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Ein Tatsachenroman in Briefen 

Am 1.August 1716 besteigt Mary Wortley Montagu mit Sohn und Ehemann in London eine vornehme Reisekutsche. Ihr Ziel ist ein ungewöhnliches: das Osmanische Reich. Lady Montagus “Briefe aus dem Orient” werden zunächst von Hand zu Hand weitergegeben, dann 1763 in Buchform publiziert und seither immer wieder neu aufgelegt. Ihren dauerhaften Erfolg verdanken die Briefe einerseits ihrer literarischen Qualität und Originalität und dem unterhaltsamen Ton, um den sich die Schreiberin stets bemüht. Doch ist der Orient damals ganz allgemein in Mode. Das Morgenland erscheint der westlichen Welt als unermessliche, märchenhafte Schatztruhe. Heute stellen Lady Montagus “Briefe aus dem Orient” zudem ein einzigartiges Dokument dar, das Zeugnis von der Offenheit und Toleranz ihrer Verfasserin gegenüber der fremden Kultur ablegt.

Den Originaltexten vorangestellt ist eine Einleitung der Herausgeberin über die Tradition der weiblichen Orientreisen sowie ein Porträt von Mary Wortley Montagu (1689 - 1762)

 

  Autor: Mary Wortley Montagu
Verlag: Promedia, Wien
Erschienen: 2006
ISBN: 3-85371-259-2
Seitenzahl: 255 Seiten 


Die Grundidee der Handlung
Lady Mary Wortley Montagu ist eine eigenwillige, intelligente und wissbegierige Frau. Sie genießt eine ihrem Stand entsprechende Erziehung, profitiert aber heimlich vom Unterricht ihrer Brüder, der ihr als Frau verwehrt bleibt. Karriere zu machen ist ihr noch unmöglich und so gelingt es ihr erst durch ihre Heirat ihren Wissensdurst zu befriedigen und sich auf Reisen zu begeben, indem sie ihren Ehemann, den englischen Gesandten, in den Vorderen Orient begleitet. Die Reise dauert lange und ist beschwerlich, selbst für solch hochrangige Personen. Das westliche Europa durchquert sie noch recht problemlos, abenteuerlich wird es aber, als sie sich entschließt, mit Sack und Pack, insgesamt 30 Kutschen und Fuhrwerke, im Winter nach Konstantinopel zu reisen. Man rät ihr dringend davon ab und manches Mal scheint sie ihren Entschluss zu bereuen, den Landweg gewählt zu haben. Die Straßen  werden immer schlechter und nachdem sie die Grenze zum Osmanischen Reich passiert hat, auch unübersehbar die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Staatliche Willkür all überall. Im Osmanischen Reich herrschen die Janitscharen mit brutaler Macht und Terror. Selbst der oberste Herrscher widersetzt sich ihnen nicht. Obwohl sie die dortigen Verhältnisse deutlich kritisiert, schildert sie auch die schönen, ja prachtvollen Seiten des Orients. Berühmt wurden ihre Erzählungen aus dem Serail, den Männer nicht betreten durften und so vieles, das von diesen darüber erzählt wurde, von ihr in das Reich der Phantasie verwiesen wird.


Stil und Sprache
Briefe und Reiseliteratur sind en vogue im 18. Jahrhundert. Letztere wird aber mehrheitlich von Männern verfasst, Erstere bieten auch Frauen Gelegenheit, sich schriftstellerisch zu betätigen. Lady Wortley Montagu ist talentiert und ihre Briefe werden abgeschrieben und von Hand zu Hand weitergereicht und finden so schon ein Publikum, ehe sie noch nach ihrem Tod als Buch veröffentlicht werden. Anschaulich schildert sie ihre Erlebnisse, ob nun in Hannover bei der königlichen Familie, in Wien oder unterwegs. Ihren Stil und ihre Sprache passt sie immer auch den Adressaten an. Alexander Pope erhält ganz anders geartete Briefe als die ihr bekannten Damen bei Hofe. Literarische Qualität haben sie jedoch alle. Am ehrlichsten, weil ohne Rücksichten auf höher gestellte Persönlichkeiten, sind wohl die Briefe an ihre Schwester. Familiäres klingt darin an. Sie will primär unterhalten und dies gelingt ihr ausgezeichnet. Recht spöttisch beschreibt sie die Mode am Wiener Hof. Lässt sich über so manche dortige Sitte aus und vergleicht diese immer mit den heimatlichen, englischen Verhältnissen. Wer da nun besser abschneidet, lässt sich nicht immer mit Gewissheit sagen. Sie geht mit offenen Augen durch die Welt und es bereitet ihr ein besonderes Vergnügen, die Reiseberichte männlicher Kollegen zu berichtigen, ja diese manches Mal regelrecht bloß zustellen. Sehr auffällig ist dies in den Briefen aus dem Osmanischen Reich. Ihr Interesse gilt zuallererst den Frauen. Als Einzige ihrer Zeit wird sie in den Serail eingeladen und kann sozusagen live daraus berichten. Ihre Schilderungen sind sehr opulent und detailliert. Zunächst fast euphorisch schreibt sie über das Leben im Serail. Überaus sinnlich geraten ihr mehrere Stellen und man kann verstehen, wieso spätere, prüdere Gesellschaften ihre Briefe verabscheuten. Einmal allerdings, in einem Brief an Pope, sieht sie die Dinge mal nicht durch die rosa Brille und urteilt recht harsch über die Hörigkeit der Frauen. Auch erkennt sie die Langeweile, die in den Harems herrscht. Nach diesem „Ausrutscher“ allerdings setzt sie ihre Schwärmereien fort. Dies ist wohl ihrem Publikum geschuldet. So verrät die Lady doch mehr von sich, als sie das eigentlich möchte. Oder vielleicht war es auch ihre Absicht, wer weiß das schon bei einer Frau, die mit ihrer Unwissenheit kokettiert und deren scheinbare Bescheidenheit keine ist.
Allgemein gilt sie heute als eine der Ersten, die sich für die Freiheit der Frauen einsetzte. Die Art und Weise jedoch, wie sie auch die politischen Verhältnisse beschreibt und durchschaut, verdienen höchsten Respekt. Es gibt Stimmen, die meinen, dass sie mit ihren schwärmerischen Erzählungen die Mission ihres Mannes unterstützen wollte, mit der schonungslosen Darstellung von Gewalt und Willkür hat sie aber eher das Gegenteil erreicht. Möglicherweise war dies auch der Grund, weshalb ihr Mann bereits nach einem Jahr nach England zurückberufen wurde.


Figuren
Naturgemäß stehen bei einer Reisebeschreibung die unbekannten, neu entdeckten Landschaften, Städte, fremde Sitten und Menschen im Mittelpunkt, selten ganz bestimmte Personen. Mary Wortley Montagus Tochter vernichtete die meisten Briefe ihrer Mutter, da sie deren lasterhafte Zunge fürchtete, die noch lebende Personen bloßstellen könnte. So sind die Beschreibungen der Personen, die in ihren Briefen erwähnt werden, eher harmlos oder schmeichelhaft, denn authentisch. Vor allem, wenn es sich um die Königsfamilien Österreichs und Englands handelt. Die Reisebekanntschaften sind zahlreich, aber selten macht sich die Autorin die Mühe, sie näher zu beschreiben, bleibt an der Oberfläche. Gerne hätte man da doch gewusst, was die Tochter so alles aussortiert hat, denn manches lässt sich auch in der „gesäuberten“ Version zwischen den Zeilen erahnen oder sogar herauslesen.


Aufmachung des Buches
Es handelt sich um ein gebundenes Buch, dessen dominierende Farbe Schwarz ist. Die Vorderseite zeigt ein Bild Lady Wortley Montagus in „türkischer Tracht“. Statt schwarz-weiß, grün-weiß abgedruckt. Darunter der Titel in weiß. Alles eher zurückhaltend. Ein ebenfalls schwarzes Lesebändchen vervollständigt das Buch.

Die beiden Vorreden von Irmela Körner werden mit Zitaten von Marquez und Rahel Varnhagen eingeleitet. Bilder der Autorin und Stiche der Landschaften, die sie bereist, sind über das ganze Buch verstreut, manchmal ganzseitig, meistens aber wesentlich kleiner. Unbekanntes aus den Briefen, wie z.B. Anspielungen oder uns heute Lebenden unerklärliche Begriffe, werden in einer Vielzahl von Fußnoten erläutert. Abgerundet wird der Text durch Hinweise auf die Briefpartner der Lady, einen historischen Abriss des Osmanischen Reiches und Empfehlungen der Herausgeberin zum Weiterlesen. Alles in allem eine runde Sache, die bei mir keine Wünsche offen ließ.


Fazit
Der Lady ist ein amüsantes, gut lesbares Buch gelungen, das bei aller Begeisterung für das Fremde auch dessen Schattenseiten nicht verschweigt. Darüber hinaus erhält man auch einen kleinen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit. Historie einmal anders.
Einzig der Preis erscheint mir etwas zu hoch, so dass die „Briefe“ vielleicht weniger Verbreitung finden, als sie verdient haben.


4 5 Sterne


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