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Hitler hat den Krieg gewonnen. Großdeutschland, das vom Rhein bis an den Ural reicht, dominiert Europa. Aber Partisanenkämpfe und der Kalte Krieg in den USA zermürben das Reich. Da geschieht in Berlin der brutale Mord an einem hohen Parteibonzen – und Kripo-Sturmbannführer März gerät bei seinen Ermittlungen gefährlich nahe an die Wahrheit.

 

  Autor: Robert Harris
Verlag: Goldmann
Erschienen: 11/2005
ISBN: 978-3-570-06833-5
Seitenzahl: 417 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Deutschland hat den 2. Weltkrieg gewonnen und das von Hitler angestrebte Großdeutsche Reich umgesetzt. Nur im Ural tobt noch seit 20 Jahren ein erbitterter Kampf gegen russische Partisanen. Das Regime herrscht im Deutschen Reich mit eiserner Hand, sämtliche Lebensbereiche sind dem Nationalsozialismus untergeordnet.

1964:
Xavier März ist Kripo-Fahnder bei der Mordkommission. In Vertretung für einen Kollegen übernimmt er sieben Tage vor dem 75. Geburtstag des Führers die Untersuchungen zum Tod des Parteibonzen Dr. Bühler. Einen Tag später wird dessen Freund, Dr. Stuckart, tot aufgefunden – nur Zufall? Überraschend schnell schaltet sich die Gestapo (Geheime Staatspolizei) ein und setzt zunächst alles daran, die Tode wie Selbstmorde aussehen zu lassen. Schnell wird klar, dass Bühler und Stuckart, zusammen mit weiteren, in eine Korruptionsaffäre verwickelt waren und ein Netzwerk zum Raub von Kunstgegenständen aufgebaut haben.
März soll von dem Fall abgezogen werden und die Untersuchungen der Gestapo überlassen, doch er macht weiter. Und kommt hiermit nicht nur einem viel schlimmeren und weitreichenderem Geheimnis als dem Kunstraub auf die Spur, sondern gerät direkt in das Visier des brutalen Gruppenführers Globocznik und damit in Lebensgefahr…


Stil und Sprache
Robert Harris hat mit „Vaterland“ eine düstere Vision geschaffen und nutzt diese als Hintergrund für seinen Thriller - Hitler hat den 2. Weltkrieg gewonnen, der Nationalsozialismus herrscht über Europa. Im Laufe des Buches erarbeitet der Autor die Basis für die Gegenwart – 1964 – seiner Geschichte: 1943 Sieg über Russland, 1944 Frieden mit Großbritannien, 1946 Frieden mit Amerika, der Beginn des Kalten Krieges.

Dieser fiktive Hintergrund mag an sich ein sehr empfindliches Thema sein, aber um eines direkt vorwegzunehmen: Harris beschönigt mit keinem Wort den Nationalsozialismus. Vielmehr zeichnet er nach und nach ein Bild des Schreckens, dass dieses Regime über das Großdeutsche Reich und Europa gebracht hat.

In seinen gut dosierten Ortsbeschreibungen greift er, für möglichst viel Authentizität, auf das Berlin zurück, wie es den Plänen von Hitlers Architekt Albert Speer tatsächlich entsprochen hätte, und arbeitet anhand von Beispielen einerseits die größenwahnsinnigen Vorstellungen des Dritten Reichs, andererseits die Minderwertigkeitskomplexe der Nazis trotz eines fiktiven Sieges heraus. So schildert er u.a. den Wahn, dass alles verglichen werden muss, um die Überlegenheit Deutschlands auch wirklich demonstrieren zu können: der Berliner Triumphbogen ist ein vielfaches größer als der Pariser, gegen die Siegesstraße ist die Champs-Elyssee eher nur eine Passage, die Große Reichshalle ist sechzehn mal größer als der Petersdom in Rom, die Fassade der Reichskanzlei übertrifft die des Palastes von Ludwig XIV in Versailles, etc.

Auch das Regime als solches wird mit seiner Schreckensherrschaft dargestellt – sämtliche Lebensbereiche sind vom Nationalsozialismus durchdrungen und in dutzenden Organisationen geregelt, die Gestapo gilt als effektiv, aber auch als ungemein brutal und menschenverachtend, so zum Beispiel auch einige von deren Foltermethoden, die hier angesprochen werden.

Geschickt lässt Harris Details einfließen, wie Erinnerungen an Organisationen wie die Weiße Rose, deren Protestarbeit in der Gegenwart seiner Geschichte noch von einigen Studenten - unter Lebensgefahr – weitergeführt wird.

Harris‘ Geschichte wird in der Vergangenheitsform und aus Sicht eines unsichtbaren Begleiters von SS-Sturmbannführer Xavier März geschrieben, Perspektivwechsel gibt es nicht. Der Leser erarbeitet sich so mit dem Protagonisten die Hintergründe der kriminaltechnischen Untersuchungen, teilt März‘ Gedanken und Gefühle, kann nur auf seine Kenntnisse und Ergebnisse zurückgreifen und erlebt mit, was er erlebt. Die Sprache ist einfach und verständlich, man kann das Buch auch gut zum Entspannen lesen. Auf stark verschachtelte Sätze wird verzichtet, alle Fremdwörter oder Fachbegriffe werden direkt erläutert bzw. ergeben sich aus dem folgenden Text, so dass auch kein Leser, der sich mit Harris’ gewähltem Hintergrund wenig auskennt, überfordert wird. Durch die Ereignisse, die Harris in den Thriller einbringt, baut er schon früh Spannung auf, die er bis zum Ende des Buches auf hohem Niveau hält. Die Unterteilung des Buches erfolgte in sieben Teile, die für sieben Tage bis zum 75. Geburtstag des Führers stehen. Hierdurch baut er ein hohes Tempo auf, das den Leser durch die Geschichte zieht.

Um die Geschichte auf möglichst viele Fakten zu stützen, sind ein Großteil der im Roman beschriebenen und meist sogar dargestellten Dokumente sowie eine Faustskizze authentisch. Mit Hilfe dieser authentischen Dokumente zeichnet Harris zudem durch den damaligen Botschafter Joseph P. Kennedy (der in seiner Geschichte zum Präsidenten aufgestiegen ist) ein realistisches Bild der Ablehnung auch vieler Amerikaner gegenüber den europäischen Juden während des Zweiten Weltkrieges – eine leise Anklage auch gegen diejenigen, die sich nicht durch Taten, sondern durch Zurückhaltung schuldig gemacht haben.


Figuren
Der Protagonist dieses Thrillers ist Xavier März, Kripo-Fahnder, Kriegsveteran, SS-Sturmbannführer und Querdenker in einem Regime, das keine Querdenker duldet. Er ist geschieden und hat einen von der Propaganda der Nazis geprägten Sohn, der ihn verachtet, weil März zunehmend als Asozialer abgestempelt wird, der den Hitlergruß verweigert, Witze übe die Partei macht und keiner NS-Gruppierung angehört. Daher werden März seit über einem Jahrzehnt Beförderungen verweigert. Zudem ist März dickköpfig und bleibt weiterhin an den Untersuchungen seines Falles, obwohl ihm klar ist, in welche Gefahren ihn dies bringt. Mit seinen Ecken und Kanten ist der Protagonist eine durchweg glaubhafte Figur.

Genauso glaubhaft wird sein Gegenspieler, Gestapo- und SS-Obergruppenführer Odilo Globocznik, genannt Globus, dargestellt. Dieser ist ein brutaler, menschenverachtender und sadistischer Nazi, durch und durch vom Idealismus des Dritten Reiches und vom Spaß am Quälen und Töten geprägt. Auch der Antagonist ist eine glaubhafte und dreidimensionale Figur. Jedoch besteht im Gegensatz zu Xavier März ein entscheidender Unterschied: Sowohl die Figuren des Odilo Globocznik und Reinhard Heydrich, als auch die in diesem Roman als Nebenfiguren auftretenden bzw. als Opfer eingebrachten Personen Martin Luther, Wilhelm Stuckart, Josef Bühler und Kritzinger haben wirklich gelebt, von allen Personen sind die biografischen Einzelheiten bis 1942 zutreffend. So war z.B. Globocznik während des zweiten Weltkriegs Erbauer und Kontrolleur der Tötungszentren (Konzentrationslager) Majdanek, Belzec, Sobibor und Treblinka.

In dieser Hinsicht ist Harris ebenfalls ein Maximum an Authentizität gelungen, auch wenn die Figuren in der Gegenwart der Geschichte – 1964 – fiktiv sind.


Aufmachung des Buches
Mir liegt „Vaterland“ als nicht mehr erhältliche Lizenzausgabe des Goldmann Verlags für die Krimi-Bibliothek, einer Sonderreihe der bekannten Nachrichten-Zeitschrift „Stern“, im Taschenbuchformat vor. Das Cover des Schutzumschlages wird dominiert von einer Grafik der Großen Halle und der um diese gebauten Gebäude, eingefärbt in roter Tonung. Unter dem Schutzumschlag ist das Buch in schlichtem Weinrot gehalten.

Die Unterteilungen in sieben Teile wird jeweils von kurzen Textpassagen eröffnet, z.B. Ausschnitte aus Zitaten Adolf Hitlers oder den SS-Fahneneid.

Im Anschluss an den Roman findet sich eine Nachbemerkung des Autors, in dem er u.a. über die Authentizität der Figuren und verwendeten Dokumente berichtet, und eine umfassende Übersicht der Quellen für in diesem Buch verwandte Zitate, Dokumente,  Fakten und Zahlen, so z.B. die Schätzung der Verteilung von Juden in den einzelnen europäischen Staaten (Stand: 20.01.1942). Den Abschluss bildet eine Grafik, die die Siegesstraße, den Triumphbogen, Hitlers Palast  und die Große Halle (inkl. einiger Details wie z.B. die Höhe) zeigt, sowie eine Karte Europas, die den fiktiven Umfang des Großdeutschen Reichs 1964 darstellt.


Fazit
Eingebettet in die Kulisse einer finsteren politischen Vision hat Robert Harris einen beklemmenden Thriller geschaffen, der sich nicht nur für Interessierte der Geschichte des 20. Jahrhunderts, sondern für jeden Fan von Kriminalgeschichten uneingeschränkt eignet und auch von mir empfohlen wird. In diesem Buch befindet sich Harris auf einer Gratwanderung, rutscht jedoch nie ab – so wird dieser Roman keine Hommage, sondern vielmehr ein Schreckensbild eines Regimes, dass sich zum Glück nicht durchsetzen konnte.


4 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Der Roman „Vaterland“ wird mittlerweile vom Heyne-Verlag (ISBN-Nr. 978-3-453-72180-7) verlegt, die mir vorliegende Version der Stern-Krimi-Bibliothek ist nicht mehr erhältlich.

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