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Berlin 1828: Der jungen Hebamme Helene gelingt das Unmögliche, als man sie an der Charité heimlich Medizin studieren lässt. Doch damit ruft sie auch Feinde auf den Plan. Als eine plötzliche Serie von Abtreibungen mit tödlichem Ausgang in den Berliner Bordellen für Aufruhr sorgt, richtet sich der Verdacht schnell gegen Helene. Und tatsächlich hat sie sich schuldig gemacht — doch anders, als ihre Gegner denken ...

 

Wiegenlied Cantz 

Autor: Kerstin Cantz
Verlag: Diana Verlag
Erschienen: 10. September 2012
ISBN: 978-3453356672
Seitenzahl: 416 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Um den bekannten Marburger Professor Clemens Heuser an die Berliner Charité zu ziehen, gestattet man seiner Tochter Helene dort – neben ihrer Tätigkeit als Hebamme – ein privates Medizinstudium, für Frauen zu dieser Zeit ein fast unerreichbares Ziel. Das sorgt für Spott und Anfeindungen unter den sonst durchweg männlichen Studenten und Lehrern und macht ihr auch die Tätigkeit im Entbindungshaus schwer. Hier sterben die Frauen nicht nur in großer Zahl am noch nicht erforschten Kindbettfieber, es gibt auch mehrere Todesopfer durch verbotene, missglückte Abtreibungen. Helene gerät unter Verdacht und muss befürchten, dass ein Geheimnis – in das auch ihre Schwester und eine Unbekannte aus höchsten Kreisen verstrickt sind – aufgedeckt wird.

Kerstin Cantz legt den Schwerpunkt ihres Romans auf die Darstellung der medizinischen Verhältnisse – speziell der Geburtshilfe – im Preußen des frühen 19. Jahrhunderts, als die Forschung noch in den Kinderschuhen steckte.


Stil und Sprache
Dieses Buch lässt sich nicht einfach so „herunterlesen“. es ist sprachlich recht anspruchsvoll und der Schreibstil der Autorin erfordert einiges an Konzentration. Die Thematik bringt es zudem mit sich, dass manche der Beschreibungen naturgemäß etwas drastisch ausfallen, was eventuell nicht jedermans Sache ist, aber leider den damaligen Zuständen entsprach. Auch werden sehr viele medizinische Begriffe verwendet und altertümliche Praktiken geschildert, für die ein erklärendes Nachwort sehr hilfreich gewesen wäre.

Es gibt eine Fülle verschiedener Erzählstränge, die der Leser als Beobachter von außen aus nächster Nähe miterlebt, deren Bedeutung sich ihm aber oft erst sehr viel später erschließt. Das macht das Lesen einerseits spannend – wo es um die Vorgänge im Gebärhaus und die kriminellen Abtreibungen geht –, an manchen Stellen aber auch etwas mühsam, z.B. wenn der geheimnisvolle „Feind“ der Fürstin auftritt. Besonders diese Episoden sind recht undurchschaubar und nehmen einen zu breiten Raum ein, obwohl sie für das unmittelbare Geschehen nur von geringer Bedeutung sind. Sie unterbrechen den Spannungsbogen und wirken sich daher zeitweise störend auf den Lesefluß aus. Im Gegensatz dazu hätte man sich den Schluß etwas ausführlicher gewünscht, er kommt sehr abrupt und manche Fragen bleiben offen, z.B. die, wieso Helene plötzlich eine Ehe mit einem Mann schließen kann, der vorher als verheiratet bezeichnet wird.


Figuren
Vor dem sehr gut recherchierten medizin-historischen Hintergrund treten die Figuren beinahe etwas zurück. Sie sind eigentlich nur das Beiwerk, um das Thema anschaulich und interessant erzählen zu können. Helene – Tochter eines Arztes und einer Hebamme – hat von ihren Eltern die Liebe zur Medizin geerbt. An ihrer Person schildert Kerstin Cantz die Probleme und Anfeindungen, denen eine lern- und arbeitswillige Frau damals ausgesetzt war. Die Vorurteile der Gesellschaft – und zwar nicht nur der männlichen – waren groß und werden hier sehr glaubwürdig dargestellt. Auch die Art und Weise, wie herablassend, ja sogar oft verachtungsvoll die schwangeren Frauen – besonders die Prostituierten unter ihnen – vom größten Teil der Ärzte behandelt werden, gibt einen tiefen Eindruck vom Rollenverständnis dieser Epoche.

Helenes Schwester Elsa erträumt sich ebenfalls ein Leben jenseits der Konventionen. Ihrem Ehrgeiz, Karriere als königliche Hofschauspielerin zu machen, opfert sie nicht nur die Aussicht auf eine vornehme Heirat mit einem Mann, der sie wirklich liebt, sondern bringt durch eine verbotene Abtreibung sogar ihr Leben in Gefahr. Obwohl die Schwestern einerseits recht zielstrebig ihre beruflichen Vorstellungen verfolgen, sind sie andererseits in der Umsetzung beide manchmal etwas zu naiv, ein Verhalten, das zeitweise nicht ganz zusammen passt.

Die Familienverhältnisse König Friedrich Wilhelms III. und sein Hofstaat – die für die Handlung eine wichtige Rolle spielen – sind für Nichtkenner der preußischen Geschichte etwas verwirrend, insbesondere was die Umtriebe des unbekannten Verehrers der längst verstorbenen Königin Luise und seine Feindschaft gegenüber der Fürstin angeht. Auch hierzu wären ein paar erläuternde Anmerkungen der Autorin wünschenswert gewesen, die dem Leser die Zusammenhänge besser verdeutlicht hätten.


Aufmachung des Buches
Das Taschenbuch ist in 11 datierte Kapitel und einen Epilog unterteilt. Das letzte Kapitel umfasst 22 aufeinanderfolgende Tage im Dezember 1828. Ein Zitat von Michel de Montaigne ist der Handlung vorangestellt, eine kurze Danksagung beschließt sie. Ein Glossar oder historische Anmerkungen der Autorin fehlen leider gänzlich. Das Cover zeigt im oberen Bereich eine nur halb sichtbare weibliche Gestalt neben einer Korbwiege, darunter stehen vor dunkelrotem Hintergrund der Name der Autorin und der Titel.


Fazit
Kerstin Cantz schildert in „Wiegenlied“ ein interessantes Thema vor einem sehr authentischen historischen Hintergrund, allerdings ziehen manche Passagen die Handlung doch sehr in die Länge. Der etwas unbefriedigende Schluß sowie das völlige Fehlen eines Anhangs mit historischen Anmerkungen und/oder Glossar haben ebenfalls Einfluß auf die Bewertung gehabt.


3 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

In „Die Hebamme“ erzählt die Autorin die Geschichte der Eltern von Helene und Elsa. Da  „Wiegenlied“ aber rund 30 Jahre später spielt und keinen nennenswerten Bezug auf das erste Buch nimmt, wird es hier auch nicht als Fortsetzung aufgeführt.

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