Freiburg in Zeiten der Pest
Freiburg 1348: Unaufhaltsam wälzt sich die Pest von Süden heran. Schuld an der Seuche sollen die Juden sein. Als Clara, Frau eines Wundarztes, herausfindet, dass ihr Sohn das jüdische Nachbarsmädchen Esther liebt, versucht sie mit allen Mitteln, ihn vor der gefährlichen Verbindung zu schützen. Es kommt zu einem Zerwürfnis zwischen Mutter und Sohn und in der gleichen Nacht zu Esthers Verhaftung. Unterdessen erkennt Claras Mann, dass sich der Schwarze Tod in Wirklichkeit durch Ansteckung verbreitet, und schickt seine Familie aus der Stadt. Als er bald darauf selbst an Lungenpest stirbt, kehrt Clara nach Freiburg zurück und tritt sein Vermächtnis an. Wagemutig lässt sie alle Ressentiments hinter sich und sagt nicht nur der Pest, sondern auch dem Hass gegen die Juden den Kampf an.
Autor: Astrid Fritz |
Die Grundidee der Handlung
Der Umschlagtext des Buches gibt alles Wesentliche zu diesem Buch wieder. Der „Schwarze Tod“ war gefürchtet und es herrschten die kuriosesten Theorien, wodurch die Krankheit entstehe, wie sie sich verbreitet oder wer dafür zur Verantwortung gezogen werden könnte. Die Angst vor dieser Seuche war so groß, dass die Menschen auf die abstrusesten Ideen kamen, um sich davor zu schützen. Teurer Theriak, ein „Universalheilmittel“, wurde in großen Mengen verkauft, denn man meinte, dass dieses Mittel schon prophylaktisch genommen werden sollte. Findige Geschäftemacher prellten so die verängstigten Menschen noch um viel Geld, weil sie Heilung versprachen.
Dass es die Pest war, die im Mittelalter ca. ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte, davon hat jeder schon gehört und ist bestens bekannt. Die Wissenschaft ist sich aber heute nicht mehr sicher, ob dies wirklich so war. In England wurden große Studien angelegt und Nachforschungen betrieben, weil es hieß, dass u.a. die Ratten für die rasche Verbreitung der Seuche sorgten. Nach langer und ausführlicher Recherche stieß man aber auch darauf, dass sich die Pest in Gebieten ausgebreitet hat, in denen es keine Ratten gab. Unabhängig davon, ob dies nun wirklich die Pest oder eine andere grausame Seuche war, sorgte diese für Millionen Tote und verbreitete Angst und Schrecken. Dieses Themas in seiner ganzen schrecklichen Bandbreite und Dramatik hat sich die Autorin angenommen und zeigt auf sehr lebendige Weise, wie sich damals alles zugetragen haben könnte.
Stil und Sprache
Wer Astrid Fritz` Bücher kennt, kauft ihre neuen Werke blind. Die Autorin beherrscht es wie wenige andere, nicht nur ein authentisches Bild der damaligen Zeit zu vermitteln, sondern schafft mit ihren glaubwürdigen und vielschichtigen Darstellern einen eigenen, sehr lebendigen Blick in die Vergangenheit. Mit gewohnt guter Sprache und einem sehr intensiven Erzählstil, nimmt die Autorin den Leser mit in eine unterschwellig bedrückend Welt. Dabei stellt sie den Leser als stillen Beobachter ins Geschehen, dem nicht nur alles erzählt und gezeigt wird, sondern ihn auch teilhaben lässt an der Gedankenwelt ihrer Protagonisten.
Fritz führt behutsam in die Erzählung ein, veranschaulicht, in welcher Form Christen und Juden miteinander leben, zeigt, dass der Großteil der Bevölkerung die Sitten und Gebräuche der Juden zwar nicht versteht und auch nicht nachvollziehen kann, ihnen aber trotzdem mit einem gewissen Respekt begegnet. Als die ersten Meldungen über die Alpen kommen, dass es in den Küstenstädten des Mittelmeers zu vielen Toten aufgrund einer Seuche gekommen ist, und der Schwarze Tod nun München erreicht, kippt die Stimmung in der Bevölkerung und Panik macht sich breit. Die Autorin hat die psychologischen Hintergründe - das, nach heutigem Maßstab unsinnig erscheinende, vermeintlich prophylaktische Handeln der Menschen - auf eindringliche Weise festgehalten. Der Aufruhr gegen die Juden, die schuld an der Verbreitung der Seuche sein sollen, schwappt von anderen Städten auch auf Freiburg über. Schon lange bevor es zu den ersten Pestopfern kommt, explodiert der Hass der Menschen auf die Juden. Der Irrsinn, der hinter den Handlungen der Bewohner steckt, der im Grunde nur von Borniertheit und großer Angst zeugt, wird spürbar und drückt wie eine tonnenschwere Last auf den Leser. Den Juden, die gefoltert und anschließend verbrannt werden, wurde dies nicht im 14. Jahrhundert angetan, sondern gerade erst gestern, so beklemmend, entsetzlich und unfassbar spielen sich die Szenen vor dem geistigen Auge ab. Die Bild- und Sprachgewalt der Autorin kommt hier vollends zu tragen.
Figuren
Neben einer sehr ausgereiften Sprache und dem großartigen Erzählstil, sind es die Figuren, die alles komplett machen. Dabei ist einem Clara, die Protagonistin, zuerst nicht einmal sympathisch. Allzu egoistisch und unsensibel scheint ihr Handeln. Kann man sich für den Protagonisten nicht erwärmen, bekommt man für das Buch schnell ein zwiespältiges Gefühl. Aber der Roman ist von Astrid Fritz geschrieben und so verwundert es nicht, dass hinter diesem so berechnend wirkenden Charakter Claras viel mehr steckt, als eine egozentrische, unzufriedene Frau. Fritz zeichnet Clara als eine typische Mutter, die es nicht schafft, ihren Sohn, ihren Erstgeborenen, loszulassen. Dieser, Benedikt, verliebt sich ausgerechnet in die jüdische Nachbarstochter Esther und sowohl Clara als auch die Grünbaums, Esthers Familie, sind strikt gegen die Heirat. Warum dem so ist und welche Motive genau hinter Claras Verhalten stecken, dies zeigt die Autorin auf sehr empathische Weise. Den inneren Kampf Benedikts bekommt der Leser ebenso hautnah zu spüren wie die Selbstvorwürfe und Gewissensbisse der Mutter. - Dies alles in einer Zeit, in der es jeden Tag das erste Pestopfer geben könnte. Die familiären aber auch beruflichen Probleme Heinrichs, Claras Mann, fallen nicht nur mit der Problematik des jüdischen und christlichen Glaubens zusammen, sondern auch mit den Anfeindungen der Bevölkerung gegenüber den Juden, die sie für die Pest verantwortlich machen, bevor es überhaupt das erste Opfer gibt.
Die Verknüpfung dieser schwierigen Themen gelingt nur einem Autor mit viel Fingerspitzengefühl, emotionaler Intelligenz und großem Wissen um die Zeit. Astrid Fritz gehört zweifelsfrei zu den Autoren, die beides in Perfektion beherrschen: die zwischenmenschlichen Gefühle, runde Erzählung und geschichtliche Wissen gekonnt vereint.
Aufmachung des Buches
Ein schönes gebundenes Buch, bei dem sogar das Covermotiv zum Inhalt passt, wenngleich das Gemälde, das „Portrait einer Lady“ erst um ca. 150 Jahre später entstand. Innen auf den Umschlagseiten findet sich eine alte Ansicht (vermutlich ein Kupferstich) von Freiburg, die über die - für damalige Zeiten doch sehr große - Stadt eine gute Vorstellung vermittelt. 36 Kapiteln führen durch das Buch und ein ausführliches Nachwort, ein Glossar und ein passendes Lesebändchen komplettieren die Ausgabe.
Fazit
Ein wunderschönes Buch mit einem tragisch-traurigen Thema. Mit solider Sprache und immensem Einfühlungsvermögen gelingt es Astrid Fritz, die schlimmen Ereignisse rund um den „Schwarzen Tod“ authentisch und packend wiederzugeben. Nie reißerisch oder effektheischend, aber stets den Finger auf dem wunden Punkt, zeigt sie, wie Ignoranz und Borniertheit aus ganz normalen Menschen schiere Bestien werden lassen. Unfassbar und unglaublich war damals das Geschehen, und der Autorin gelingt auch mit diesem Buch ein eindringliches Werk, das einen nicht mehr so schnell los lässt. Wer tiefgründige Bücher liebt, findet hier einen wunderbaren Roman, der die Zeit nochmal zurückspult.
Hinweise
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