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Ein Fläschchen Sake, eine Schale Seegras, Lotuswurzel in Sesamöl… So eindeutig die Wahl der leiblichen Genüsse am Tresen ihres Stammlokals, so zögerlich die persönliche Annäherung der alleinstehenden Tsukiko und ihres ehemaligen Japanischlehrers. Allerdings, nach zunächst nur zufälligen Treffen verabreden sich die beiden zu „Dates“: zum Pachinko spielen, zum Besuch einer Ausstellung, zu einem Ausflug ans Meer. Zwischen den scheinbar so unterschiedlichen Charakteren entspinnt sich eine außergewöhnliche Beziehung – teils gebremst durch individuelle Lebensrhythmen, aber auch voller Lust und Neugier aufeinander.

In seiner zweibändigen Comic-Adaption des Bestseller-Romans von Hiromi Kawakami gelingt es dem preisgekrönten Zeichner Jiro Taniguchi mühelos, die sowohl leichtfüßige als auch eindringliche Atmosphäre der Erzählung einzufangen.

 

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Originaltitel: Sensei no Kaban
Autor: Hiromi Kawakami
Übersetzer: John Schmitt-Weigand
Illustration: Jiro Taniguchi
Verlag: Carlsen
Erschienen: Juli 2011
ISBN: 978-3-551-5448-6
Seitenzahl: 245 Seiten
Altersgruppe: ab 15 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)


Die Grundidee der Handlung
Die zarte Romanze zwischen der 38-jährigen Tsukiko und ihrem ehemaligen Lehrer, dem 30 Jahre älteren "Sensei" (höfliche Anredeform für Lehrer, Ärzte, Künstler etc.), entwickelt sich so subtil und langsam, dass ich mich in Band 1 fragte, ob sich da wirklich etwas entspinnt oder ich es mir nur einbilde. Und auch zu Anfang des zweiten und letzten Teils erging es mir nichts anders, doch plötzlich lockert der Alkohol Tsukikos Wahrnehmung und ihre Zunge … Insgesamt gefiel mir die Art und Weise, wie die Liebesgeschichte im 2. Band zu Ende gebracht wird, nur ist sie aufgrund einiger irrelevanter Kapitel zu kurz geraten.

Stilistisch unterscheidet sich der Band von seinem Vorgänger. Die Erzählweise ist nicht immer linear, was während des Lesens zwar etwas verwirrt, aber nicht wesentlich stört. Weit unpassender empfand ich dagegen drei untergemischte surreale Kapitel in die ansonsten durch und durch realistische Alltagsgeschichte. Zuerst stößt man mittendrin auf ein Traumkapitel, und im Anschluss an die Haupthandlung erzählt Tsukiko in zwei Kapiteln - die mir als reine Lückenfüller vorkamen - aus ihrer Kindheit. Doch aus dem Interview mit der Autorin im Anhang geht hervor, dass diese Kindheitsgeschichte tatsächlich Bestandteil des Romans ist. Trotzdem, statt den drei Kapiteln, die absolut nichts zur eigentlichen Handlung beitragen, hätte ich lieber mehr von der Hauptgeschichte gelesen.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Zeichnerisch weicht Teil 2 nur in einem Punkt, auf den ich später eingehe, vom Vorgänger ab, ansonsten bleibt sich Jiro Taniguchi treu, d.h. wirklichkeitsgetreue Bilder unter Verzicht jeglicher branchenüblicher Überbetonungen, was für einen reifen, erwachsenen Stil spricht. Dies bedeutet aber im Gegenzug, dass der Zeichner sehr sorgfältig und übergenau arbeiten muss. In Mimik und Ausdruck vermitteln oft nur hauchfeine Nuancen die Stimmungslage der Protagonisten. Auch der Leser wird damit gezwungen langsam zu lesen und genau hinzuschauen, ansonsten entgeht einem der Zauber, den die Geschichte ausstrahlt.

Diesen Manga sollte man mit vollem Magen lesen, sonst könnte er zur Tortur werden. Noch mehr als in Band 1 steht hier das Essen (und Trinken) im Mittelpunkt. Diesmal beschränkt sich Taniguchi nicht darauf, die Leute beim Essen aus größerer Entfernung zu zeichnen und die Teller und Platten vage anzudeuten, wie im 1. Band – nein, die Teller rücken groß ins Bild, so dass ihr Inhalt im Detail erkennbar wird und großen Appetit auslöst. Schade nur, dass einem als Europäer die namentlich genannten japanischen Lebensmittel und Gerichte so fremd sind und man sich nur wenig darunter vorstellen kann.

Als Setting in den Hintergründen sind wieder die vertrauten urbanen Stadtansichten mit Hochhäusern, Reklameschildern, Straßen und Autos zu sehen, Satorus Lokal, wo hinter dem Bartresen jede einzelne Flasche auszumachen ist, sowie Tsukikos rational eingerichtete Wohnung und das Haus des Senseis. Zum Ausgleich lässt der Zeichner wieder genügend Natur einfließen, indem Tsukiko und der Sensei im Park sitzen und den Tauben zusehen oder ein anders Mal einen Ausflug auf eine bergige Insel machen mit steilen, kopfsteingepflasterten und üppigem Grün bewachsenen Gässchen und idyllischen Aussichtspunkten auf Hafen und Meer. Hier kam mir der Gedanke, dass die ganze Szenerie genauso gut dem Mittelmeerraum entspringen könnte. Und im Traumkapitel "Das Watt" meinte ich plötzlich an die deutsche Küste katapultiert worden zu sein, denn Taniguchi bildet mit Grasbüscheln bewachsene Dünen ab, Möwen am Horizont und Menschen im Watt, die nach Muscheln suchen.
Einzige graphische Abweichung zu Band 1 sind die nicht selten auftretenden starken Kontraste zwischen den Protagonisten und dem Setting bzw. den Hintergründen. Letztere blass und verschwommen, die Personen dagegen scharf umrissen, vermittelte sich mir ein gekünsteltes Bild ähnlich dem im Theater, wo die Schauspieler vor einer bemalten Kulisse agieren.

Bildfolge und Textdarstellungen entsprechen Band 1. Generell kann ich Taniguchis Werke speziell auch ungeübten Gelegenheits-Mangalesern empfehlen, weil eine gespiegelte Leserichtung von links nach rechts, die streng lineare, getrennte Bilderfolge und sein realistischer Zeichenstil ohne irgendwelchen Schnickschnack (Überbetonungen und auffällige Geräuschzeichen) einem das Lesen sehr leicht machen.


Aufmachung des Manga
Die Aufmachung ist wie in Band 1: großformatige, stabile Klappenbroschur, eine Farbseite mit dem Sensei, illustrierte Kapiteldeckblätter. Das Cover weicht nur im oberen Teil ab. Hier sieht man Tsukiko ein Nickerchen halten. Die Illustration entstammt unverändert dem Innenteil (Seite 93). Im Anhang befindet sich noch ein 9-seitiges Interview mit Autorin Hiromi Kawakami und Zeichner Jiro Taniguchi, das ich mit großem Interesse las.


Fazit
Das ist eine Romanze der besonderen Art: still und bezaubernd, realistisch und ohne Gefühlsduselei, für ein erwachsenes Publikum (auch ohne Mangaerfahrung!). Jiro Taniguchis Adaption von Hiromi Kawakamis Romanbestseller finde ich insgesamt sehr gelungen. Lediglich die in diesen Band eingebauten surrealen Kapitel empfand ich persönlich als unpassend und platzvergeudend. Wer sich daran nicht stört, wird mit dem Zweiteiler einen uneingeschränkten Lesegenuss auf hohem Niveau erleben.

 
3 5 Sterne


Hinweise
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Backlist:
- Band 1

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