- Die Leute werden dich meiden, weißt du…
- So eine Sache, Marie, könnte das Ende des Ladens bedeuten…
- Und… kein Laden mehr, kein Dorf mehr…!
- All das wegen des Fleischlichen, wegen nicht eben appetitlicher Dinge…
- Zwei Minuten auf dem Rücken, und das war’s!
- Daran hättest du vorher denken sollen, Marie…
Skandal in Notre-Dame am See! Ausgerechnet die junge Witwe Marie trägt die Verantwortung. Die Marie, die nach dem Tod ihres Mannes mutig und engagiert den einzigen Laden des Provinznests weitergeführt hatte. Die Marie, die das Dorf nicht nur mit allem versorgte, was es aus der großen Stadt brauchte, sondern auch immer für alle anderen da war. Aber etwas unkonventionell war sie da ja eigentlich auch schon…
In stimmungsvollen Bildern versetzen Régis Loisel („Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit“, „Peter Pan“) und Jean-Louis Tripp den Leser in die kanadische Provinz der 1920er Jahre und entfalten vor seinen Augen eine höchst menschliche Geschichte voller melancholischer Heiterkeit.
Originaltitel: Magasin Général - Montréal |
Die Grundidee der Handlung
Nachdem in den letzten Bänden eher Serge im Mittelpunkt stand, ist es im aktuellen Band wieder Marie. Sie sorgt für einen fetten Skandal im Nest, weshalb die Gemüter hochkochen. So ist es nicht verwunderlich, wenn die junge Witwe den prüden Dörflern erst einmal den Rücken zukehrt und zusammen mit Jacinthe nach Montreal abhaut. Doch wer kümmert sich nun um den Laden?
Auch im aktuellen Band hat sich an der Grundidee der Serie nichts geändert: Nostalgische dörfliche Idylle verbindet sich mit liebenswerten Figuren zu wunderbar unterhaltenden, herzerwärmenden Alltagsgeschichten. Durch Maries überstürzte Flucht nach Montreal kommt mit großstädtischem Flair zwar ein wenig Abwechslung in die Hintergründe, grundlegende Veränderungen sollte man sich von dem kurzen Intermezzo jedoch nicht versprechen, zeichnet sich für den nächsten Band schon wieder ihre Rückkehr ab. Trotzdem, so kurz dieses Zwischenspiel auch sein mag, empfand ich es als höchst amüsante Bereicherung, weil die engstirnigen Moralapostel von Notre-Dame am See anscheinend nur mit radikalen Methoden begreifen, was sie an Marie haben.
Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Der Frühling aus dem letzten Band geht nun deutlich in den Sommer über. Das zeigt sich im hellen, sonnendurchfluteten Himmel, in den surrenden Insektenschwärmen, den jahrestypischen Arbeiten (z.B. der Kornernte) und natürlich an der leichten Bekleidung der Protagonisten. Genauso wuselt es in den Panels nur so von allerlei Getier wie Hühner, Schafe, Hunde, Katzen, Gänse, Enten, Schweine usw. Ganz besonders fällt diesmal ein rührendes Dreiergespann bestehend aus einer schwarzen Katze, einem gefleckten kleinen Hund und einer jungen Gans mit noch gelbem Gefieder ins Auge, das nahezu in allen Szenen rund um Maries Anwesen auftaucht und neugierig Anteil nimmt am turbulenten Geschehen. Es ist sowieso ein ganz typisches Merkmal der Serie, dass einen das liebevoll und akribisch ausgearbeitete „Drumherum“ beim Lesen permanent vom Eigentlichen ablenkt.
Francois Lapierres Kolorierung ist trotz der sommerlichen Jahreszeit gewohnt gedeckt mit vielen dunkel gehaltenen Bildern, die nicht nur abends und nachts anzutreffen sind, sondern auch im Inneren eines Hauses oder draußen im Schatten.
Sehr raffiniert wird der parallele Handlungsverlauf mit Marie und Jacinthe in Montreal einerseits und den Dörflern andererseits gelöst, indem die Szenenbilder beider Handlungsorte nebeneinander gestellt wurden. Und während die beiden Frauen sich in der Großstadt tagsüber beim Stadtbummel, im Modegeschäft, bei einer Bootspartie oder abends im Cabaret amüsieren, begleitet die „stummen“ Bilder eine wohlbekannte Stimme aus dem Off – genau, Maries verstorbener Mann kann sich seine Kommentare (in hellblau unterlegtem Erzähltext) natürlich auch hier nicht verkneifen.
Bei der Sprechblasen- und Textgestaltung haben sich Loisel & Tripp ebenfalls allerlei einfallen lassen. In der Regel sind die Textblasen rechteckig und mit einer recht kleinen Schrift in Großbuchstaben gefüllt, doch je nach Stimmungslage kann die Umrandungslinie gewellt oder gezackt auftreten, ja sogar von kleinen Kreisen, die wie Katzenpfoten aussehen, umgeben sein, genauso passt sich ein in der Größe variables Schriftbild jeder Situation an. Einmal ist der Text mit Noten durchsetzt, was sofort veranschaulicht, dass hier nicht gesprochen sondern gesungen wird. Soundwords kommen selten vor, doch wenn, ziehen sie – wie gehabt – recht auffällig in langen, bunten Schriftzügen durch die Panels.
Aufmachung des Comics
Auch der aktuelle Band der Serie ist wie alle anderen zuvor in allerfeinster, hochwertiger Hardcover-Verarbeitung verlegt. Ebenso sind die Vor- und Nachsatzblätter wieder mit Lageskizzen von Notre-Dame am See bedruckt, 2 Skizzenblätter verdeutlichen einleitend die phasenweise Entstehung des Comics und im Anhang gibt’s die deutschsprachige Bibliographie des Künstlerduos.
Das Covermotiv mit Marie und Jacinthe, von der nur der blonde Kopf im Profil zu sehen ist, in einer Straße von Montreal könnte besser nicht gewählt sein, erkennen die Fans von „Das Nest“ doch auf den ersten Blick, dass sich das Setting mit diesem Band zum ersten Mal außerhalb von Notre-Dame am See bewegt.
Fazit
Langsam wird es eintönig in der Bewertung der Serie mit durchgehend 5 Sternen, doch was bleibt mir anderes übrig, wenn Loisel & Tripp „Das Nest“ beständig in höchster Perfektion präsentieren? Für den werten Comicfan bedeutet dies natürlich nur eins: Kaufen!
Hinweise
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Backlist:
Band 1: Marie
Band 2: Serge
Band 3: Die Männer
Band 4: Bekenntnisse