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Kategorie: Thriller

Ein junger Erzieher in der Einsamkeit eines westschwedischen Ortes. Und ein mehrfacher Mörder mit einem irrwitzigen Plan – Johan Theorin liefert psychologische Hochspannung und ein Duell, das erst auf den letzten Seiten sein dramatisches Ende findet.

 

So bitter kalt 

Originaltitel: Sankt Psyko
Autor: Johan Theorin
Übersetzer: Susanne Dahmann
Verlag: Piper
Erschienen: 09/2012
ISBN: 978-3492055512
Seitenzahl: 480 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Der arbeitslose Erzieher Jan bewirbt sich um eine Stelle in der „Lichtung“, einer Kindertagesstätte, die zu einer psychiatrischen Klinik gehört. Der Hort ist durch einen unterirdischen Gang mit der Klinik verbunden, regelmäßig können so die Kinder zu ihren in der Klinik einsitzenden Eltern Kontakt aufnehmen. Jan ist natürlich nicht zufällig dort, denn er ahnt, dass sich seine Jugendliebe Alice Rami in der Klinik befindet und will zu ihr Kontakt aufnehmen. Aber er ist nicht der einzige dort mit Geheimnissen und so entwickeln sich seine Pläne erschreckend anders als gedacht …

Johann Theorin ist immer für eine Überraschung gut und so ist es auch dieses Mal: Die eigentlich ganz stringente, sehr zielstrebig wirkende Grundidee stellt sich schon nach den ersten Seiten völlig anders dar und zerfasert sich in ein Geflecht von Abhängigkeiten, den Folgen frühkindlicher Traumata, Begehrlichkeiten und Besessenheit. Ohne jetzt zu viel zu verraten sind an dieser Stelle weitere Erklärungen nicht möglich, nur so viel: Johan Theorin hat hier einen außergewöhnlichen Psychothriller abgeliefert, dessen Betitelung als Kriminalroman eindeutig zu harmlos ist.


Stil und Sprache
Bevor die eigentlich Handlung einsetzt, bekommt der Leser einen Brief einer unbekannten Person zu lesen, der an den in Sankt Patricia einsitzenden Straftäter Ivan Rössel gerichtet ist und Böses ahnen lässt. Diesen Brief verliert man aber schnell wieder aus dem Focus, denn ab sofort wird die Geschichte ausschließlich aus Jans Perspektive erzählt. Dabei verwendet er zwar nicht die Ich-Perspektive, dennoch kommt man dem Protagonisten sehr nahe. Die aktuellen Geschehnisse berichtet Jan in der Gegenwartsform, dazwischen gibt es aber kapitelweise Rückblenden in sein früheres Leben.

Johan Theorin legt dabei wie gewohnt nicht so viel Wert auf actionreiche Handlung, sondern zeichnet in aller Ruhe ein verstörendes Psychogramm seines Hauptdarstellers, dröselt nach und nach dessen Vergangenheit auf und steuert gleichzeitig in der Gegenwart auf ein wahrhaft beängstigendes Finale zu. Dabei steigt die Spannung von der ersten Seite an stetig, immer gibt es die Wahrheit für den Leser nur häppchenweise und so liest man sich von Kapitel zu Kapitel, um endlich die ganze Wahrheit zu erfahren. Einzig das Ende wird dann für meinen Geschmack etwas zu kurz gehalten, auch wenn auf den letzten Seiten noch einige unerwartete Wendungen auftauchen, hätte hier etwas mehr Detailliertheit gut gepasst. Das ist aber auch mein einziger Kritikpunkt, sprachlich muss man über den Autor kaum noch etwas sagen, die klare „nordische“ Sprache ist in seinen Büchern Standard und für mich immer das besondere Bonbon.


Figuren
Johan Theorin konzentriert sich vollkommen auf seinen Protagonisten und das ist auch gut so. Jan Haugen ist eine gebrochene Persönlichkeit und das wird in allen Facetten seines sehr schlichten und langweiligen Lebens deutlich. Er kommt völlig allein in die schwedische Provinz und er bleibt auch allein. Freunde hat er keine, nur mehr oder weniger zufällige Bekannte. Mal zwingt er sich, abends auszugehen, mal hockt er dumpf zu Hause und langweilt sich. Er kennt nur eine Leidenschaft, und das ist Alice Rami. Ein einziges Musikalbum hat sie vor Jahren veröffentlicht und Jan ist vermutlich ihr einziger Fan. Sie ist seine Seelenverwandte, das glaubt er zumindest. Um sie kreist sein ganzes Leben und die einzigen „Handlungen“, die er zustande bringt, sind ihr zu Ehren. Ein schräger Typ, dieser Jan, dabei aber keineswegs unsympathisch. Man ertappt sich als Leser sogar dabei, Mitleid mit ihm zu empfinden, obwohl es in seiner Vergangenheit einiges gibt, was besser niemand wüsste …

Die Figuren um Jan herum werden zwangsläufig nur aus dessen Sicht heraus dargestellt, so dass man nur wenig über sie erfährt. Da sind Jans Kollegen in der Kindertagesstätte, der ärztliche Direktor der Psychiatrie, Jans Eltern tauchen als Randfiguren auf sowie natürlich Alice Rami, letztere aber mehr in Jans Phantasie als in der Realität. Alles in allem lebt dieses Buch von Jan und wie der Autor es hinbekommt, dass man ihn so vollkommen versteht in seinen Motiven, das ist große Kunst!


Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch zeigt auf dem in gebrochenem Weiß gehaltenen Schutzumschlag am unteren Bildrand einen Storch, der den Kopf nach hinten wirft, um mit dem Schnabel zu klappern. Dieser Schnabel ist der einzige Farbtupfer, ansonsten dominieren Grautöne. Innen gibt es unterschiedlich lange Kapitel, die abwechselnd mit Zahlen (Gegenwart) und „Luchs“ bzw. „Die Klapse“ (Vergangenheit) überschrieben sind. Ein Lesebändchen vervollständigt die hochwertige Aufmachung.


Fazit
Ein Psychothriller der ganz besonderen Art für alle, die hervorragende Personenzeichnungen und eher im Kopf stattfindende „Action“ zu schätzen wissen. Nur wegen des zu knappen Endes keine volle Punktzahl von mir. Aber trotzdem unbedingt lesen!


4 5 Sterne


Hinweise
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