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Wie Kreide, vom Regen zu einem weißen Schleier verwaschen, begannen seine Umrisse zu verschwimmen und seine Konturen schwanden, beinahe unmerklich. Im einen Moment sah Elsa einen Mann vor sich und im nächsten nur noch eine graue Silhouette. Seine Haut wurde zu Nebel. Die Sonne hinter ihm ließ ihn erstrahlen und umrahmte ihn mit ihrem goldenen Schein, bis er nichts mehr von einem Mann an sich hatte, sondern immer mehr einer Wolke glich, die durch Zufall die Form eines Menschen angenommen hatte.

 

Der Mann der den Regen traeumt 

Originaltitel: The Man Who Rained
Autor: Ali Shaw
Übersetzer: Sandra Knuffinke und Jessika Komina
Verlag: script5
Erschienen: Januar 2013
ISBN: 978-3-8390-0146-2
Seitenzahl: 336 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Elsa möchte ihr altes Leben hinter sich lassen. Nach dem Tod ihres Vaters und dem unerwarteten Heiratsantrags ihres Freundes merkt sie, dass sie einfach nicht glücklich ist und sie zu sich selbst finden muss. Sie kündigt ihren Job, sucht sich eine neue Bleibe in Thunderstown und macht sich mit wenig Gepäck auf die weite Reise dorthin. Neben kauzigen Einwohnern und seltsamen Geschichten trifft sie Finn. Dass diese Begegnung ihr Leben derart verändern würde, hätte sie nicht gedacht ...

Nach seinem grandiosen Debüt (Das Mädchen mit den gläsernen Füßen) sind die Erwartungen an Ali Shaws neuestes Werk selbstredend groß. Umso enttäuschter ist man, dass "Der Mann, der den Regen träumt" leider nicht an sein Erstlingswerk heranreicht. Die Idee ist ebenso fantastisch und außergewöhnlich, allerdings dauert es (zu) lange, bis die Geschichte den Leser packt.


Stil und Sprache
Wie man es von Ali Shaw bereits kennt, bedient er sich einer bildreichen, detaillierten und nicht selten auch poetisch angehauchten Sprache. Er spielt mit den Worten und setzt jedes einzelne bewusst, um die richtige Stimmung einzufangen. "Als sie sprach, schien ihre Stimme die ruhigen Momente im Lärm des Gewitters aufzuspüren und sich dort einzunisten." (Seite 318)
Shaw geht wieder einmal emotionsgeladen und tiefgründig vor. Die vorsichtige Annäherung von Elsa und Finn ist sehr feinfühlig dargestellt und mit sanften Worten zu Papier gebracht. Mal wirkt die Geschichte überaus schwermütig, dann wieder unbeschwert-leicht - zumindest fast, denn im Hintergrund spürt man das sich anbahnende Unwetter, das nur darauf wartet, loszubrechen.

Der allwissende Erzähler konzentriert sich meist auf die Hauptfigur Elsa und gibt das Geschehen aus ihrer Sicht wieder. Dabei ist er ihr so nah, dass er den Anschein eines personalen Erzählstils weckt - wären da nicht von Zeit zu Zeit die kleinen Ausflüge in die Köpfe anderer Figuren. Aber auch Daniel und selten Finn begleitet der Erzähler streckenweise intensiver. Gegenwart und Vergangenheit gleiten ineinander über, offenbaren das Leben von Elsa, Daniel und Finn, wodurch ihnen Substanz verliehen wird.

Das Manko der Geschichte ist, dass sie einfach zu lange braucht, um in Gang zu kommen, denn trotz einiger absonderlicher, ja märchenhafter Ereignisse weiß sie den Leser zunächst nicht zu packen. Es sind sogar erst die letzten ca. 60 Seiten, auf denen richtiggehende Spannung kurzfristig aufflackert, bevor die Handlung auf einen gefühlsgeladenen Abschluss und ein märchenhaftes Ende zusteuert.


Figuren
Die Figurenzeichnung ist Ali Shaw gut gelungen. Insbesondere Elsa, Daniel und Finn, die im Mittelpunkt des Geschehens stehen, werden im Laufe der Handlung detailliert und tiefgründig dargestellt, sodass ihr Verhalten nachvollziehbar wird. Weniger wichtige Figuren, wie zum Beispiel die Nonne Dot oder Kenneth Olivier, haben zwar etwas weniger Substanz, sind ihren Rollen entsprechend jedoch vollkommen ausreichend ausgearbeitet. Lediglich Moses, der als eine Art Antagonist fungiert, wirkt ein wenig einseitig und klischeehaft, auch manch andere Randfigur bleibt eher unscheinbar.


Aufmachung des Buches
Das weiß gebundene Buch wird von einem romantisch-verträumten Schutzumschlag umhüllt, der durch den lilafarbenen Grundton und die sanft fallenden Regentropfen gut zum Inhalt passt. Zudem weist die zum Debütroman ähnliche Gestaltung direkt auf den Autor hin, könnte aber auch eine Fortsetzung von "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" vortäuschen. Ein weißes Lesebändchen vervollständigt die qualitativ hochwertige Aufmachung des Buches.

Der Originaltitel "The Man Who Rained" ist deutlich passender zur Geschichte, warum hier eine - wenn auch nur leichte, dafür in der Aussage stark abweichende - Änderung vorgenommen wurde, ist nicht nachvollziehbar.


Fazit
"Der Mann, der den Regen träumt" reicht leider bei weitem nicht an das Erstlingswerk des Autors heran. Schreibstil und Idee können zwar erneut überzeugen, allerdings mangelt es an dem gewissen Etwas, das den Leser an das Buch fesselt.


3 Sterne


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