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Im Supermarkt lernt Judith, Mitte dreißig und Single, Hannes kennen; Architekt, ledig und in den besten Jahren. Hannes ist nicht nur der Traum aller Schwiegermütter – auch Judiths Freundeskreis ist restlos begeistert. Und anfangs ist sie das ja auch …

„Wir werden uns bestimmt nicht aus den Augen verlieren“, sagte sie. Jetzt lachte er mit seiner gesamten Weißzahnpalette: „Nein, das werden wir bestimmt nicht.“ Sie stand auf und wandte sich, um einen dramatischen Abschiedskuss zu verhindern, sofort dem Ausgang zu. „Das werden wir bestimmt nicht, Liebling“, rief er ihr nach.

 

Ewig dein 

Autor: Daniel Glattauer
Verlag: Deuticke
Erschienen: 06.02.2012
ISBN: 978-3-552-06181-1
Seitenzahl: 205 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Nach der Verlagsinhaltsangabe zählte ich nicht zu denen, die in Glattauers neuestem Werk einen Liebesroman vermuteten. Ich war nämlich schon immer überzeugt davon, dass er mehr kann als nur leicht und unterhaltend zu schreiben. Doch es ist natürlich eine Sache, etwas Neues wagen zu wollen, um der Schublade zu entkommen, in die er mit seinen letzten Büchern schnell verfrachtet wurde, und eine ganz andere, diesen Schritt tatsächlich in die Realität umzusetzen. Damit wird der Österreicher sicherlich nicht wenige seiner Fans verschrecken. Meine Hochachtung dafür hat er jedenfalls.

Zunächst sieht die Geschichte sogar nach Liebesroman aus, nur wer auf die Zwischentöne achtet, wird bereits da schon vermuten, dass hier etwas nicht stimmt. Judiths neuer Lover Hannes ist einfach zu perfekt, um wahr zu sein. Unter seiner gelackten Oberfläche schlummern tiefe Abgründe, die Judith zum Zeitpunkt der Trennung mehr erahnt, als dass sie sich ihrer schon richtig bewusst gewesen wäre. Trotzdem nützt dieser Schnitt Judith nicht viel, denn so leicht lässt sich Hannes nicht abschütteln.


Stil und Sprache
Aus Judiths Perspektive in der dritten Person erzählt, liegt der Fokus ganz klar auf ihrem persönlichen Umfeld: ihrer Familie, dem Freundeskreis, ihrem Lampengeschäft und natürlich Hannes. Der Schauplatz Wien bleibt so gut wie bedeutungslos für die Handlung, denn nur vereinzelt und dann recht beiläufig werden mal Namen von Lokalen oder Straßen erwähnt.

Die Handlung verfügt über einen hervorragenden Spannungsbogen, der die Wirkung eines sich zudrehenden Schraubstockes entfaltet. Selbst Glattauers gewohnt lockerer Ton mit Hang zur (Selbst-)Ironie vermag an der sich stetig verdichtenden, abgründigen Atmosphäre nur wenig abzumildern. Wenigstens stimmte er mich zuversichtlich auf ein positives Ende, ansonsten hätte mir der beklemmende Roman sicher stärker zugesetzt. Einzig die Tatsache, dass man nicht um Judiths Leben bangen muss, unterscheidet ihn vom gängigen Psychothriller. Anderseits kommt Judith in der „Endphase“ in eine Lage, die dem Tod gar nicht mehr so fern ist…

Eine Besonderheit bei den Dialogen sei noch erwähnt: Manchmal sind diese nämlich nur in einem knapp gefassten Telegrammstil als zusammenhängender Textblock geschrieben, was zunächst ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, gleichzeitig aber auch an die E-Mails von Emmi und Leo aus Gut gegen Nordwind und Alle sieben Wellen erinnert. Hier ein Textauszug von Seite 8: Ostern verlief wie immer. Sonntagvormittag: Besuch bei der Mama. Mama: „Wie geht es Vater?“ Judith: „Ich weiß es nicht, ich bin am Nachmittag bei ihm.“ Samstagnachmittag: Besuch beim Vater. Vater: „Wie geht es Mama?“ Judith: „Gut, ich war am Vormittag bei ihr.“ Sonntagmittag: Besuch bei Bruder Ali auf dem Land. Ali: „Wie geht es Mama und Vater?“ Judith: „Gut, ich war gestern bei ihnen“ Ali: „Sie sind wieder zusammen?“


Figuren
Judith wird zunächst als selbstbewusste Frau mit eigenem, gut florierendem Laden beschrieben, die mit sich und ihrem Singledasein rundum zufrieden ist. Durch Hannes‘ übertriebene Fürsorglichkeit und Anhänglichkeit fühlt sie sich – trotz seiner wohltuenden Schmeicheleien – sehr schnell eingeengt. Von Freunden und Familie im Stich gelassen, wird sie nach der Trennung allein nicht mehr Herr der Lage, den „netten“ Hannes loszuwerden. Eine aufkommende Depression und die Einnahme von Psychopharmaka haben bei Judith dann eine sich drastisch vollziehende Persönlichkeitsveränderung zur Folge. Dieser Prozess in seiner Deutlichkeit überaus glaubwürdig geschildert, hinterlässt den Leser ratlos und in ernsthafter Sorge um seine Hauptfigur.

Als wahrer Wolf im Schafspelz entpuppt sich Hannes. Hinter seiner Nettigkeit verbirgt sich ein psychisch krankes Wesen. Ich staunte immer wieder, wie geschickt er alle auszutricksen und zu manipulieren versteht, so dass außer Judith niemand imstande ist, hinter seine aufgesetzte Fassade zu blicken. Judiths Familie und Freunde lassen sich von Hannes doppeltem Spiel viel zu leicht täuschen, als dass sie eine Stütze für Judith wären. Sie bleiben insgesamt eher unbedeutend im Hintergrund. Eine kleine, dafür wichtige Rolle kommt Judiths Lehrmädchen Bianca zu. Sie erscheint dem Leser zwar im ersten Moment ein wenig dümmlich und naiv, doch ist sie die Einzige, die Judith – nicht zuletzt mit ihrer Arglosigkeit – beisteht im Kampf gegen Hannes.


Aufmachung des Buches
Auf dem seidenmatt glänzenden Schutzumschlag des gebundenen Buches sieht man eine alte Messingtürklinke, darunter steckt ein kleiner Schlüssel im Schloss. Die Aufschrift auf dem Schlüsselanhänger lässt den Buchtitel erkennen. Das Motiv finde ich in seiner Einfachheit genial, symbolisiert es doch auf wunderbare Weise Hannes‘ verborgene, wahre Identität, die sich einem erst nach Öffnen der blaugestrichenen Tür offenbart. Die Rückseite ist schlicht blau mit der Inhaltsangabe in kursiver Schrift. Eingeteilt ist das Buch übrigens nicht in Kapitel, sondern in fünfzehn Phasen.


Fazit
Mit seinem neuesten Buch, einem abgründigen Psychodrama, entledigt sich Bestsellergarant Daniel Glattauer bravourös jeglichem Schubladendenken und offenbart sich uns als Multitalent. Stärker hätte er sich von seinen letzten Büchern kaum abgrenzen können. In meinen Augen ein absolut notwendiger Schritt und gerade noch rechtzeitig vollzogen.

 
5 Sterne


Hinweise
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