Aufschlussreich widmet sich Diarmuid Jeffreys' Studie der Geschichte der "Interessengemeinschaft Farbenindustrie Aktiengesellschaft" - kurz IG Farben genannt. Das historische Erbe der IG Farben – des Zusammenschlusses von führenden Unternehmen der chemischen Industrie, allen voran Bayer, Agfa, BASF und Hoechst – ist 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs den wenigsten so präsent wie das von Krupp, Siemens oder Flick. Dabei hat kaum ein Industriezweig so machtvoll das Schicksal Deutschlands geprägt wie diese „Interessengemeinschaft“. Von wissenschaftlichem Ehrgeiz über aufopferungsvollen Patriotismus bis zu nackter Profitgier und ideologischer Verblendung findet sich in der Geschichte der IG Farben jedwedes Motiv, das führende Köpfe der Branche dazu bringen konnte, die zwei großen deutschen Kriegsanstrengungen zu unterstützen, ja, überhaupt erst zu ermöglichen.
Dieses Buch macht eindrücklich klar, welch zerstörerische Folgen die Verflechtung von Wirtschaft und Politik haben kann.
Originaltitel: Hell's Cartel |
Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Wäre das Buch ein Roman, dann würde ich den Inhalt so angeben: Einige hoffnungsvolle junge Leute schließen sich zu einem gemeinsamen Unternehmen zusammen, erobern sich Territorium über ihr Viertel hinaus, lassen sich von der organisierten Kriminalität ködern, wandern mit denen zusammen in den Knast, kommen wegen guter Führung früher frei und kehren zurück zu ihrem Ursprung, ohne nennenswerte "Schäden" davon getragen zu haben.
Wie kann ich ein Sachbuch zur Geschichte der IG-Farben mit einem Roman vergleichen? Nun, die Antwort ist einfach, es liest sich wie ein solcher. Die Zeit ab 1850 mit ihren Entdeckungen, Erfindungen und Firmengründungen in der Chemie ist so atemberaubend wie ein Thriller. Die fiebrige Atmosphäre überträgt sich auf den Leser, man möchte das Buch gar nicht aus der Hand legen. Fiktive Erzählungen wechseln mit eher dokumentarischen Passagen ab. Immer hängt man an den Lippen des Autors. Doch plötzlich, was war das? Da fehlt doch was! Überaus dramatisch schildert der Autor die große Explosion 1921 im BASF-Werk Oppau. Aber dann bei der Erklärung, wie es dazu kam, wurde ich stutzig. Ich bin in Ludwigshafen aufgewachsen und hier pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Unglücksursache eine schon tausendfach durchgeführte Lockerungssprengung war. Weshalb verschweigt Jeffreys das und erklärt nur, dass es an der ungenauen Mischung der Zutaten gelegen habe, dass das Düngersilo in die Luft flog? Dieser ersten Irritation folgen weitere im Fortgang der Geschichte der IG Farben: In den KZs werden Kinder vergast. Diese Aussage vermeidet der Autor, umschreibt es mit "die Jungen". Bei einer weiteren Explosion in der BASF 1943 führt der Autor nicht auf, dass die 70 Toten zumeist Zwangsarbeiter waren. Die BASF betrieb im Stammwerk 7 Lager für Deutsche, Fremd- und Zwangsarbeiter, nicht 5, wie Jeffreys schreibt. Kapos wurden nicht nur Kriminelle. Bei der Nennung des Datums verfährt er ähnlich ungenau. Sarin wurde nicht 1936 entdeckt, wie man nach dem Text meinen könnte, sondern 1938/39. Und es gibt noch mehr solcher Beispiele, die ich hier aber nicht alle aufführen möchte.
Vielleicht bin ich zu mäkelig, aber von Anfang an erschien mir die Bewunderung, die der Autor für die Chemiker-Persönlichkeiten (Bosch, Duisberg) und deren wissenschaftlichen Errungenschaften hegt, aufgesetzt. Nun, das war, wie sich zum Schluss rausstellte, eine Täuschung, das meint er sehr ernst. Ebenso wie er deren wirtschaftlichen Erfolge in den höchsten Tönen lobt, selbst als das Kartell weltweit marktbeherrschend geworden war. Wo bleibt die Analyse, die Kritik? Sind diese Männer wirklich so unpolitisch gewesen wie der Autor meint? Sind sie und ihre Nachfolger, die er eher als Karrieristen sieht, nur mal eben so in die unheilige Verbindung mit den Nazis geschlittert, weil sie Schaden von ihrem Unternehmen abwenden wollten? Wussten sie wirklich nicht, wohin das führen wird, waren sie so naiv? Gilt das auch für das Lager Auschwitz-Monowitz, dessen Brutalität und menschenverachtendes System er ganz ungeschminkt wiedergibt, so dass es mir schwerfiel diese Passagen zu lesen? Das kann ich nicht glauben und Jeffreys unternimmt auch den Versuch, das Gegenteil zu beweisen. Nur sind es seine Beweise, oder hat er das nicht eher alles aus den Akten des Prozesses gegen die IG-Farben und ihre Manager, der in den Jahren 1947 – 1948 in Nürnberg stattfand, abgeschrieben, so wie er auch manchen Abschnitt aus dem Buch "Die BASF. Von 1865 bis zur Gegenwart. Geschichte eines Unternehmens" von Abelshauser fast wortgleich übernommen hat? Nicht dreist kopiert, aber so einige Absätze lesen sich wie ein Dejá- vu. (Auch die Gliederung seines Buches erinnert an "Die BASF"). Weshalb ignoriert er neuere Erkenntnisse zum Wissen der IG-Manager z.B. von Peter Hayes?
Während er die meiste Zeit sehr wohlwollend (und nun auch eher gemächlich) schreibt, auch die Verbindung zu Standard-Oil immer wieder herausstreicht, um zu beweisen, dass es sich bei den Handlungen der IG-Manager um ganz normale, vielleicht etwas übereifrige Taten von Wirtschaftsbossen handelt, und auch den Prozess fast neutral begleitet, schlägt sein Ton nach der Urteilsverkündung ganz unvermittelt um. Da sind die Richter unfähig (was sein kann), die Ankläger zwar angeschlagene Helden, die aber die Sache auch völlig falsch angepackt haben, und einer oder mehrere der IG-Manager hätten an den Galgen gehört, wobei er offen lässt wer. Die Urteile sind in der Tat (zu) milde ausgefallen, aber weil sich der Autor bisher weitestgehend einer Wertung enthalten hat, ist dieser hochemotionale Ausbruch um so überraschender und für mich unverständlich im Kontext des zuvor gelesenen. Nur ganz kurz überlässt er sich denn auch seiner Empörung und wendet sich dann gleich dem Epilog zu, in dem er dann wieder ganz nonchalant die Zerschlagung des Konzerns in seine Einzelteile schildert, aufzählt, wer von den Angeklagten wieder wo in der Wirtschaft tätig war, das Bundesverdienstkreuz erhielt und eher nebenbei wie die Opfer nach langen Kämpfen doch zumindest etwas entschädigt wurden, wobei ich hier die Empathie vermisse, die er Bosch und Duisberg entgegenbringt. Irgendwie kommen bei ihm die Opfer immer zu kurz. Vielleicht ärgert ihn ja in Wirklichkeit. was die 2. Generation IG-Farben-Manager aus dem Unternehmen gemacht haben, wie sie die Gründerväter, seiner Meinung nach, verraten haben.
Wie dem auch sei - ich bleibe mit einem Kopfschütteln zurück, denn was der Autor mir mit seinem Buch sagen will kann ich nicht so recht benennen. Der reißerische Originaltitel spricht eine ganz andere Sprache und weckt andere Erwartungen und andere Autoren wie z.B. Abelshauser und seine Mitautoren, nennen die Dinge wirklich beim Namen und ergehen sich nicht in Auslassungen und Euphemismen.
Und nun kehre ich zum Anfang zurück - das ist kein Buch, geschrieben von einem Historiker, sondern von einem Journalisten, dem die „Story“ wichtiger ist, als eine fundierte Analyse, und oft genug hatte ich den Eindruck, er möchte mir vorschreiben ,was ich zu denken habe. Ich schließe mich jedenfalls seiner These, man habe es hier mit unpolitischen Wirtschafts-Bossen zu tun, nicht an.
Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch im grau-grünen Einband verfügt über ein rotes Lesebändchen. Der Schutzumschlag macht einen angeschmutzten Eindruck, das ist wohl in der Absicht geschehen, das Cover alt erschienen zulassen, damit man auch merkt, dass es sich um "Geschichte" handelt. Ein Foto Hitlers mit seiner für ihn typische Handbewegung, wenn er sein Publikum grüßte, biete sich für eine Fotomontage geradezu an: In die geöffnete Hand legt eine andere Hand ein Bündel Geldscheine. Titel und Untertitel sind sehr gut lesbar. Der Klappentext überzeugt mich angesichts des Inhalts nicht wirklich. In der Mitte des Bandes finden sich noch mehrere Schwarz-Weiß-Fotos aus der damaligen Zeit.
Danksagung, Bibliographie, Bildnachweise, Anmerkungen und ein Register schließen es ab.
Fazit
Die Geschichte der Chemie und ihrer Unternehmen ist wirklich faszinierend zu lesen, aber die Darstellung der Nazi-Vergangenheit der IG-Farben kann mich nicht zufriedenstellen, eben sowenig die Schlamperei bei den historischen Ereignissen und die Auslassungen, die vermutlich weit größer sind, als ich sie entdecken konnte. Wer wirklich gut über die IG-Farben informiert werden möchte sollte zu Abelshausers Buch greifen.
Hinweise
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