die den Leser erschreckt. Die ausbleibende Trauer nach dem Tod des Vaters und der Schwester Rita, die Toten kommunizieren mit den Lebenden und heben so die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf, wird überwuchert von einem Gefühlsfeld der Verwirrung.


Fazit

Die Darstellung der Gesellschaft in Zeiten des Umbruchs und Aufbruchs thematisiert Lobo Antunes in seinem neuesten Roman in all seiner Schrecklichkeit. Er reflektiert die Kehrseite eines ehemaligen Ideals unter Salazar, in dessen Zeit die Familie zu Reichtum und Anerkennung gekommen ist, zeigt deren verletzte Psyche auf und verharrt in ihren Sehnsüchten. Auch wenn das Erzählte weder aufsehenerregend noch voyeuristisch ist, nimmt einem das Buch durch seinen poetischen Wohlklang gefangen.


4 Sterne


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