Durch einen Zufall gelangt der junge Jim Hawkins in den Besitz einer Schatzkarte des berüchtigten Piratenkapitäns Flint. Gemeinsam mit seinen Freunden segelt er zur legendären Schatzinsel. Doch auch einige Piraten aus Flints früherer Mannschaft, allen voran der einbeinige Schiffskoch Long John Silver, wollen den Schatz heben.
Robert Louis Stevensons spannend-unterhaltsames Abenteuer zeichnet sich durch psychologisch fundierte Charakterzeichnungen aus. Die Verknüpfung fantastischer Elemente der Schatzgräberromantik mit realistischen Detailzeichnungen ferner Länder hat schon Generationen von Lesern in ihren Bann geschlagen.
Originaltitel: L'île au trésor |
Die Grundidee der Handlung
Um der Handlung nicht die ganze Spannung zu nehmen, füge ich der Verlagszusammenfassung nichts mehr hinzu. Lesern, die den Jugendbuchklassiker von Robert L. Stevenson kennen, dürfte der Inhalt ohnehin vertraut sein.
Die Idee, Romanklassiker als Comic umzusetzen, ist zwar nicht neu, doch der Umfang dieser groß angelegten Serie von jetzt schon 10 Bänden (weitere sind geplant), die insbesondere Jugendliche anvisiert, stellt alles andere in den Schatten. Im Inhalt trotz der Kürzungen noch verständlich und flüssig zu lesen und mit viel Hintergrundinformationen aufbereitet, hat man sich bei diesen Hardcoverbänden sichtlich Mühe gegeben, auch wenn das Artwork mit gängigen Comicstandards nicht mithalten kann. Für die jugendliche Zielgruppe oder Comiceinsteiger in jedem Fall empfehlenswert.
Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Da die Handlung aus Sicht des jugendlichen Helden Jim Hawkins erzählt wird, steht er auch in den Bildern immer im Mittelpunkt: ein schmaler, mittelgroßer Junge, die langen, mittelbraunen Haare werden mit einem Band zusammengehalten. Er trägt einfache, aber saubere Kleidung wie sie der damaligen Mode entsprach: ein weißes Baumwollhemd, eine lange Weste, körperbetonte Kniebundhosen, Wollstrümpfe und Schnallenschuhe. In seinem Verhalten ist er anfangs zögerlich und ängstlich, doch in gleichen Maßen wie sich die Ereignisse allmählich zuspitzen und für Jim und seine Gefährten immer lebensbedrohlicher werden, gewinnt der Junge an Wagemut. Sogar mit Pistolen weiß er zum Schluss umzugehen, so dass er sich gegen die raubeinigen Piraten behaupten kann.
Jims Freunde wie z.B. Doktor Livesey und der Kapitän sind - ihrem Stand gemäß - ebenso gut wiedergegeben. Ihre Kleidung ist deutlich nobler als Jims bürgerliche, auch tragen sie schicke Gehröcke und verdecken ihre natürlichen Haare mit Perücken.
Und nun zu den Gegenspielern, allen voran der einbeinige Oberschurke Long John Silver. Als Schiffskoch angeheuert, vermutet in ihm zunächst keiner den Anführer einer skrupellosen Piratenbande. Jim freundet sich sogar mit ihm an. Als Leser ist man vom ersten Moment an fasziniert, verkörpert Silver doch alles, was man sich unter einem „richtigen“ Piraten vorstellt: wettergegerbte Gesichtszüge, Stoppelbart, um den Kopf hat er ein Tuch gebunden, die langen Haare sind zu einem Zopf geflochten, sein verschlagenes Lächeln entblößt schlechte Zähne, eine Pistole steckt vorne provozierend im Gürtel und auf seiner Schulter sitzt ein Papagei. Trotz seiner Zwielichtigkeit kann man ihm einen gewissen Charme nicht absprechen, weil er sich ab und zu auch von seiner menschlichen Seite zeigt.
Personen wie auch Setting sind von mittelmäßiger Zeichenqualität. Alles ist authentisch und realistisch wiedergegeben, geht aber nicht sehr ins Detail. Am besten schneidet noch die Darstellung der Personen, der Hafenstadt Bristol und des Schiffs ab. Schwach dagegen fand ich die Südseeinsel gezeichnet und koloriert. Gerade sie sollte der Inbegriff von Exotik, Abenteuer und Fernweh sein, unterscheidet sich aber mit ihrer oberflächlichen Darstellung der Vegetation in nichts von einer europäischen Insel. Gut gefiel mir, dass es trotz häufigem Gebrauch von Schusswaffen kein Blutvergießen gibt. Alle Gewaltdarstellungen kommen subtil und somit altersgerecht rüber. Gruselig wird es aber an einer Stelle, wo ein menschliches Skelett groß ins Bild rückt.
Die Farben sind insgesamt gut gewählt, die Bilder büßen allerdings durch eine großflächige Kolorierung etwas von ihrer Lebendigkeit ein. Licht- und Schattendarstellungen sind vorhanden, bleiben aber auch nur großflächig angedeutet, was ich besonders bei den Gesichtern als störend empfand, wo ich von gängigen Comics feinere Nuancen gewöhnt bin. Mit ihrer dunkelblauen Einfärbung heben sich die Szenen bei Dunkelheit gut vom Rest ab, ähnlich verhält es sich mit einer eingeschobenen Rückblende, nur kommt sie extrem hell in Eisblau daher.
Ganz klassisch und somit für Einsteiger bzw. die jugendliche Zielgruppe bestens geeignet sind Bildfolge und Größe der Panels. Die Dynamik der spannenden Handlung wird durch Einsatz von Geräuschwörtern unterstützt. Das Schriftbild in Sprechblasen und Erzähltext ist ebenfalls comictypisch in Großbuchstaben, jedoch fein geschwungen, was ich gewöhnungsbedürftig empfand.
Aufmachung des Comics
Die Bücher dieser Reihe sind gebunden und verfügen über eine einheitliche Covergestaltung. Der obere Teil in verschiedenen Farben je Buch kennzeichnet die Reihe, der untere, größere Teil ist schön illustriert; hier mit dem Schiff, das Jim und seine Freunde zur Schatzinsel bringen soll. Leider wird ein Großteil des detailliert gezeichneten Titelbildes von Autorenname und Titel verdeckt. Für Letztere wiederum hätte ich eine andere Farbe gewählt, denn in Weiß heben sie sich kaum vom Untergrund ab. Die Rückseite hat einen grünen Grundton und ist mit der Inhaltsangabe bedruckt. Rechts unten befindet sich eine kleine Illustration von Jim und seinem „Freund“ Long John Silver.
Hervorragend finde ich den umfangreichen Anhang mit vielen Hintergrundinformationen über den Autor, sein Leben, sein Werk und das viktorianische Zeitalter des Kolonialismus, in dem sich die Handlung abspielt. Auch wird der Unterschied zwischen Piraten und Freibeutern erklärt. Begleitend zum Text gibt es noch zahlreiche Illustrationen. Auf dem Nachsatz werden abschließend weitere Titel der Reihe vorgestellt.
Fazit
Trotz der Kürzungen gut und flüssig erzählt, authentisch illustriert und mit einem umfangreichen Anhang voller Hintergrundinformationen versehen, halte ich diese Comicadaption ‚der Schatzinsel‘ für die Zielgruppe ab 10 Jahren empfehlenswert. Versierten Comiclesern wird das nach heutigen Maßstäben bestenfalls mittelmäßige Artwork jedoch nicht genügen.
Hinweise
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Wer noch mehr von Long John Silver lesen möchte, dem sei die gleichnamige Comicreihe empfohlen: Band 1.