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Kategorie: Krimis

Im Juni 1940 in Paris einen depressiven Nervenarzt zu überwachen, ist für Nestor Burma, Detektiv in der Agentur Bohman, nicht gerade ein Traumjob. Die Nazis stehen kurz vor Paris, die Hauptstädter fliehen aus der Stadt, selbst die Psychiatrien haben ihre Patienten auf die Boulevards entlassen. Der merkwürdige Selbstmord des Irrenarztes macht die Sache nicht besser …

 

Boulevard der Irren 

Originaltitel: Boulevard des Branques
Autor: Patrick Pécherot
Übersetzer: Katja Meintel
Verlag: Nautilus
Erschienen: 2011
ISBN: 978-3-89401-744-6
Seitenzahl: 256 Seiten



Die Grundidee der Handlung
Nestor Burma, seines Zeichens Privatdetektiv, hält zusammen mit der hübschen Yvette die Stellung in der Agentur Bohmann in Paris. Die Lage in Frankreich im Jahre 1940 ist als kritisch zu bezeichnen, die Deutschen sind durchgebrochen und stehen nun kurz vor Paris. Auf den Straßen herrscht das pure Chaos, jeder versucht die Stadt zu verlassen, um sich vor den anrückenden Teutonen in Sicherheit zu bringen. In diesem Wirrwarr findet Nestor Professor Griffart, einen angesehenen Psychiater, tot in seinem Bett. Offensichtlich hat er sich selbst eine Überdosis Phenobarbital gespritzt, um den Deutschen nicht in die Hände zu fallen. Doch irgendwie lässt der Fall den Detektiv nicht zur Ruhe kommen. Ihm werden Informationen zum Mord am Professor zugespielt und von diesem Zeitpunkt an stürzt er von einem Problem ins nächste. Und Probleme gibt es in diesen schlimmen Zeiten viele. Sturzbomber, allerlei Ganoven und natürlich die Irren bzw. ihre Pfleger und Ärzte. Denn eine Spur führt ihn in die Irrenanstalt von Clermont und zurück zu seiner eigenen Vergangenheit im spanischen Krieg. Für die Beteiligten scheint Burma zu viel zu wissen und so wird er kurzerhand aus dem Verkehr gezogen. In der Irrenanstalt hängt sein Leben an einem seidenen Faden und es ist keine Rettung in Sicht.

Die Idee, in den Wirren des Krieges einen Mordfall im Irrenhausmilleau aufzuklären, hat der Autor mit Bravour umgesetzt. Die Beschreibungen wirken authentisch und passen gut in die Kriegsjahre.


Stil und Sprache
Der Krimi spielt im Paris der 1940er Jahre. Eine wirklich aufregende und schwierige Zeit für die Bevölkerung Frankreichs. Der Krieg gegen Deutschland scheint verloren, die Truppen sind durchgebrochen und stehen kurz vor der Hauptstadt. Die Ein- und Ausfallstraßen sind mit Flüchtlingen und vielen Toten verstopft. Die Sturzbomber-Angriffe machen einen Aufenthalt außerhalb von Paris extrem unsicher und gefährlich.
Der Autor Patrick Pécherot beschreibt diesen Zustand sehr realistisch und obwohl ich die Zeit zum Glück nicht selbst miterlebt habe, fühlt man sich beim Lesen mit authentischen Bildern und Szenen konfrontiert. Leider heißt dies aber auch, dass er sich bei den Beschreibungen nicht zurückhält und man somit stellenweise gute Nerven braucht. Gerade die Szenen auf den Landstraßen, auf denen sich verstümmelte Leichen von Menschen und Tieren stapeln oder auch die Bombenszenen in Chartres und Clermont, die der Autor ebenfalls sehr bildreich beschreibt, stimmen nachdenklich.

Neben dem eigentlichen Krimi hat der Autor sich quasi als Nebenthema des Rassegedankens der Nazis angenommen. Er liefert viele geschichtliche Hintergrundinformationen zu den Rassegesetzen, der gerade begonnenen Euthanasie, die nicht nur im Nazideutschland Anhänger hatte, sondern auch unter angesehenen französischen Ärzten Zustimmung fand. Das Thema Psychiatrie und Irrenhaus wurde in dieser Zeit sehr extrem behandelt. Der Autor zeigt diese Situationen ebenfalls ausgesprochen realistisch - die Szenen im Irrenhaus von Clermont schockieren, wie mit den Insassen umgegangen wird, lässt einen nur den Kopf schütteln. Mit Medikamenten vollpumpen, in dreckige Löcher sperren, mit Elektroschocks traktieren und durch eingeschränkte Essensrationen den Tod einfach hinnehmen ist hier an der Tagesordnung.

Trotz dieser vielen Schrecklichkeiten schafft es der Autor, auch Lichtblicke und schöne Momente zu platzieren. Ein Highlight, das nicht nur Nestor Burma, sondern auch den Leser aufatmen lässt, ist die Beziehung zur schönen Yvette. Man mag es kaum glauben, aber selbst in diesen schlimmen Zeiten gibt es Platz für Liebe. Entstanden ist so ein verwirrender, mit viel Geschichte gespickter Roman, der einen guten Blick auf die Zeit eröffnet.


Figuren
Der Hauptdarsteller Nestor Burma stolpert in diesem Fall von einem wirren Problem ins nächste. Der Mord an Professor Griffart bringt ihn durcheinander und lässt ihn an sich selbst zweifeln. Warum wurde er ermordet? Viele seiner ehemaligen Kameraden tauchen in dieser Zeit, wo eigentlich alle flüchten, wieder auf und versorgen ihn mit Informationen, die ihn noch mehr verwirren. Eine Spur führt ihn in die Irrenanstalt von Clermont, in der auch Griffart Untersuchungen durchgeführt hatte. Trotz der verqueren Lage versucht er ruhig zu bleiben und den Überblick nicht gänzlich zu verlieren.

Eine große Hilfe dabei ist seine gute Seele und neuerdings auch Sexgespielin Yvette. Sie sortiert ihm die Informationen und hilft ihm beim entspannen, was offensichtlich beiden viel Spaß bereitet. In diesen unsicheren Zeiten übrigens gar nicht so einfach. Leider lehnt sich Nestor zu weit aus dem Fenster und gerät somit selbst ins Kreuzfeuer und in die Irrenanstalt. Aber er bleibt ganz der Held, der er ist und lässt sich nicht unterkriegen.

Was sich noch an Figuren findet, sind viele Irre, deren Betreuer, die manchmal selbst nicht weit vom Wahnsinn entfernt sind und diverse kleine und große Ganoven, die versuchen, das Beste aus der Situation unter den Besatzern zu machen. Ein buntes Sammelsurium an Kuriositäten die sehr gut in die Geschichte passen und ein realistisches Bild dieser schwierigen Periode darstellen.


Aufmachung des Buches
Optisch schließt der dritte Teil nahtlos an die beiden anderen an. Auf dem Cover befindet sich auf schwarzem Grund durch einen Leuchtrand hervorgehoben ein Irrer in Zwangsjacke sowie im Hintergrund die aufmarschierenden deutschen Truppen. Insgesamt eine schöne Komposition, die gut zum Inhalt passt. Der Druck auf hochwertigem Papier wertet den Gesamteindruck weiter auf.


Fazit
Ein verwirrender aber würdiger Abschluss dieser Trilogie um Nestor Burma. Wer Krimis mit historischem Background mag, wird seine Freude daran haben. Vorsicht, gute Nerven sind nötig!


4 Sterne


Hinweise
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Backlist
Fall 1: Nebel am Montmartre
Fall 2: Belville - Barcelona