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Katja Brandis


Katja Brandis heißt mit bürgerlichem Namen Sylvia Englert. Wie sie mir im Interview am 15.03.2013 auf der Leipziger Buchmesse jedoch verraten hat, hört sie inzwischen sowohl auf Katja als auch auf Sylvia. Doch nicht nur darüber haben wir uns unterhalten, sondern auch über ihr neues Buch "Und keiner wird dich kennen", das kürzlich im BELTZ & Gelberg-Verlag erschienen ist.


Liebe Katja, ich freue mich sehr, dich einmal persönlich kennen zu lernen, und danke dir, dass du dir die Zeit für ein Interview nimmst!
Ich möchte direkt mit einer Frage beginnen, deren Antwort mich brennend interessiert: Warum schreibst du viele deiner Bücher unter einem Pseudonym?

Weil ich unter meinem richtigen Namen Bilder- und Kinderbücher schreibe und das passt mit Jugendromanen nicht so wirklich zusammen; fürs Erwachsenenbuch habe ich sogar noch ein anderes Pseudonym [Siri Lindberg; Anm. der Redaktion]. Das liegt an den Buchhändlern, denn wenn ein Erwachsenenbuch unter "Katja Brandis" erscheinen würde, hätten die das automatisch in das Jugendbuchregal eingeordnet. Man muss da leider ein bisschen das Schubladendenken bedienen. Wenn man alles unter einem Namen macht, wird das leider nicht akzeptiert.


Wie bist du überhaupt zum Schreiben von Romanen gekommen?

Oh, das ist schon ganz lange her, da war ich elf Jahre alt und in den Ferien in Holland, es regnete ganz doll und ich lag im Zelt und mir war furchtbar langweilig. Ich hatte nichts mehr zu lesen – für mich ganz schrecklich, weil ich immer wahnsinnig viel lese –, aber ich hatte einen Block und einen Stift und habe mir gedacht "Warum schreibe ich das alles nicht selber?" – und seither bin ich im Grunde Autorin. [lacht]


Während die meisten deiner Bücher ausschließlich aus deiner Feder stammen, sind "Ruf der Tiefe" und "Schatten des Dschungels" eine Gemeinschaftsarbeit von dir und Hans-Peter Ziemek. Wie kommt es zu so einer Zusammenarbeit?

Das war eine Ausnahme. Es war so, dass der BELTZ-Verlag ein Buch zum Thema "Meer" suchte und uns beide angesprochen hat. Wir haben uns dann zusammengeschlossen, weil wir das ganz gut fanden – ein Biologe und eine Autorin, das fanden wir eine gute Kombination –, aber es wird bei diesen zwei Projekten bleiben und ich schreibe keine Bücher mehr mit Co-Autor.


Wie sieht so eine Zusammenarbeit aus? Wird da kapitelweise abwechselnd geschrieben oder gibt der eine Input und du als Autorin sorgst für einen flüssig zu lesenden Text?

Wir haben die Idee, den Plot und die Figuren zusammen entwickelt und geschrieben habe ich dann.


Nun ist kürzlich dein Jugendthriller "Und keiner wird dich kennen" im BELTZ-Verlag erschienen. Was erwartet den Leser in diesem Buch?

Das Buch ist aus einem Artikel, den ich gelesen und über den ich mich fürchterlich aufgeregt habe – über eine Familie, die vom Ex-Freund der Mutter bedroht wurde und die eine neue Identität annehmen und alles zurück lassen mussten –, entstanden. Dieser Artikel hat mich so aufgeregt, weil ich dachte "Warum werden diese Leute so schlimm bestraft, sie sind doch nur die Opfer?" – und daraus ist die Geschichte entstanden, die ich im Grunde vom Plot her auch genau so übernommen habe. Ich habe natürlich neue Figuren erfunden und das Ganze so abgewandelt, wie ich es für die Handlung brauchte.
Es ist die Geschichte von der 16-jährigen Maja und ihrer Familie, die quasi eine neue Identität annehmen müssen, der Täter ist ihnen aber weiterhin auf der Spur. Deswegen wird das auch noch sehr dramatisch.


Ein Täter – wie zum Beispiel Robert Barsch – sitzt seine Strafe einfach ab, die Opfer leiden jedoch ein Leben lang darunter. Ist das Buch gleichzeitig eine Kritik an der Justiz?

Oh ja, absolut! Ich kann es nicht einsehen, dass beispielsweise der Datenschutz höher wiegt als der Opferschutz. Du lernst zum Beispiel einen Mann kennen, du hast keine Ahnung, was der vorher gemacht hat – wenn der jetzt schon im Knast war und jemanden umgebracht hat, gibt es keinen Weg, wie du das feststellen kannst. Das ist zum Beispiel einer Schweizerin passiert: die hat sich verliebt, fand den Typ erst ganz normal, dann wurde der immer seltsamer und hat schließlich versucht, sie umzubringen. Der hatte schon mal seine Freundin umgebracht, doch niemand hat sie gewarnt, niemand hat ihr was gesagt. Das ist eine wirklich schlimme Sache in unserem Rechtssystem.


Das ist total erschreckend! Wenn man sich vorstellt ... Wie in deinem Buch ist es sicherlich so, dass es ganz harmlos anfängt. Der Mann ist ganz lieb, zuvorkommend und plötzlich hat man einen Psychopathen am Hals.

Und den wird man leider nicht mehr los.


Ich nehme an, dass du selbst mit dem Opferschutzprogramm keine praktischen Erfahrungen hast, weshalb ich einiges an Recherche im Hintergrund vermute?

Im Vergleich zu meinen anderen Romanen war das doch relativ wenig, denn für die Tiefsee und den Regenwald musste viel, viel mehr recherchiert werden. Aber natürlich habe ich auch hier einiges recherchiert. Zum Beispiel habe ich mit einer Kriminalhauptkommissarin gesprochen, die für Jugend und Familie zuständig ist, die mir sehr, sehr viel erzählt hat, wie die Opfer von Stalking betreut werden und so was. Wie das mit den Tätern ist, wie die – in Anführungszeichen – betreut werden, und was für Möglichkeiten es gibt, da überhaupt zu warnen – nämlich keine. Die hat mich sehr viel beraten.
Dann habe ich noch mit den Mitarbeitern der Opferschutzorganisation – dem Weißen Ring – gesprochen, einem Spezialisten für neue Identitäten – der hat mir ganz interessante Sachen erzählt –, und dann natürlich noch einige andere Interviewpartner. Das fing an bei dem Direktor einer Justizvollzugsanstalt, weil das im Buch auch eine Rolle spielt, dann habe ich – weil die Geschichte in einem Ort spielt, wo ich wohne, in Olching – noch im Gymnasium recherchiert – denn die Hauptfigur geht auf dieses reale Gymnasium –, habe dort Lehrer und Schüler interviewt und versucht, die Leute ein bisschen kennen zu lernen. Was beschäftigt Jugendliche heute, wie verbringen die ihre Freizeit? Wie sieht Schule heute aus – mit G8 ist ja auch vieles anders geworden. Das war die Recherche in Kurzform.


Ist es denn als Autorin einfach, diese Gesprächspartner zu finden, oder sind die eher ein wenig skeptisch bzw. vorsichtig?

Manche sind sehr skeptisch, gerade die Kriminaler wollen wissen, ob sie das vorher noch mal durchlesen dürfen, wie zum Beispiel die Zitate, die ich verwende. Aber da habe ich ganz viele begeisterte Reaktionen gekriegt, weil sie nachher das Buch in Händen hielten und sie waren in einem Krimi – also in der Danksagung. Das fanden die immer ganz toll und da habe ich ganz rührende Briefe bekommen.
Krimis werden ja auch viel gelesen und geschaut, die kennen das, und viele lesen auch selber Krimis, von daher waren die schon recht aufgeschlossen.


Maja und ihre Familie müssen sich im Zuge des Opferschutzprogramms neue Namen zulegen. Wenn du dir einen neuen Namen aussuchen müsstest ...

Katja Brandis 2Habe ich ja schon. [lacht]


Eben. Hast du dem mit deinen Pseudonymen also bereits Rechnung getragen?

Ja, das Problem des neuen Namens kam mir sehr, sehr bekannt vor, weil ich schon zwei Pseudonyme habe, und da musste ich auch gucken, was mir gefällt, womit ich mich identifizieren kann. Das muss ja mein Name werden, das muss ich werden. Deswegen musste ich, als ich das Kapitel geschrieben habe, ein klein wenig grinsen.


Hörst du also auf alle drei Namen, wenn man dich anspricht?

Ich höre auf Katja und auf Sylvia, bei Siri ist es noch nicht so, weil ich unter dem Namen noch nicht so bekannt bin. Da drehe ich mich noch nicht um. [lacht]


Nun ist aus Maja Alissa geworden. Der Erzähler nennt sie weiterhin Maja, nur in Dialogen ist sie dann Alissa. Kommt man da als Autor auch einfach mal durcheinander?

Es ist eine Stelle im Buch drin – da haben mich auch viele Leser drauf angesprochen –, wo sie versehentlich noch Maja genannt wird. Das hätten ich und der Lektor noch rausholen müssen. Aber ansonsten ... Ich habe die Entscheidung gehabt, ob ich sie jetzt durchgängig Alissa nennen soll, habe mich aber dagegen entschieden, weil das innere Umschalten dauert. Ich nenne mich selbst auch nicht Katja, aber selbst wenn du den Namen ständig benutzt, dauert das wahrscheinlich trotzdem Monate oder sogar Jahre.


Robert Barsch, der Antagonist in diesem Thriller, kommt auch immer wieder zu Wort. Wie versetzt du dich in so jemanden hinein?

Ich habe ganz viel über Täterpsychologie und Stalking gelesen, auch Bücher von Psychologen und so weiter, und habe versucht, mich da rein zu versetzen, weil ich ja auch – zum Glück! – keine solchen Leute kenne. Im ersten Durchgang ist es mir nicht so gut gelungen, mich in Robert Barsch hineinzuversetzen, er war in der ersten Fassung noch relativ platt böse. Ich wollte auch, dass man vor ihm Angst hat, klar. Und dann hat der Lektor noch ganz, ganz intensiv mit mir daran gearbeitet, bis wir eine Persönlichkeit hatten, die einerseits gewalttätige Fantasien hat, gleichzeitig vor diesen Fantasien erschrickt und versucht, sich selbst zurück zu halten. Aber ohne großen Erfolg, weil er Lila einfach liebt und es für ihn selbstverständlich ist, dass sie ihm auch gehört.


Nun möchte ich gerne noch ein wenig allgemein auf das Schreiben von Romanen eingehen, beispielsweise auf die Figurenentwicklung. Wie lernst du diese kennen? Interviewst du diese oder erstellst du Charakter-Checklisten?

Ich habe sehr ausführliche Charakter-Checklisten und brauche für das Ausfüllen pro Person locker schon mal eine Woche. Wenn ich dann in eine Figur noch nicht richtig reinkomme, mache ich noch Figuren-Interviews mit jemand anderes – also ich versetze mich in die Figur rein und antworte aus der Ich-Perspektive auf die Fragen, die jemand anderes stellt. Das können auch gerne – und sollten es auch! – ausgefallene Fragen sein, wie zum Beispiel "Was ist unter deinem Bett?" oder "Was für Poster hängen an deinen Wänden?" oder "Was war dein schlimmstes Erlebnis in der Vergangenheit" – gut, in dem Fall jetzt ist das einfach zu beantworten ... Also ausgefallene Fragen, auf die ich dann spontan antworten muss, und so wird die Figur immer runder und lebensechter und ich kann mich besser in sie hineinversetzen.


Hast du bestimmte Rituale beim Schreiben, beispielsweise eine feste Schreibzeit oder eine festgelegte Seitenzahl pro Tag?

Ich bin natürlich ein bisschen durch meinen kleinen Sohn angebunden, ich kann also nur schreiben, während er in der Schule ist – und früher im Kindergarten. Sobald er in die Schule abgezischt ist, setze ich mich an den Computer, tippe, was das Zeug hält und möchte dann ungefähr fünf Buchseiten am Tag geschafft haben. Das ist bewusst niedrig angesetzt, weil ich die immer schaffe – wenn ich gut drauf bin in zwei Stunden, wenn ich schlecht drauf bin, brauche ich dafür den ganzen Tag. Je weiter ich im Buch zum Showdown vordringe, desto schneller werde ich, das wird dann wie eine Lawine, ich kann gar nicht mehr aufhören. Dann schaffe ich auch locker mal bis zu zehn Buchseiten am Tag.
Am Anfang ist es am Mühsamsten, da muss ich erst mal in die Figuren reinkommen und alles zum Leben erwecken, und später werde ich immer schneller.


Also geht es dir als Autorin da wie dem Leser: Erst mal muss man in die Geschichte reinkommen, aber wenn man dann richtig drin ist, möchte man nicht mehr aufhören.

Ja, man wird selber auch mitgerissen von der Handlung – wenn sie denn gut ist. Wenn man nicht mitgerissen wird, stimmt irgendwas nicht. [lacht] Dann sollte man was ändern.


Planst du deine Romane erst bis ins kleinste Detail, bevor du mit dem Schreiben beginnst oder schreibst du einfach drauflos?

Als Jugendliche habe ich wild drauflos geschrieben, weil ich nicht wusste, wie man einen Roman richtig plant, und habe mich immer wieder in Sackgassen rein manövriert, aus denen ich nicht mehr rauskam und musste ganze Kapitel wegeschmeißen. Seit ich Profi bin, brauche ich ein Exposé – also eine Inhaltsangabe vom Anfang bis zum Schluss –, bin gezwungen, die Handlung sehr gründlich zu durchdenken, und das ist sehr, sehr gut, denn dadurch habe ich keine Schreibblockaden mehr.


Maja denkt auf Seite 51 des Buches: "Autorin? Hä? Das ist doch eine brotlose Kunst. Poeten leben in Dachstuben, in die es rein regnet." Ich hoffe, du lebst im Trockenen?

Das ist ein bisschen ironisch gemeint, weil ich auf jeder Lesung betone: "Ja, man kann wirklich davon leben!" Nicht alle Autoren leben in Dachstuben, in die es rein regnet. Ich habe das im Buch ein bisschen ironisch aufgegriffen und es hat mir einen diebischen Spaß bereitet, Maja so skeptisch anzulegen. Natürlich sind meine Sympathien voll auf Seiten der Mutter, die sich als Autorin etablieren möchte. [lacht] Es sind auch eigene Erfahrungen eingeflossen.


Tja, das ist nichts mehr als Autor mit stilles Kämmerlein und das Tageslicht nicht mehr sehen, sondern man geht ja auch unter Leute; Stichwort: Lesungen. So liest du auch hier auf der Messe aus deinem neuen Buch. Was macht für dich den Reiz an diesem direkten Kontakt mit deinen Lesern aus?

Du sagst es schon: der direkte Kontakt. Als Autor sitzt man im stillen Kämmerlein und dann kommt man immer wieder mal raus, hat das Adrenalin "Oh wow, da sitzen 100 oder manchmal sogar 250 – das war meine größte Lesung – Leser und wollen, dass du sie jetzt unterhältst, wollen was von dir hören und dich kennen lernen." Das gibt einem den totalen Kick, man kann sich einen halben Tag lang wie ein Pop-Star fühlen; wenn es eine längere Lesereise ist, geht das sogar zwei Wochen so, in denen man sich wie ein Pop-Star fühlt.
Daheim muss man dann wieder den Müll rausbringen, da kommt man ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen.


Bist du vor solchen Veranstaltungen denn immer noch nervös oder ist das Routine wie das Schreiben auch?

Bei normalen Lesungen bin ich nicht mehr so aufgeregt, aber bei Premieren bin ich noch ziemlich aufgeregt und wenn es irgendwie eine besondere Situation ist. Ich habe in nächster Zeit mehrere Premieren: heute von dem Thriller und im April dann von einem Kindersachbuch, wo ich das erste Mal an einem sehr prestigeträchtigen Ort lese, und da bin ich natürlich noch ordentlich aufgeregt.


Arbeitest du bereits an einem weiteren Buch? Auf was können wir uns als nächstes freuen?

Ich schreibe gerade ein Sachbuch. Das ist ein Handbuch für Kinder- und Jugendbuchautoren, also für Leute, die in das Genre einsteigen wollen. Das habe ich jetzt fast fertig und plane parallel dazu – und recherchiere auch schon – für meinen nächsten Roman, den ich im Mai anfange.


Dann können wir uns ja schon darauf freuen! Ich danke dir für das Interview und wünsche dir viel Spaß bei der Lesung und natürlich auf der Leipziger Buchmesse!

Gern geschehen!

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