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Therese Bichsel porträtierte in früheren Romanen u. a. die schöne Schifferin und Catherine von Wattenwyl. Nun liegt eine weitere bewegende Frauen-Biografie vor: das Schicksal der Prinzessin Juliane von Sachsen-Coburg, die als Grossfürstin Anna Feodorowna (1781– 1860) in die Geschichte einging.
Anna wünschte sich lediglich ein kleines bisschen Privatheit, Liebe und Wärme. Aber die Glücksmomente waren rar und flüchtig. Das Leben, das sie sich erträumt hatte, gelang nur in Ansätzen und jenseits der Konventionen …

 

Grossfuerstin Anna 

Autor: Therese Bichsel
Verlag: Zytglogge-Verlag
Erschienen: August 2012
ISBN: 978-3729608511
Seitenzahl: 299 Seiten


Die Grundidee der Handlung
1795 folgt Herzogin Auguste von Sachsen-Coburg mit dreien ihrer Töchter einer Einladung der Zarin Katharina der Großen nach St. Petersburg. Ihr zweiter Enkel, Grossfürst Konstantin, soll sich unter ihnen eine Braut wählen. Er entscheidet sich für die Jüngste, die erst 14-jährige Juliane, die beim Übertritt zum orthodoxen Glauben den Namen Anna Feodorowna erhält. Ihr Ehemann ist nur zwei Jahre älter als sie, aber er quält seine junge Frau von Beginn an durch körperliche und seelische Grausamkeiten. Nach fünf Jahren verlässt sie ihn mit Duldung des Zaren Alexander, ihres Schwagers. In der Schweiz findet sie in der Nähe von Bern eine neue Heimat und versucht dort, sich ein eigenes Leben aufzubauen und „ein bisschen Freiraum und Wärme“ zu finden.

Die Schweizerin Therese Bichsel erzählt das bewegende Schicksal der Prinzessin Juliane von Sachsen-Coburg, die durch ihre „glänzende“ Heirat in das russische Zarenhaus den Aufstieg ihrer Familie – und des unbedeutenden kleinen Herzogtums – zu den Thronen Europas begründete.


Stil und Sprache
Dieses Buch ist ein Roman, schildert aber so authentisch und nahe an den historischen Fakten das Leben der Grossfürstin Anna, dass die Bezeichnung „biografisch“ eigentlich hinzugefügt werden müsste. Es beginnt 1795 mit ihrem Abschied von Coburg, dem Vater und den jüngeren Geschwistern, und der Leser begleitet dann auschließlich sie durch die weitere Handlung. Die Autorin benutzt die Gegenwartsform (Präsens), um stets nahe am Geschehen zu sein und dadurch Spannung zu wecken, einige Rückblicke auf besondere Vorkommnisse ergeben sich aus Gesprächen oder Annas Erinnerungen und werden dann natürlich in der Vergangenheitsform geschildert. Dies ist auch notwendig, um den großen Zeitsprung zwischen dem ersten Kapitel und dem zweiten (1811) zu überbrücken. Zunächst ist dieser ein wenig verwirrend, da gerade die fehlenden Jahre die Erklärung für Annas „Flucht“ aus Russland und vor ihrem Ehemann beinhalten, bei näherer Überlegung ist das Ganze aber nur folgerichtig, weil Therese Bichsel auf diese Art vermeidet, allzu tief in die Privatsphäre des Paares einzudringen und sich in Vermutungen und „Klatsch“ zu ergehen. Für den Fortgang der Geschichte genügen die nüchternen Tatsachen, das Übrige ist der Phantasie des Lesers überlassen. Die folgenden Jahre sind geprägt von den politischen Ereignissen, d.h. den Eroberungen Napoleons und den Befreiungskriegen, die Anna als Schwägerin des Zaren – der sie immer noch zu seiner Familie zählt und sich auch ihrer Geschwister annimmt – zu einer wichtigen öffentlichen Persönlichkeit machen. So erhoffen sich auch die Stadtväter von Bern, wo sie mittlerweile lebt, Vorteile von ihrer Anwesenheit, besonders als es beim Wiener Kongress um die Neuordnung Europas geht. Hinter diesen – für alle Welt sichtbaren – Verpflichtungen, kann Anna ihr recht kompliziertes, privates Leben nur in großer Heimlichkeit führen.
Alle diese Zusammenhänge schildert die Autorin in einer klaren, schnörkellosen Sprache, sehr authentisch und gut verständlich. Die schönen Landschaftsbeschreibungen von Bern und Umgebung und dem kleinen Coburg mit der eindrucksvollen Veste oberhalb von Schloss Ehrenburg tun ein Übriges, um den Leser zu fesseln und zu interessieren. In die beiden Gemälde von Annas Heim "Elfenau" – gemalt von Vater und Sohn Gabriel Lory – kann man sich buchstäblich hineinträumen.


Figuren
Alle wichtigen Figuren sind historisch und haben tatsächlich so oder ähnlich gehandelt. Die meisten standen unausgesetzt im Licht der Öffentlichkeit und waren für das Wohl und Wehe vieler Menschen verantwortlich, dementsprechend hoch waren die an sie geknüpften Erwartungen. Berücksichtigt man dazu die Zeit, in der sie lebten, und den Verhaltenskodex, den Stand, Ehre und Religion vorgaben, dann hat Anna Feodorowna von vielen Seiten sehr große Unterstützung und Verständnis erfahren. Selbst wenn nicht alle ihre Angehörigen von ihren beiden unehelichen Kindern wussten – oder zumindestens so taten –, so wäre allein schon die Tatsache, dass sie ihren Mann verlassen hatte, ein Grund gewesen, sie aus der Familie auszuschließen. Das gute Verhältnis, das sie auch weiterhin zu Eltern und Geschwistern hatte, war zur damaligen Zeit eher ungewöhnlich, wird aber von der Autorin sehr glaubhaft und nachvollziehbar geschildert und ergibt sich auch aus den gegenseitigen Besuchen und dem Reisetagebuch der Herzoginmutter Auguste. Auch die Tatsache, dass das russische Kaiserpaar Anna seine Freundschaft bewahrte, lässt darauf schließen, dass sie ihr ihre Flucht nicht nachtrugen, wenn es auch notwendig war, dass sie um „die Ehre des Kaiserhauses zu schützen“ bei der Scheidung die Schuld auf sich nehmen musste.
Anna selbst war im Grunde ein Opfer, wie so viele junge Frauen ihres Standes, die ohne Rücksicht auf ihre persönlichen Wünsche verheiratet wurden. Sie hatte das Glück, dass ihre Familie sie nicht fallen ließ, vielleicht aus Dankbarkeit, denn allein ihre Heirat hat das Haus Coburg unter den Schutz des Zaren gestellt und verhindert, dass Napoleon das Ländchen annektierte, und wohlmöglich hätte es ohne sie weder einen König von Belgien, noch eine Königin von England aus ihrem Hause gegeben.

Therese Bichsel beschreibt alle diese Personen mit großem Einfühlungsvermögen und sehr nah an den bekannten Quellen. Die Übergänge zwischen Fakten und Fiktion sind wirklich fließend und selbst bis in die privaten Dialoge hinein stimmig und nachvollziehbar.


Aufmachung des Buches
Das dunkelrote Hardcover zeigt auf den vorderen Innendeckeln den Stammbaum der Familie Sachsen-Coburg. Die Handlung ist in 14 - nach Jahren betitelte - Kapitel gegliedert, die sich in weitere Abschnitte, mit genaueren Daten – Monat oder Tag – unterteilen. Nach der Vorgeschichte von 1795-1796 geht es mit den Jahren 1811-822 chronologisch weiter. Die folgenden Jahre bis 1837 sind in Kurzform zusammengefasst, ehe das Schlusskapitel noch einmal die Ereignisse dieses für Anna besonders tragischen Jahres aufgreift. Es folgt eine Kurzbiografie der Grossfürstin und eine Quellenangabe. In der Mitte des Buches sind zwei Gemälde von Annas Landsitz „Elfenau“ bei Bern, sowie zwei Bilder von ihr und ihrem Oberhofmeister Rudolf Schiferli zu sehen. Ein Portrait der jungen Grossfürstin – 1795/96 gemalt von Elisabeth Vigée Lebrun – schmückt das Titelblatt des Schutzumschlags, ein kleineres von Daniel Mottet – das sie 1820 zeigt – die Rückseite.


Fazit
Dieses Buch hat mich fasziniert. Als langjähriger „Hobbyhistorikerin“ ist mir die Dynastie Sachsen-Coburg wohlbekannt. Noch heute findet man sie in den Stammtafeln der europäischen Königshäuser. Dass dieser rasante Aufstieg mit der Heirat der erst 14-jährigen Juliane Henriette Ulrike begonnen hat, war mir völlig neu und ich bin Therese Bichsel für die Schließung dieser „Bildungslücke“ wirklich dankbar.


5 Sterne


Hinweise
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