In jeder Spieluhr schläft ein Geheimnis. Wenn die alte Melodie erklingt, erwachen Schatten und Träume ...
Schleswig Holstein im Jahr 1913: die vierzehnjährige Mina lebt mit ihren Eltern auf einem einsamen Gutshof. Ihr liebster Zeitvertreib ist es, auf dem Dachboden zur Melodie einer halbzerbrochenen Spieluhr zu tanzen. diese Uhr jedoch birgt ein Geheimnis das Minas Welt für immer auf den Kopf stellt und sie auf eine Reise schickt, auf der die Sagen des Nordens und die Magie der Freundschaft lebendig werden.
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Autor: Lilach Mer |
Die Grundidee der Handlung
Mina, ein fantasievolles, vierzehnjähriges Mädchen, lebt mit ihren Eltern auf einem Gutshof in Schleswig Holstein. Ihr Lieblingsplatz ist der alte Dachboden, auf den sie sich so oft wie möglich zurückzieht, um zur Melodie einer alten Spieluhr zu tanzen. Da Mina weiß, dass ihre Eltern eine solche Beschäftigung nicht gut heißen, verheimlicht sie ihnen den Fund einer alten Spieluhr, in dem ein Medaillon mit den Fotos von zwei Jungen versteckt ist. Kurz vor ihrer Konfirmation kommt der Arzt der Familie, Dr. Rädin, zu Besuch. Zufällig hört Mina ein angsteinflößendes Gespräch mit an, in dem der Arzt mit ihren Eltern über sie und ihre verschollenen Brüder spricht. Der Doktor erklärt den Eltern, dass sich Mina seltsam verrückt verhält und - ebenso wie ihre Brüder - dringend eine psychiatrische Behandlung braucht. Mina flüchtet sich entsetzt und verängstigt auf den vertrauten Dachboden. Da hört sie plötzlich das tröstliche Lied der Spieluhr erklingen und entdeckt einen Drehorgelspieler vor dem Haus, der auf seinem Instrument "ihr" Lied spielt. Mina fühlt, dass sie unbedingt mit dem Mann sprechen muss. Als sie sich mit der Spieluhr in der Tasche aus dem Haus schleicht, findet sie statt des Musikanten nur einen eingeritzten Pfeil am steinernen Gartentorpfosten, der in Richtung der Wegbiegung weist. Beseelt von dem Drang, unbedingt den Drehorgelspieler zu finden, um ihn nach dem Lied zu fragen, macht sie sich auf den Weg. Sie trifft auf den sprechenden Kater Tausendschön, der sie vor der "Wilden Jagd" rettet und zu einer kleinen Zigeunerfamilie bringt, die sie aufnimmt und ihr bei der Suche nach ihren verschwundenen Brüdern hilft. Mina entdeckt nach und nach, dass es mehr als einen Weg und mehr als eine Wahrheit gibt, und als sich dann Realität und Magie auf geheimnisvolle Weise vermischen, stolpert sie in das größte und gefährlichste Abenteuer ihres Lebens.
Stil und Sprache
Das Buch beginnt mit dem Zusammentreffen von Großmutter, Mutter und Enkelin. Hier wird kurz die liebevoll-schwierige Beziehung der Dreien untereinander dargestellt. Die eigentliche Geschichte des Mädchens Mina und ihrer geheimnisvollen Spieluhr wird von der Großmutter in einer umfassenden Rückblende erzählt. Erst ganz am Schluss taucht die Geschichte wieder in die Anfangsrealität, ins Zimmer der alten Dame ein. Die Erzählung ist in der dritten Person aus der Sicht von Mina geschrieben und entfaltet sich langsam Seite für Seite immer umfangreicher. Anfangs irritiert der ungewöhnliche Schreibstil etwas, doch sobald man sich etwas eingelesen hat, tragen die träumerische Sprache und die poetisch anmutende Wortwahl sehr gut durch das märchenhafte Abenteuer. Gerade in der besonderen Wortwahl, in den unverbrauchten Vergleichen und in der langsamen, aber kontinuierlich dramatischer werdenden Handlungsentwicklung hebt sich dieses Märchen von vielen anderen Geschichten deutlich ab. Der Leser ist immer auf "Augenhöhe" mit Mina und weiß nur so viel, wie auch sie weiß. So steigern sich Lesegenuss und Spannung unbemerkt von Seite zu Seite immer mehr. Besonders die Verbindung von historischen Gegebenheiten mit den unterschiedlichsten Märchenfiguren und Sagen, die von der Autorin zu einer faszinierenden Geschichte verwebt wurde, ist sehr reizvoll.
Das anfängliche Zögern von Mina an Magie zu glauben und die verständliche Angst, sich von Altbekanntem zu lösen, bringt das Mädchen von Beginn an in Gefahr. Mit jeder Seite hofft und bangt der Leser mit ihr mit, wenn sie den schützenden Wald der Zigeuner, genannt Tater, verlässt und nach ihren Brüdern sucht. Ihre verzweifelten Versuche Antworten auf ihre Fragen zu finden, ihre Verzweiflung und Unsicherheit lassen den Leser bei Minas Entscheidungen ungeduldig mitfiebern. Da die Anzahl der eingeführten Figuren relativ gering gehalten wurde, ist es leicht alle Figuren auseinanderzuhalten. Der Geschichtsverlauf in der Rückblende schreitet ohne wesentliche Umwege gerade voran und das macht es sehr leicht, der Geschichte zu folgen. So folgt auf Minas Tanz auf dem Dachboden die Flucht vor dem Doktor sowie das Kennenlernen der Tater und endet nach dem Abenteuer mit einem kurzen Einblick in das weitere Schicksal von Mina und ihren Freunden. Dann erst kehrt die Erzählung in die aktuelle Zeit zu den drei Frauen in der Stube zurück.
Die unterschiedlichen Entscheidungen der Protagonisten sind umsichtig vorbereitet und deshalb auch gut nachvollziehbar. Es zeigt sich auch klar, dass sich die Figuren in ihren Handlungen auch ab und zu unsicher sind und "Fehler" machen. Gerade das macht die Erzählung umso menschlicher. Da die Geschichte gut durchdacht wurde, sind kaum lose Fäden zu finden und einige unklare Sequenzen werden von der Kraft der Geschichte mit Leichtigkeit überdeckt. Für nahezu alle Entscheidungen und Handlungen der Figuren entdeckt man im Lauf der Geschichte auch den Grund dafür.
Je weiter die Geschichte voranschreitet und je tiefer man in die fremde Welt eintaucht, umso märchenhafter und fantastischer werden auch die Begegnungen mit den Wesen im "herbeigerufenen Wald". Durch die Verknüpfung der verschiedenen Märchen- bzw. Sagengestalten hat die Autorin eine faszinierende Fantasiewelt geschaffen, die permanent mit der historischen Realität, in der die Protagonistin hineingeboren wurde, im Widerstreit liegt. Gerade diese Gegensätze muss Mina akzeptieren lernen, um ihre Brüder zu finden, und ihr innerlicher Kampf zwischen "Glauben" und "Wissen", zwischen Fantasie und Realität zwingt förmlich zum Weiterlesen.
Starke Gefühle und schwere Entscheidungen lassen die Protagonistin im Lauf ihres Abenteuers über sich hinauswachsen. Fantastische Begegnungen, mutige Handlungen und eine zarte Romanze gipfeln letztlich in der Erkenntnis, dass nichts im Leben umsonst ist und man für alle eigenen Entscheidungen die Verantwortung tragen muss. Obwohl man das Ende nicht direkt als typisches „Happy End“ bezeichnen kann, rundet es die Erzählung sehr gut ab.
Figuren
Mina ist die Hauptperson im Buch und das bestätigt sich auch in der Ausarbeitung der Figuren. Man erlebt die Geschichte aus Minas Sicht, begleitet sie so durch alle Höhen und Tiefen, leidet und freut sich mit ihr. Dadurch kann man sich gut mit ihr identifizieren und entwickelt sich mit ihr bis zum Schluss immer weiter. Mina traut Dr. Rädin nicht völlig, obwohl er sich ihr gegenüber meistens freundlich zeigt. Als sie die Tater kennenlernt und die magische Welt hinter der ihren entdeckt, ist sie total verunsichert und fürchtet verrückt zu werden. Es dauert eine Weile, bis sie sich mit den neuen Umständen abfinden kann.
Minas Eltern haben eine sehr kleine Nebenrolle auszufüllen. Minas Brüder sind allerdings unterschwellig immer präsent, obwohl sie erst am Ende der Geschichte in Erscheinung treten.
Dafür teilen sich die Zigeuner oder Tater bei Mina teilweise die Eltern- bzw. Geschwisterrolle.
Die freundliche Zigeunerin Lilja übernimmt dabei beim ersten Zusammentreffen den mütterlichen Part. Sie steht Mina tröstend zur Seite, lässt sie aber ihre eigenen Entschlüsse treffen und stärkt ihr bei allen ihren Entscheidungen den Rücken. Rosa und Pipa und der kleine Junge Zinni übernehmen eine Art Geschwisterrolle, die sich im Lauf der Geschichte immer stärker entwickelt, bis sie dann langsam abflaut, als Mina sie nicht mehr zur Weiterentwicklung braucht. Ned, Liljas Mann, agiert im Hintergrund, und auch Viorel, Rosas Verlobter, bekommt erst gegen Ende etwas mehr Bedeutung.
Der Kater Tausendschön taucht in strategisch wichtigen Szenen auf, lässt Mina aber teilweise auch im Stich, sodass ihr nichts anderes übrig bleibt, als sich selber zu helfen. Karol, der Taterkönig, tritt nur ab und zu in Erscheinung, ist aber unterschwellig ebenso präsent, wie Dr. Rädin, der Bösewicht der Geschichte. Er versucht Mina in seine Finger zu bekommen, warum wird aber erst gegen Ende der Geschichte ganz klar, als Mina hinter sein Geheimnis kommt. Er wird fast durchgehend nur "der Doktor" genannt und ist selbst der Überzeugung, dass er das, was er tut, nur macht, um Menschen wie Mina zu helfen. Aus seiner Sichtweise ist das auch durchaus verständlich.
Die Motive der Protagonisten sind ebenso gut nachvollziehbar, wie das Motiv von Dr. Rädin. Alle sind gut motiviert und je nach Wichtigkeit in der Geschichte mehr oder weniger detailliert ausgearbeitet. So sind auch alle Nebenfiguren kurz charakterisiert mit einer Aufgabe ausgestattet.
Aufmachung des Buches
Auf der Klappenbroschur des Paperbackbuches ist ein sitzendes Mädchen zu sehen, in dessen Händen eine Schwanenfeder schwebt. Der Rückseitentext macht neugierig, und der Klappentext auf der Innenseite des Titelbildes führt gut in die Geschichte ein. Auf der Innenklappe der Rückseite finden sich eine Kurzvita und ein Bild der Autorin Lilach Mer.
Die zart verzierten Buchstaben des goldgedruckten Titels unterstreichen die romantische Geschichte ebenso, wie die verzierten Zeichen, die die Kapitel unterteilen. Die Schriftgröße ist sehr gut gewählt und wirklich angenehm und gut zu lesen. Eine kleine Widmung am Anfang und ein Nachwort und Quellenverzeichnis sowie eine Danksagung am Ende umschließen die Geschichte. Auf den letzten Seiten werden einige weitere Titel des Verlages vorgestellt.
Fazit
Die sehr empfehlenswerte Geschichte ist wie eine erblühende Blume. Mit jedem Kapitel wird sie prächtiger und intensiver, bis sie am Ende zu einer magischen und absolut "runden" Erzählung geworden ist. Ein wirklich großartiges Romandebüt der Autorin. Durch die etwas märchenhafte Wortwahl und den träumerisch-romantischen Erzählstil wird die Geschichte gleichermaßen jüngere wie etwas ältere LeserInnen ansprechen und für einige fantasievolle und spannende Lesestunden sorgen.
Hinweise
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