Drucken
Kategorie: 1800 – 1900 Romantik, Biedermeier, Gründerzeit usw

England 1838: Die Krönung der jungen Victoria steht bevor. Auch Isobel de Burgh, wohlbehütete und egoistische Tochter des Herrn von Whitefell, soll daran teilnehmen. Vor allem, um sich im Rahmen der überbordenden Feierlichkeiten in London einen geeigneten, möglichst adeligen Gatten zu angeln. Doch dann kommt alles ganz anders. Mr Havisham, der reiche Geschäftsfreund ihres plötzlich verarmten Vaters, bekundet deutliches Interesse an ihr. Isobel ist verärgert und enttäuscht. Weiß Lady Craven, die weltgewandte und leichtlebige Freundin ihrer verstorbenen Mutter, vielleicht Rat? Und was hat Havisham mit dem überraschenden Tod David de Burghs, des rechtmäßigen Erben Whitefells, zu tun? Währenddessen zeigt sich auf Whitefell Cathy - Tochter des Feldpflegers und Isobels langjährige ungleiche Spielgefährtin wider Willen - erleichtert, endlich von ihrer ungeliebten Herrin befreit zu sein. Doch die kleine Freude währt nicht lang. Isobel kehrt zurück als Verlobte Havishams und erzwingt Cathys Dienste erneut. Cathy wird Isobels Zofe - nicht zuletzt, um deren intime Eskapaden zu decken. Es gibt da nämlich den ausgesprochen verführerischen jungen Stallmeister Aaron Stutter auf Whitefell, der nicht nur Isobels erotische Fantasien beflügelt. Doch Aaron hat ein schreckliches Geheimnis - und er liebt die scheue Cathy. Eine verhängnisvolle Menáge à trois beginnt, die geradewegs in eine Katastrophe führt.

 

Die dritte Suende 

Autor: Eva-Ruth Landys 
Verlag: Bookspot
Erschienen: 28. September 2012
ISBN: 978-3937357706
Seitenzahl: 576 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Titel und Klappentext des Buches lassen auf eine halbwegs interessante Geschichte hoffen, umschreiben aber nur unzureichend die tatsächliche Handlung, die im Grunde auf folgendes hinausläuft: Die 17jährige Isobel de Burgh – selbstsüchtig, eitel und schlecht erzogen - quält und tyrannisiert ihre gesamte Umwelt, besonders aber ihre Untergebenen, wobei sie selbst vor Drohungen und Erpressung nicht zurückschreckt, um ihre Launen und Wünsche zu befriedigen. Ihre Zofe Cathy und die übrigen Dienstboten lassen sich das gefallen, weil Isobel als Tochter des Gutsherrn soviel Gewalt über ihr Leben und ihre Existenz hat, dass niemand wagt, sich ihr zu widersetzen. Inspiriert durch die Lektüre von Romanen macht Isobel den Stallknecht Aaron zum Objekt ihrer sexuellen Begierde und zwingt ihn immer wieder ihr "zu Willen zu sein". Als sie entdeckt, dass er Cathy liebt, kommt es zur Katastrophe.

Mit diesem Roman und zwei geplanten Nachfolgern will Eva-Ruth Landys das Leben der Menschen der frühviktorianischen Epoche schildern und sozialkritisch beleuchten, kann dieses Ziel aber in keinster Weise umsetzen. Zwar führt sie in Fußnoten und auch im Nachwort Beispiele dafür an, wie wenig Rechte Bedienstete und Arbeiter gegenüber dem Adel hatten, und versucht damit der Handlung einen seriösen Anstrich zu geben, aber letztendlich fokussiert sich das Ganze auf die mehr als fragwürdige Aussage: Der Adel darf sich alles erlauben – selbst Erpressung, Misshandlung, Vergewaltigung und Mord - und die Bediensteten müssen mitmachen und stillhalten, wenn sie nicht samt ihrer Familie auf der Straße und im Elend landen wollen.


Stil und Sprache
Obwohl die Literaturliste und das Nachwort vermuten lassen, dass sich Eva-Ruth Landys eingehend mit den damaligen Verhältnissen beschäftigt hat, gelingt es ihr nicht, ihre Erkenntnisse wirklich auf die Handlung zu übertragen. Wo es ihr passend erscheint, lässt sie in einem Gespräch unter Geschäftsmännern etwas Politik einfließen oder verliert ein Wort über die rechtlose Stellung der Frau, aber alles sehr oberflächlich und ohne echten Bezug zu ihrer Geschichte. Natürlich ist dieses Buch ein Roman und ich muss der Autorin eine gewisse Freiheit zugestehen, wenn sie aber den Anspruch erhebt, vor dem tatsächlichen historischen Hintergrund „Sozialkritik“ zu üben, dann hat sie mit der Darstellung ihrer Hauptfigur Isobel - deren gesellschaftliches Umfeld und Eskapaden sie als symptomatisch für die englische „Society“ um 1840 schildert – völlig daneben gegriffen und keine Ahnung vom Leben einer blutjungen, vornehmen - laut Klappentext „wohlbehüteten“ - Dame Mitte des 19. Jahrhunderts.

Zitat Seite 73: „Ach Cathy, mein Buch ist so aufregend. Denk dir nur, die Heldin wurde gerade aus einer Kutsche entführt und muss nun einem Räuber zu Willen sein. Stell dir vor, er hat ihr die Kleider vom Leib gerissen und sie war ganz nackt vor ihm und dann hat er …“ Isobel kicherte aufgeregt …
Es ist vielleicht vorstellbar, dass ein 17-jähriges, sexuell völlig ahnungsloses Mädchen dieser Zeit bei solcher Art von Lektüre den heimlichen Wunsch entwickelt, ähnliches mit dem gutausehenden Stallknecht zu erleben, aber dass sie sich ihre Entjungferung durch ihn "hart, gierig und wild" wünscht, ihn extra zu diesem Zweck in den Wald bestellt und dort bereits „vor Lust zu keuchen beginnt“, sobald sie Aarons „Männlichkeit“ bloss sieht, finde ich sehr zweifelhaft – vielleicht geschah das ja eher aus Schreck, was ich schon besser nachvollziehen könnte. Zum „Letzten“ kommt es in dieser Situation dann aber nicht, da die Beiden gestört werden, sodass Isobel weiterhin – zumindest körperlich - unschuldig ist. Es wäre nur noch zu erwähnen, dass es zu dieser Zeit keine Romane mit solch „anstößigem“ Inhalt gab, die jungen Damen zugänglich gewesen wären.

Die Sprache ist eher einfach, mit vielen Wiederholungen, besonders die Worte „Begierde“, „Manneskraft“ und ähnliche effekthaschende Beschreibungen werden häufig strapaziert. Im weiteren Verlauf der Geschichte wird auch noch sehr viel „gekeucht, gestöhnt, gewimmert und gelechzt“ und die ständig gleichen Situationen immer wieder bis ins Detail ausgewalzt. Ich bin nicht prüde, es waren durchaus nicht die erotischen Szenen, die mich abstießen, obwohl sie mit der Zeit etwas lächerlich, um nicht zu sagen: langweilig wurden. Bei einer Protagonistin á la „Angelique“ oder „Claire“ wären sie ja passend gewesen, aber dass eine unberührte Siebzehnjährige wie Isobel - wohlgemerkt im Jahre 1838 - sich bei der Episode im Salon, direkt neben dem belebten Ballsaal, so abgebrüht verhält wie hier geschildert, sich auch noch von der Freundin ihrer verstorbenen Mutter in sexuellen Praktiken unterrichten lässt und das dort Gelernte bei nächster Gelegenheit so gekonnt umsetzt wie eine erfahrene Dirne, ist mir einfach zu übertrieben und aufgesetzt.
Auch bei den Herren jagt ein Klischee das nächste. Natürlich gehen die meisten ins Bordell, um sich dort zu holen, was ihnen die vornehme Ehefrau nicht bietet, umso seltsamer mutet es dann an, wenn Isobels Gatte in der Hochzeitsnacht zu seiner gänzlich unerfahrenen Braut sagt, dass „... ein bisschen mehr Leidenschaft sehr hilfreich ...“ wäre. Kein viktorianischer Ehemann hätte das in dieser Situation erwartet, geschweige denn gefordert.

Ehebruch, Homosexualität – die damals unter hoher Strafe stand – Erpressung und Mord war, laut Frau Landys, in der „guten“ Gesellschaft praktisch an der Tagesordnung, nichts wird ausgelassen, was dem Leser/der Leserin Spannung, Erotik und Nervenkitzel bringen könnte, und das alles unter dem Aspekt der historischen Genauigkeit … es war mir einfach zuviel des Schlechten und ich habe mich – als leidliche Kennerin dieser Epoche – wirklich darüber geärgert.


Figuren
Wir lernen Isobel zunächst als Zwölfjährige kennen, die sich für das Maß aller Dinge hält und durch Vater und Gouvernante keinerlei Grenzen erfährt, geschweige denn die einer jungen Dame ihres Standes angemessene Erziehung bekommt. So wird auch geduldet, dass sie sich die gleichaltrige Cathy als „Spielzeug“ ins Haus holt. Fünf Jahre später hat Isobel sich zwar körperlich weiter entwickelt, aber ansonsten ist sie die verzogene Göre geblieben. Warum der Vater sie so sehr liebt und ihr keinen Wunsch abschlagen kann, ist für mich nicht ersichtlich, verbringt er doch nur ab und zu eine Stunde beim Tee mit ihr und kümmert sich ansonsten kaum um sie. Isobel liebt nur sich selbst, ihren Vater aber verachtet sie, das wird aus ihren Gedanken mehr als einmal deutlich. 
Ihre „Beziehung“ zu Aaron dreht sich einzig um puren Sex, von Liebe ist nie die Rede. Dass er Cathy liebt und Isobel gar nicht will, aber trotzdem immer „kann“, wenn sie es von ihm verlangt, erscheint mir merkwürdig. Er brauchte doch nur ein paarmal „zu versagen“, um sie loszuwerden. Aber wahrscheinlich opfert er sich, damit Cathy nicht noch mehr unter der Wut der unbefriedigten Isobel zu leiden hat. Cathy ist lieb, sanftmütig, schwach, mit einem Wort ein kleines Schaf, mit dem Isobel macht, was sie will.
Isobels Verwandschaft, Onkel, Tante und zwei Cousinen werden praktisch nur aus ihrer Sicht geschildert und sind häßlich, dumm und langweilig. Dass Florence und Mary-Ann trotzdem Verehrer haben, ist ihr ein Dorn im Auge und sie versucht alles, Unfrieden in der Familie zu stiften.

Kleine Anmerkung am Rande: Der Buchtitel bezieht sich auf die dritte der „Todsünden“: Die Wollust. Nummer eins: Hochmut, vier: Zorn und sechs: Neid wären aber auf Isobel noch passender anwendbar. Ich habe selten eine so tiefschwarz gemalte Hauptfigur erlebt und gerade deshalb erscheint sie mir so unglaubwürdig. Eine Person muss mir nicht sympatisch sein, ich muss ihr Verhalten auch nicht gutheißen, aber ich will es zumindest logisch und nachvollziehbar finden und das gelingt mir in diesem Buch bei keiner/m der Protagonisten.


Aufmachung des Buches
Das schwarze Hardcover hat 68 Kapitel, die zum Großteil mit Ort und Datum versehen sind. An den Anfang sind zwei Zitate über die Ehe gestellt, gefolgt von der Aufzählung der 7 Todsünden, deren dritte – die Wollust – dem Roman den Titel gab. Ein Nachwort mit historischen Anmerkungen – die sich aber nicht direkt auf die Handlung des Buches beziehen –, eine Literaturliste, eine Danksagung, sowie eine Leseprobe des Debütromans der Autorin beschließen das Buch. Der Schutzumschlag zeigt die Rückenansicht einer jungen Frau in schwarzer Korsage vor dunklem Hintergrund, von dem der Titel sich blutrot abhebt. Ein Lesebändchen gehört auch noch zur Ausstattung.


Fazit 
Auf dieses Buch hatte ich mich gefreut, weil der Debütroman der Autorin – Pflicht und Verlangen – mich wirklich überzeugt hat. Umso mehr wurde ich enttäuscht, denn ich habe selten eine derart unlogische und konstruierte Geschichte gelesen. Zeitweilig fühlte ich mich direkt veralbert, weil ich angesichts der völlig unglaubwürdigen Darstellung mancher Szenen aus dem Kopfschütteln nicht herauskam, und ich habe immer wieder Lesepausen eingelegt, um mich davon zu „erholen“. Normalerweise breche ich ein schlechtes Buch ab, aber da es sich um ein Rezensionsexemplar handelte, musste ich mich zwingen, es zu Ende zu lesen. Die geplanten Folgebände werde ich mir jedenfalls ersparen.

 
1 Stern


Hinweise

Dieses Buch kaufen bei: amazon.de