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Japan zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Nach dem Tod seines Vaters wird der zehnjährige Baron Akihito in die Obhut des Haushofmeister und Familienbutlers Tomoyuki Katsuragi gegeben. Dieser gibt sich kühl und erzieht den jungen Mann mit Strenge.
Eines Tages versucht Akihito, hinter das Geheimnis um die Reserviertheit von Katsuragi zu kommen… Und er setzt damit Ereignisse in Gang, die auch für ihn ungeahnte Konsequenzen haben werden!

 

Ein melancholischer Morgen 

Originaltitel: Yuutsu na Asa volume 1
Autor: Shoko Hidaka
Übersetzer: Dorothea Überall
Illustration: Shoko Hidaka
Verlag: Carlsen Manga
Erschienen: Dezember 2011
ISBN: 978-3-551-73064-0
Seitenzahl: 194 Seiten
Altersgruppe: ab 16 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)


Die Grundidee der Handlung
Der Manga ist zu einer Zeit angesiedelt, als Japan nach Jahrhunderte langer Verschließung gegenüber der Außenwelt seine Tore wieder weit öffnete und den Nachholbedarf innerhalb kürzester Zeit wettzumachen versuchte. Und so fühlt man sich in ‚Ein melancholischer Morgen‘ 50 Jahre nach Öffnung des Landes eher nach Wien, London oder Berlin versetzt als ins fernöstliche Japan, weil die höheren Gesellschaftsschichten, in deren Kreisen sich die Geschichte um den jungen, verwaisten Baron Akihito bewegt, ausländische Einflüsse als fortschrittlich ansahen und diese dementsprechend nachahmten. Genau wie in den europäischen Monarchien herrschten Anfang des 20. Jahrhunderts im Kaiserreich Japan strenge gesellschaftliche Spielregeln und Hierarchien, wo ein Adelstitel mehr Bedeutung hatte als Geld.
Behütet aufgewachsen in der Provinz, fühlt sich Akihito sehr einsam in der großstädtischen Villa, wo er von dem gut zehn Jahre älteren Katsuragi ganz nach dem letzten Willen seines verstorbenen Vaters erzogen werden soll. So verwundert es nicht, dass sich der Junge nach der Nähe und Anerkennung des distanzierten, geheimnisvollen Katsuragi sehnt, die dieser ihm aber verwehrt. Als Akihito älter wird und imstande ist, den stolzen Haushofmeister ein wenig zu durchschauen, versucht er - seinen eigenen höheren Rang ausnutzend - aus dessen ehrgeizigen Plänen für sich selbst Kapital zu schlagen, indem er Katsuragi ein an Erpressung grenzendes Geschäft anbietet….

Selten habe ich einen Manga gelesen, dessen Geschichte schon von Anfang an so bedächtig und sorgfältig aufgebaut, das persönliche Umfeld der Protagonisten so breit angelegt, die Charaktere so tief durchleuchtet sind. Seine Struktur erinnert an einen großen Gesellschaftsroman. Folglich geht es in der Handlung nur langsam und schleppend voran. Hierfür braucht es Geduld und die richtige Stimmung sich darauf einzulassen, sonst wird einem der Manga langweilig und zäh erscheinen. Wer jedoch – wie ich – nicht schlingt, wenn einem etwas besonders gut gefällt, sondern extra langsam macht, um den Genuss möglichst lange hinauszuzögern, für den ist ‚Ein melancholischer Morgen‘ genau das Richtige.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Dass sich dieser Manga an ein älteres, erwachsenes Publikum richtet, macht schon ein kurzer Blick auf das Artwork klar. Keine der Ausdrucksformen, die auf junge Leser so ansprechend wirken, finden hier Anwendung, denn die Szenen sind klar und schnörkellos gezeichnet, ohne irgendwelche Verniedlichungen oder Verzerrungen. Die dünne Strichführung der Mangaka erlaubt ihr eine saubere und detaillierte Ausarbeitung, so dass hier alles so wirklichkeitsgetreu und historisch authentisch wie nur möglich abgebildet ist.

Wie schon vorher erwähnt, wirkt das gesamte Sujet sehr europäisch. Der japanische Adel baute sich seine neuen feudalen Häuser im westlichen Stil mit Stein statt mit Holz, bei gesellschaftlichen Zusammenkünften aß man mit Messer und Gabel statt mit Stäbchen an langen Tafeln, tanzte Walzer und kleidete sich wie die feinen Damen und Herren der europäischen Metropolen. Nur die Dienerschaft, derer es im Hause Kuze nur so wimmelt, trägt noch die traditionellen Kimonos und erinnert einen daran, dass die Geschichte in Japan spielt. Dies alles wird sehr schön durch die Bilder vermittelt, die mit sauber ausgestalteten Hintergründen nicht geizen.
Die Protagonisten sind alle wohlgestaltet und schlank, ihre Gesichter fein geschnitten, was passend zur Geschichte distinguiert und vornehm wirkt. In der Mimik drücken oft nur feine Nuancen die Gefühlslage aus, weil die Mangaka generell sehr subtil zeichnet. Eine Besonderheit fiel mir bei den Augen auf, die nicht selten einen stechenden, unangenehmen Ausdruck annehmen, wenn es die Situation erfordert.

Der Manga wird vom Verlag ab 15 Jahren empfohlen und kam ohne Einschweißfolie bei mir an, beides sichere Anzeichen, dass er keine explizit gezeichneten Sexszenen enthält. Nun ja, meiner Meinung nach sieht man für die Ab 15-Altersempfehlung noch mehr als genug und auch aufgrund der Tatsache, dass hier Gewalt mit im Spiel ist, würde ich persönlich ihn ab 16 Jahren einstufen. Gut gefällt mir, dass die Mangaka die Vergewaltigung nicht unmittelbar in den Bildern zeigt, sondern hinterher mittels Prellungen und Kratzern sowie anhand des Erzähltextes verdeutlicht. Diese subtile Vorgehensweise integriert sich hervorragend in die Gesamtkonzeption der Erzählung.

Die Panels variieren zwar stark in Zuschnitt und Anordnung, sind aber stets mit einer Umrandungslinie versehen. Was in diesem Manga besonders herausragt, sind die vielen ungewöhnlichen Perspektiven, derer sich Shoko Hidaka bedient, wie z.B. Vogelperspektive, Schräglage oder den Blick von unten nach oben gerichtet und umgekehrt. Die Textdarstellung kommt ganz in Carlsen-Manier mit ovalen Sprechblasen, einem dünnen Schriftbild in Groß- und Kleinbuchstaben sowie deutschen Soundwords daher. Da dies ein tiefgründiger Manga ist, muss man hier dementsprechend auch mit viel Text rechnen, so dass sich das Lesetempo automatisch eher langsam gestaltet.


Aufmachung des Manga
In der Aufmachung ganz typisch für Carlsen als kleinformatiges Taschenbuch verlegt, hat der Manga hinter dem vorderen Umschlagdeckel eine farbig illustrierte Glanzseite mit dem Titelbild von Szene 4. Auf den ersten Blick vielleicht eine romantische Szene, doch ist sie bei näherem Hinsehen alles andere als das. Akihito drückt Katsuragi der Länge nach rücklings auf ein Sofa und beugt sich mit dem Oberkörper über ihn. Seinen Kopf hält Katsuragi von Akihito abgewandt als Zeichen, dass er bedrängt wird, und um Katsuragis Hand- und Fußgelenke schlingen sich Efeuranken, die wie Fesseln anmuten. Die Rückseite der Illustration ist rosa grundiert und mit dem Inhaltsverzeichnis bedruckt. Der Manga besteht aus 5 Szenen (Kapiteln) und dem kurzen Extra ‚Konversation‘. Ein Nachwort enthält er leider nicht.
Das Coverbild in sehr kontrastreichen, dunklen Farben sieht gestellt und unnatürlich aus, die Hauptfiguren Akihito (sitzend) und Katsuragi (stehend) wie in Stein gemeißelt. Ich finde, die zuvor beschriebene Illustration hätte sich fürs Titelbild besser geeignet, weil sie in helleren Farben viel natürlicher und ansprechender auf den Betrachter wirkt. Die Buchrückseite ist schwarz grundiert, die Inhaltsangabe in weißer Schrift in der unteren Hälfte aufgedruckt. Darüber befindet sich eine kleine, weinrot umrahmte Illustration von Katsuragi und Akihito mit drei stilisierten weinroten Blüten in den Ecken. Die Illustration selbst wie auch die Blüten täuschen Romantik vor, die in der Handlung leider nicht vorhanden ist. Gegensätzlicher und irreführender könnten die zwei Buchdeckel in ihrer Wirkung also nicht sein. Dem potentiellen Käufer wird die Kaufentscheidung damit sicher nicht einfach gemacht.


Fazit
‚Ein melancholischer Morgen‘ ist ein ernster, tiefgründiger Boyslove Manga für ältere bzw. erwachsene LeserInnen, die es gerne sehen, wenn der Handlungsaufbau umfassend und langsam erfolgt. Ein wenig erinnerte mich der breit angelegte historische Erzählhintergrund zu Anfang des 20. Jahrhunderts an Yuu Watases ‚Sakura Gari‘, nicht zuletzt auch wegen der sexuellen Gewalt. Wer also diesen mochte, wird an Shoko Hidakas neuer Serie bestimmt ebenso Gefallen finden, zumal ihr gestochen scharfes, authentisches Artwork eine wahre Augenweide ist.


5 Sterne


Hinweise
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