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Ju Honisch klein


Kurzgeschichten, Gedichte, Lieder und Romane  im Bereich Phantastik: Ju Honisch ist eine recht vielseitige Schreiberin. Ihr ‚Obsidianherz‘ erhielt den Deutschen Phantastik Preis als bestes deutschsprachiges Romandebüt. Wer schwarzen Humor oder Spannung mag, ist bei ihr genau richtig.


Hallo Ju! Vielen Dank, dass du dir zwischen Romanen und Liedern die Zeit nimmst, um einige Fragen zu beantworten. Woran arbeitest du?

Gerade habe ich die letzte Version der „Quellen der Malicorn“ an die Lektorin zurückgeschickt. Das „Lektorat“ von „Schwingen aus Stein“, das im Dezember erscheinen soll, habe ich noch nicht. Im Moment arbeite  ich an dem Konzept eines High-Fantasy-Romans, über den ich noch nichts sagen darf. Nebenbei warte ich auf den endgültigen „Auftrag“, eine King-Arthur-Geschichte für ein kanadisches Anthologie-Projekt zu schreiben. Auf Englisch.


Du hast neben der Anglistik auch Geschichte studiert; dein 2008 erschienenes Debüt ‚Obsidianherz‘ spielt im Jahr 1865. Bist du jemand, der sich gern an historischen Fakten orientiert (oder vielleicht ohne diese erst gar nicht mit dem Schreiben beginnen möchte)? Würde es dich reizen, einen historischen Roman ohne Fantasyanteile zu schreiben?

Ich fühle mich in der Phantastik sehr zu Hause, weil sie mir die Möglichkeit gibt, historische Hintergründe so zu verbrämen, dass ich sie verwenden kann, ohne Bauchschmerzen zu bekommen. Fantasy mit Kulisse ist – selbst wenn die Kulisse wohl-recherchiert ist – immer noch Fantasy.
Ich kann „sogenannte historische“ Romane nicht leiden, bei denen nur ein Klischeebild einer Epoche verheizt und das dann als „wirkliche Vergangenheit“ dargestellt wird. Die „wirkliche Vergangenheit“ war nicht romantisch, sie war trist, voller Krankheiten, Zahnschmerzen, Rechtlosigkeit, Willkür und frühem Tod.
Sollte ich je einen „echten“ historischen Roman schreiben, so würde mein Anspruch als Historikerin voraussetzen, dass ich noch mehr Zeit zum Recherchieren habe. Ich recherchiere nicht wenig für die Phantastik-Romane (da sind keine Fehler drin), die die Epoche nur als Hintergrund nehmen. Wollte ich mich mit der tatsächlichen Politik vergangener Ereignisse in Romanform befassen wollen, würde ich etwas anderes schreiben wollen, als einen dieser schrecklichen „Mittelalter“-Romane (um nur ein Beispiel zu nennen), in denen wenig der aufgezeigten Realität so stimmt. Diese Romane sind im Grunde auch „Fantasy“ – sie werden nur anders vermarktet, weswegen das Bildungsbürgertum sie kaufen kann, ohne sich das Ego zu verbiegen.

Mein liebster historischen Roman ist „Daughter of Time“ von Josephine Tey, ein kurzer historischer Krimi, exzellent recherchiert (möglicherweise gibt es zu den historischen Fakten um Richard III. inzwischen neue Erkenntnisse, aber als der Roman geschrieben wurde, beinhaltete er die Ergebnisse der Forschung bis dahin). Wenn ich so etwas schreiben könnte, wäre ich sehr stolz.


Was macht denn das 19. Jahrhundert für dich – und natürlich auch für die Leser – so reizvoll?

Im 19. Jahrhundert gab es ungeheure Umwälzungen, die alle Aspekte des Lebens betrafen, so dass das „Wissen“ selbst, das bislang in den Köpfen als gegeben und unabänderlich vorhanden war, sich ändern musste. Jahrtausende lang stellte das Pferd das schnellste Fortbewegungsmittel dar. Entfernungen konnte man somit fast standardisiert in Pferdereichweiten angeben. Auch die Übertragung von Nachrichten war nicht schneller; niemand besaß „Vorsprung durch Technik“. Die Eisenbahn hat das geändert. Der Telegraph auch. Das Telefon. Und seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts hatte es ohnehin ein Umdenken im Selbstverständnis dessen gegeben, was man als „Gott und die Welt und die Menschen zwischendrin“ ansah. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert war dieses Umdenken nicht mehr nur Sache einzelner Philosophen und Vordenker. Es breitete sich in den Köpfen der Menschen aus.
Dieser Wahnsinn an Veränderungen nach Jahrhunderten, in denen sich vergleichsweise wenig geändert hatte und alle immer das gleiche glauben – wahrnehmen mussten –, ist ungeheuer spannend. Alles konnte auf einmal anders sein, man musste nur den Mut haben, es anzugehen.

Natürlich ändert sich auch in unserem Leben viel sehr schnell. Aber wir wissen inzwischen, dass die Technik Dinge ändern kann. Wir wissen auch, dass alles Folgen hat – was dem Menschen des 19. Jahrhunderts noch nicht so geläufig war. Alles war erst mal nur „Fortschritt“ und somit „gut“. Heute wissen wir, dass fossile Brennstoffe das Klima verändern, Röntgenstrahlen Nebenwirkungen haben, und so weiter. Doch die Begeisterung einer Ära, die das alles nicht wusste, ist in ihrem fast kindlichen Überschwang schon faszinierend und fast rührend. Alles ändert sich. Und der Bruch mit der Routine ist immer Voraussetzung für Handlung in der Literatur. Aus dem Chaos erhebt sich die „Story“.
Abgesehen davon, mag ich die Romantik, auch wenn ich zu den Ersten gehöre, die Nostalgie in einer faktischen Analyse für verfehlt halten würde. Doch der Mensch ist weniger rational als er vorgibt – oder hofft zu sein. Wir alle brauchen ein bisschen Romantik. Sie ist Öl für das Getriebe der Seele. Daran ist absolut nichts falsch. Wir dürfen träumen. Wir müssen nur den Unterschied wissen.


„Man musste nur den Mut haben, es anzugehen“, sagtest du. Corrisande Jarrencourt beweist im ‚Obsidianherz‘ Mut, als sie in die phantastischen Geschehnisse hineingezogen wird; Charlotte von Sandling wird durch ihre Entscheidungen in der Fortsetzung ‚Salzträume‘ zur Gejagten. War es schwierig, Frauen zu erschaffen, die sich schon von dem Frauenbild des 19. Jahrhunderts unterscheiden?

Es ist mir wichtig, dass meine Heldinnen sich – zumindest nach außen – erst gar nicht so sehr unterscheiden von dem Frauenbild ihrer Zeit. Beide versuchen ja, sich anzupassen. Bei Corrisande verläuft diese Anpassung ein wenig betrügerisch und zweckgebunden, bei Charlotte gibt es einen Entwicklungsprozess, der eine innere Emanzipation in Gang setzt. Dennoch sind sie beide Kinder ihrer Zeit und keine Hosen tragenden Fechterinnen. Sie versuchen zunächst, den Erwartungen zu entsprechen.
Es war mir wichtig, keine „Buffy“ des 19. Jahrhunderts zu schaffen (so sehr ich Buffy mag), die feindlichen Männern einfach nur ins Gekröse tritt. Das würde bei der Mode auch nicht funktionieren. Wer schon einmal ein Krinolinenkleid der 1860er Jahre getragen hat, weiß, dass die Bewegungsfreiheit darin Nahkampf nicht mit einschließt.
Dass allerdings alle Frauen im 19. Jahrhundert nur Heimchen am Herde waren, stimmte damals auch schon nicht. Eine George Sand trug Männerkleidung und reiste mit ihrem Liebhaber durch die Lande, es gab Schriftstellerinnen und Forscherinnen, und viele Frauen in entsprechenden Kreisen hatten durchaus diplomatischen Einfluss – auch wenn die Männer stets versucht haben, die Errungenschaften dieser Frauen zu ignorieren oder schlichtweg im Dunkel der Geschichte verschwinden zu lassen.


Inwiefern lässt sich die Botschaft in diesen Romanen auf die heutige Zeit übertragen?

Botschaften im Text zu finden ist im Grunde Aufgabe der Leser, nicht der Autoren. Wir müssen die Geschichte nur schreiben. Die Interpretation ist dann – erfreulicherweise! – nicht mehr unsere Aufgabe. (Kritiker und Literaturwissenschaftler müssen ja auch etwas zu tun haben.)
Aber vielleicht ist eine mögliche Aussage, dass es das Gute und das Böse auf allen Seiten gibt – ganz banal. Das Böse liegt in der Absicht sowie in der Verblendung. Auch in dem egoistischen Verfolgen einer Idee oder Ideologie ohne Rücksichtnahme auf Andere, Andersartige oder Andersdenkende. Das Gute würde entsprechend die Überwindung von eigenen Grenzen zu einem besseren Ganzen sein. Naiv? Friede, Freude, Eierkuchen? Warum nicht. Krieg, Trauer und Dreck sind schließlich nicht vorzuziehen.
Diese Aussage gilt aber generell. Für unsere heutige Zeit wie für alle Zeit. Dennoch schreibe ich Unterhaltung – keine Moralabhandlung. Aber: Literatur ist stets ein bisschen politisch.


Gibt es ein historisches Ereignis beziehungsweise eine (andere) Epoche, über das / die du gern einmal schreiben würdest?

Das 18. Jahrhundert könnte mich schon auch reizen. Ich habe auch eine Idee für eine Geschichte zur „Jane-Austen“-Zeit. Aber dazu möchte ich noch nichts sagen. Das Mittelalter reizt mich nicht ganz so. Aber die Völkerwanderungszeit fände ich schon auch interessant; auch die frühen Kulturen Mesopotamiens.


Gothic Novel meets Steampunk: Deine Romane bewegen sich in einer Genre-Randzone. So ganz hat sich die Steampunkwelle auf dem Publikumsmarkt ja nicht durchsetzen können, obwohl manche Autoren eine noch immer wachsende Fangemeinde sammeln. Ich denke da an Gail Carriger oder auch Ben Aaronovitch. Wie bist du also zu deinen Geschichten gekommen und wie zum Verlag?

Ich habe mich nicht hingesetzt und mir vorgenommen, jetzt schreibst du Steampunk, das ist „in“ – zumal es noch gar nicht „in“ war, als ich es schrieb. In der deutschen Verlagsszene kannte das noch kein Mensch.
Die Subgenre-Zuordnung ist eher etwas, was der Verlag vornimmt. Ich selbst tu mich sehr schwer mit Genre-Grenzen innerhalb der Phantastik. Zu kleinteilige Definitionen laufen diesem Genre meines Erachtens nach zuwider. Schließlich geht es um Phantasie – und somit um die Überwindung eingefahrener Denkgrenzen. Wir tun uns allen keinen Gefallen, wenn wir alles in zu viele geschlossene Schächtelchen verteilen. Aber diese Meinung muss man nicht teilen.
Die Marketingköpfe der Verlage haben natürlich eine andere Sicht. Sie meinen, sie können anhand von diesen Sub-Sub-Zuordnungen vorausberechnen, ob ein Buch gut ist oder schlecht, spannend oder langweilig, sexy oder bieder – sprich: ein Hit wird oder ein Flop. Sie sind ein bisschen wie Spielsüchtige, die glauben, ein Roulette-System gefunden zu haben. Oder sie halten es mit dem Heiligen Konstantin: „In hoc signis vinces“ – also schnell mal die Steampunkflagge gehisst.

Gail Carriger und Ben Aaronovitch  mag ich sehr. Ben Aaronovitch hätte ich jetzt tatsächlich eher unter „urban fantasy“ eingeordnet. Aber ich will ja gar nicht ordnen, hatte ich gesagt.

Wie bin ich dazu gekommen? Ich mochte das 19. Jahrhundert, spielte „Castle Falkenstein“ und dachte, wieso eigentlich Parallelwelt? Wir haben doch ein wunderbar echtes 19. Jahrhundert. Dann habe ich „Das Obsidianherz“ geschrieben, und die Reaktion der Verlage war: „19. Jahrhundert? Kein Fantasyleser wird sich jemals für das 19. Jahrhundert interessieren!“ Fantasy, das waren schwertschwingende Helden, die sexlos durch die Wälder preschten und Orks erschlugen.
Ich habe jahrelang niemanden für das Buch interessieren können. Es passte in kein Schächtelchen. Ich rechne es heute noch dem Verlag Feder & Schwert hoch an, dass es Leute gibt, die einfach etwas veröffentlichen, weil sie es spannend und gut finden und nicht, weil es in irgendein vorgefertigtes Konzept passt.


Du führst den Leser in deinen Büchern zunächst durch eine Vielzahl an Informationen. Wie sehen deine Vorbereitungen aus, wenn du Figuren sowie Plot erstellst? Strukturierst du jede Szene akribisch durch oder umreißt du sie lediglich?

Ich habe die besten Ideen beim Schreiben. Deshalb habe ich zunächst nur einen groben Plan, der mit zunehmendem Text immer kleinteiliger wird. Ich bin selbst zu chaotisch, um Kapitel nach Kapitel genau vorzustrukturieren. Das würde dann alles sehr konstruiert klingen.
Die Reihenfolge lautet also: Ideen sammeln, recherchieren, grobe Planung, erste Kapitel ins Blaue schreiben, um ein Feeling für die handelnden Personen zu bekommen. Erst wenn die „leben“ geht es weiter mit der feineren Planung. Dann: schreiben und weitere Planung nebenher laufen lassen.


Deine Bücher kommen nicht ohne Humor daher, und manchmal ist er durchaus schwarz. Schimmert da etwa eine Charaktereigenschaft von dir durch?

Ich fürchte ja. Ich habe einen ziemlich rabenschwarzen und einigermaßen britischen Humor.


Noch einmal zurück zum Steampunk: Er ist ja mittlerweile eine eigene Subkultur geworden und hat Einzug in viele Bereiche wie Mode oder auch Musik gehalten. Hast du auch das eine oder andere Accessoire im Schrank?

Ich habe drei komplette Krinolinenkleider (mit historisch korrekter Unterkleidung), zwei davon Tageskleider, eine Abendrobe, habe aber auch einfachere Steampunk-Garderobe wie Rüschenrock oder Federhaarschmuck. Tatsächlich bin ich gerade eben von einem Steampunkfestival gekommen.


Vom Dampf zum Einhorn: Im September erscheint dein neues Werk ‚Die Quellen der Malicorn‘, eine magische Liebesgeschichte. Magst du uns ein wenig neugierig machen und erzählen, worum es geht?

Die Liebesgeschichte ist nur ein Bestandteil der Handlung, aber das Verlagsmarketing fand den besonders wichtig. Hier ein bisschen Info: „Nach Jahrhunderten bricht in der Welt Talunys erneut Krieg aus. Hier herrschen die friedliebenden Einhörner, das kunstsinnige Gestaltwandler-Volk der Tyrrfholyn. Im Kampf verschlägt es den Fürstensohn in die Menschenwelt, von wo er Una mit zurücknimmt. Una, eine moderne Menschenfrau mit Witz und dem Verstand einer emanzipierten, jungen Frau, findet sich in einer Welt wieder, in der ein grausames Regime sich anschickt, alles zu unterwerfen, was es für minderwertig hält. Plötzlich geht es auch um ihr Leben und nicht nur um das eines Mannes, der sehr viel mehr ist als - einfach nur ein Mann.


Wie kam es zu dem Genrewechsel?

Heyne wollte ein Buch über Einhörner. Ich habe es schreiben dürfen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, auch wenn das Thema doch sehr anders ist als das, was ich bisher geschrieben habe. Es war eine Herausforderung, aber eine, auf die ich gerne eingegangen bin. Oh, und meine Einhörner sind nicht rosa und glitzern auch nicht.


Du schreibst nicht nur Romane, sondern dichtest auch und bist als Liedermacherin im Bereich Filk unterwegs. Was ist für dich an dieser doch recht unbekannten Musikgattung das Besondere?

Das Schöne ist, dass sie recht unbekannt ist. Eine kleine, feine Subkultur, in der man sich gut zuhause fühlen kann. Hier treffen sich Laienmusiker, kreative Menschen, die Phantastik mögen und daraus Lieder machen, die eine geschichtenerzählerische, bardische Komponente haben. Es ist mehr als eine willkürliche Gruppe aus Performern und Publikum. Es ist eine „community“, eine Familie, der man gehört, die einander zuhört (nicht nur den Liedern).
Erfreulicherweise haben Filker einen schlechten Ruf, was uns arrogante Selbstdarsteller vom Hals hält. Alles hat sein Gutes. (Wer sich für unsere Musik interessiert: Hier gibt es unsere neueste CD.)


Fließt deine Musik in deine Schreiberei mit ein (und umgekehrt)? Oder basiert das eine gar auf dem anderen?

Ich habe schon Lieder zu meinen Geschichten geschrieben. In meinem Kurzgeschichtenband „Bisse“ gibt es zu jeder Geschichte ein Lied, und tatsächlich gibt es darin zwei Geschichten, die ich nach den Liedern geschrieben habe. Leider haben es die Lieder nicht in das Buch geschafft. Irgendwann wollte ich eine CD dazu machen, aber das wird wohl nicht mehr passieren.


Welches Buch, das du nicht selbst geschrieben hast, würdest du gern einmal musikalisch vertonen?

Komplett vertonen? Hui. Ich glaube, das wäre dann doch schwierig. Ich bin Liedermacherin, keine Konzertkomponistin. (Immerhin, ich habe aber die Trailermusik zu meinen YouTube-Trailern selbst komponiert: http://juhonisch.de/trailer_d.html).
Aber ich habe schon viele Lieder über Bücher und Filme geschrieben, sei es, dass sie mich besonders berührt haben, oder auch mal, dass ich etwas so „grottig“ fand, dass ich mir ein paar Spottverse nicht verkneifen konnte. Bei letzterem tritt man allerdings bisweilen auch mal jemandem auf die Füße. Ich habe mal etwas über den ersten Highlander-Film geschrieben – da brach dann doch Unmut über mich herein.


Vielen Dank für das Interview und noch weiterhin viel Erfolg!

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