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Kategorie: Romane

Eine Stadt sucht einen Kopf

Im Sommer 1897 hält der Fall mit der kopflosen Leiche ganz New York in Atem. Die Polizei tappt zunächst im Dunkeln. So sind es Journalisten, die einer Spur ins deutsche Immigrantenmilieu des brodelnden Manhattan folgen und mit ihren Schlagzeilen einen wahren Zeitungskrieg entfachen. Eine spannende Geschichtsstunde über einen der spektakulärsten Mordfälle, gewürzt mit kuriosen Details und interessanten Portraits der Zeitungsmogule Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst.

 

Der Mord_des_Jahrhunderts 

Originaltitel: The Murder of the Century
Autor: Paul Collins
Übersetzer: Carina Tessari
Verlag: Irisiana
Erschienen: 03/2012
ISBN: 978-3424151220
Seitenzahl: 432 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Man schreibt das Jahr 1897, es gibt weder Computer noch Internet, die schnellste Art der Nachrichtenübermittlung ist die Zeitung. Es gibt Morgen- und Abendausgaben, unzählige Reporter schwirren durch die Straßen New Yorks und versuchen stets, die ersten zu sein, die eine aufsehenerregende Nachricht ergattern können. Statt Fotos gibt es Zeichnungen und wenn es schnell gehen muss, werden Brieftauben eingesetzt. Als eine zerstückelte Leiche gefunden wird, deren Einzelteile ordentlich zersägt und verpackt an verschiedenen Plätzen in der Stadt gelandet sind, entbrennt eine Hysterie, die der Journalismus so noch nicht gesehen hat. Zwei konkurrierende Blätter kämpfen um die neuesten Nachrichten, während die Polizei mühsam nach Indizien sucht, um zunächst das Opfer zu identifizieren und dann seine Mörder dingfest zu machen.

Liest man den Rückentext dieses Buches, so glaubt man sich zunächst in einen historischen Krimi versetzt, sobald man jedoch mit dem Lesen beginnt, wird man eines Besseren belehrt. Paul Collins hat Unmengen von geschichtlich belegten Fakten zusammengetragen und daraus eine Art Dokumentation eines spektakulären Kriminalfalls gemacht. Ein Krimi ist das leider nicht, eher eine Auseinandersetzung mit den damaligen Umständen, was zum einen die Polizeiarbeit, zum anderen die Methoden des Journalismus angeht. Der Konkurrenzkampf der beiden großen Zeitungsverleger Pulitzer und Hearst steht zudem zeitweise mehr im Mittelpunkt als der Mordfall selbst und ist wohl eher für den an historischen Fakten interessierten Leser spannend als für denjenigen, der einen Mord gelöst haben will.


Stil und Sprache
Paul Collins erzählt die Geschichte eines Mordes sehr akribisch und wohlsortiert: Erst geht es um das Opfer, dann um die Verdächtigen, es folgen die Anklage, der Prozess und natürlich das Urteil, am Ende erläutert er außerdem das Leben „danach“. Dabei legt er großen Wert auf eine authentische Sprache, verwendet eine Vielzahl von Zitaten aus zeitgenössischen Veröffentlichungen und würzt seinen Text außerdem mit vielen kleinen Details aus dem Alltagsleben des Jahres 1897. Dass seinem Roman eine umfangreiche Recherchearbeit zugrunde liegt, zeigt sich auch am sehr üppig ausgefallenen Anhang, der auf rund 60 (!) Seiten sämtliche Zitate, Quellen etc. belegt. Leider lässt diese eher dokumentarische Schreibweise jegliche Spannung auf der Strecke bleiben, so dass die Enttäuschung bei jedem, der eigentlich einen Krimi erwartet hat, wohl groß sein wird. Auch bleibt Collins stets neutral, erlaubt sich keinerlei Spekulationen über das Opfer, die Täter (die relativ früh feststehen) oder auch die manchmal etwas fragwürdigen Methoden der beteiligten Journalisten. So ist er aber eben auch immer auf Distanz zum Geschehen, manchmal wirken seine Schilderungen derart emotionslos, als entstammten sie einem Geschichtsbuch statt einem Roman. Hinzu kommt, dass die Fülle der Details einen als Leser zeitweise fast erschlägt, unzählige Blickwinkel und Perspektiven erschweren das Lesen zusätzlich.


Figuren
Eine große Schwäche dieser Geschichte sind die Figuren, was natürlich auch in der selbst auferlegten Verpflichtung des Autors zur Neutralität begründet ist. Da er sich strikt an die historisch belegten Fakten hält, bekommt man keinerlei Hintergrundinformationen über die beteiligten Personen. Weder der ermittelnde Polizist noch die gefassten und später angeklagten Täter haben die Chance, für den Leser wirklich lebendig zu werden. Zwar gibt es Aussagen und auch Zitate von allen, aber diese bleiben seltsam dürr und unterstreichen den dokumentarischen Charakter des Buches nur, statt es zum packenden Roman aufzuwerten. Niemals werden Gedanken der Charaktere geschildert oder ihre Motive interpretiert, wodurch sie bis zum Schluss blass und distanziert wirken.

Eine Hauptfigur im eigentlichen Sinne gibt es ebenfalls nicht, alle Beteiligten haben eher Kurzauftritte, lediglich die beiden Zeitungsverleger bekommen etwas mehr Raum. Dafür gibt es wahre Massen an Journalisten, Zeugen und sonstigen Nebenfiguren, so dass man den Eindruck hat, jeder, aber auch wirklich jeder, der in irgendeiner historischen Quelle auftaucht, hat auch einen Auftritt in Paul Collins‘ Roman. Hier wäre weniger sicher mehr gewesen.


Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch ist sehr liebevoll aufgemacht und zeigt auf dem Schutzumschlag neben dem in großen Lettern gedruckten Titel zwei Passanten und einen Zeitungsjungen, der ein Blatt mit der Aufschrift „Der Fall Guldensuppe“ hochhält. Unter dem Schutzumschlag ist der Einband über und über mit Zeitungsartikeln bedruckt, die natürlich allesamt zum Fall gehören. Innen ist der Roman in fünf große Abschnitte eingeteilt, jeder Teil wird mit einer zeitgenössischen Zeichnung zum Fall Guldensuppe eingeleitet. Im Anhang finden sich ein Epilog sowie sämtliche Quellen und Zitate.


Fazit
Es ist wirklich schwer, hier ein Fazit zu ziehen, das dem Buch gerecht wird. Ein Krimi ist es definitiv nicht, dazu fehlt einfach die Spannung bei der Jagd nach dem Mörder. Lässt man aber diese Erwartungshaltung weg, liest man ein penibel recherchiertes Werk, das minutiös einen Kriminalfall beschreibt, der die (Medien-)Welt entscheidend verändert hat. Also: Krimifans – Finger weg! Faktenliebhaber mit Faible für Historisches – zugreifen!


3 5 Sterne


Hinweise
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