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Deine Umwandlung ist garantiert schmerzfrei. Jeder Teil deines Körpers lebt weiter. Sagen sie. Aber wenn jeder Teil von dir am leben ist, nur eben in jemand anderem ... lebst du dann oder bist du tot?

 

Vollendet 

Originaltitel: Unwind
Autor: Neal Shusterman
Übersetzer: Anne Emmert und Ute Mirr
Verlag: sauerländer
Erschienen: 08/2012
ISBN: 978-3411809929
Seitenzahl: 432 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Amerika in nicht allzu ferner Zukunft: Die sogenannte Charta des Lebens besagt, dass menschliches Leben bis zum 13. Lebensjahr streng geschützt ist, Abtreibung ist verboten. Stattdessen können Eltern ihr 13 – 18jähriges Kind quasi nachträglich abtreiben lassen. Sein Körper wird dann „umgewandelt“, in seine Einzelteile zerlegt und als „Ersatzteile“ für andere Menschen verwendet. Als Connor auf dem Weg zu seiner Umwandlung die Möglichkeit zur Flucht erhält, nutzt er seine Chance. Gemeinsam mit Risa und Lev muss er sich vor der Welt verstecken, um bis zur Vollendung seines 18. Lebensjahrs zu überleben… und er ist nicht so allein, wie er denkt …

Ohne zu viel zu verraten, kann ich an dieser Stelle nicht weiter auf die Handlung eingehen. Ich kann aber verraten, dass mir schon angesichts der Grundidee vom „aufgeteilten Menschen“ etwas unwohl war und mir im Laufe der Geschichte so manches Mal die Luft wegblieb. Neal Shusterman zeichnet das Bild einer absolut grausamen und kalten, aber keineswegs ganz unrealistischen Gesellschaft und fordert von seinen Lesern doch einiges an Nachdenken und Hinterfragen ein. Ein solches Thema in ein Jugendbuch verpackt, das ist starker Tobak und nichts für Zartbesaitete. 


Stil und Sprache
Vollendet ist in sieben Teile untergliedert, innerhalb dieser Teile erzählen abwechselnd Connor, Lev und Risa aus ihrer Sicht die Dinge. Zur besseren Orientierung sind die recht kurzen Kapitel mit dem Namen des jeweils Erzählenden überschrieben. Neben den drei Protagonisten kommen aber auch andere Personen zu Wort, die größtenteils aber nur für die jeweilige Szene wichtig sind. So gibt es etwa auch Kapitel, die mit „Lehrerin“ oder „Pfandleiher“ betitelt sind.

Neal Shusterman beschränkt sich angesichts des großen Themas oft auf einzelne Episoden aus der Geschichte der Protagonisten. So wird nicht Levs gesamte Flucht geschildert, sondern nur wichtige Punkte daraus, teilweise weiß man daher als Leser auch zwischendurch nicht alles über die einzelnen Personen. Trotzdem ist man ihnen immer irgendwie nah, denn die kleinen Ausschnitte, die erzählt werden, sind in sich sehr intensiv und regen über die eigentliche Handlung hinaus immer wieder zum Nachdenken an. Die Frage aus dem Rückentext „Wenn jeder Teil von dir am Leben ist, nur eben in jemand anderem ... lebst du dann, oder bist du tot?“ zieht sich durch das gesamte Buch und wird immer wieder in verschiedenen Facetten beleuchtet. Gruselig, aber wichtig und auf jeden Fall wert, sich länger gedanklich damit zu beschäftigen.

Besonders gut gefallen hat mir außerdem, dass Neal Shusterman immer wieder Bezüge zu unserer Realität herstellt. So sind zum Beispiel zu Beginn jedes Teils Texte aus anderen Quellen abgedruckt, die in diesem Zusammenhang schon ziemlich beklemmend wirken, etwa die (so tatsächlich erfolgte) Reaktion des Auktionshauses Ebay auf einen Verkäufer, der seine Seele zum Ersteigern anbot. Da fragt man sich so manches Mal, wie weit Menschen eigentlich in der Realität zu gehen bereit sind - und will es gleichzeitig so genau gar nicht wissen.

Durch die regelmäßigen Perspektivwechsel ist das Erzähltempo von Beginn an hoch, der relativ schlicht gehaltene Schreibstil ermöglicht ein ebenso hohes Lesetempo und lässt das Buch zu einem echten Pageturner werden. Neal Shusterman erklärt die Hintergründe der Story auch nur in kleinen Häppchen und nach und nach, so dass man einfach immer weiterlesen muss, um mehr über die Welt zu erfahren, in der Connor, Risa und Lev aufwachsen. Auch die Details einer sogenannten Umwandlung bleiben lange im Dunkeln, erst ganz am Ende wird der Leser zeitgleich mit den Protagonisten Zeuge einer solchen. Und hier ist auch mein einziger Kritikpunkt: Diese Schilderung ist ein echter Schocker und damit für die angepeilte Zielgruppe (ab 14 Jahren) meiner Meinung nach zu heftig, zumal ja auch die Betroffenen der Wandlung im Alter der potentiellen Leser sind.

Abgesehen davon hat dieser Auftaktband alles, was ein gutes Jugendbuch braucht: Spannung, ein brisantes, angesichts der andauernden Organspendendiskussion aktuelles Thema und einen Plot, der auch ohne großen Cliffhanger am Schluss Lust auf die Fortsetzung macht. 


Figuren
Mit Connor fängt alles an und er steht auch über den Rest des Buches hinweg eindeutig im Mittelpunkt des Geschehens. Er ist ein typischer Jugendlicher, der in einem Wechselbad der Gefühle mit sich und der Umwelt klarkommen muss. Seine Unbeherrschtheit führt nicht nur dazu, dass seine Eltern ihn umwandeln lassen wollen, sondern bringt ihn auch später immer wieder in Schwierigkeiten. Risa dagegen hat früh lernen müssen, immer bedacht zu agieren, andere zu beobachten und ihre Schlüsse zu ziehen. Lev als „Zehntopfer“ seiner Eltern hat ein ganz anderes Leben geführt als die beiden anderen und muss zum ersten Mal erfahren, wie es ist, nicht mehr privilegiert zu sein.

Die drei bilden ein spannungsreiches Gespann und mehr als einmal kochen die Emotionen über. Ihre Interaktionen machen gerade zu Beginn einen Großteil der Spannung aus und auch im weiteren Verlauf ist nie wirklich Ruhe und Harmonie. Der Autor setzt seine Figuren mit wenigen Worten in Szene und beschränkt sich auf genau die Charaktereigenschaften, die für die Handlung wichtig sind. Auf detailreiche Hintergründe wird verzichtet und so bleibt Raum für das aktuelle Geschehen.

Es gibt neben den Protagonisten noch unzählige weitere Beteiligte, die naturgemäß nur grob skizziert werden können. Etliche haben nicht einmal Namen und sind immer nur für einzelne Szenen von Bedeutung. Das geht in Ordnung, weil die Nebenakteure, die wichtiger sind als der Rest, schnell ausgemacht werden können und auch entsprechend ihrer Bedeutung ausgeführt sind. 


Aufmachung des Buches
Das fest gebundene Buch hat kein echtes Covermotiv, sondern zeigt nur den in gebrochenen roten Lettern gedruckten Titel vor einem silbrig-grauen, zerkratzt wirkenden Hintergrund. Schlicht und trotzdem passend, ist der Titel ein echter Eyecatcher, der auf jedem Büchertisch hervorsticht. Innen gibt es die schon erwähnten sieben Teile, die wiederum in kurze Kapitel eingeteilt sind.


Fazit
Vollendet ist der absolut packende, aber auch hochgradig beklemmende Auftakt zu einer dystopischen Trilogie, deren brisantes Thema nicht nur spannend umgesetzt wurde, sondern auch über das Lesen hinaus lange im Gedächtnis bleibt. Grandios und ohne Einschränkung lesenswert!


5 Sterne


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