Krefeld im 17. Jahrhundert. Für Margaretha und ihre Familie wird das Leben in der Stadt immer schwieriger. Da sie der mennonitischen Glaubensgemeinschaft angehören, werden sie wiederholt angegriffen. Plötzlich müssen sie über einen bisher unerhörten Plan nachdenken: Sollen sie in die Neue Welt auswandern? Doch kann Margaretha dann auch Hebamme und Heilerin werden wie ihre Mutter? Und was wird aus Jan, dem Jungen, den sie heimlich liebt?
Autor: Ulrike Renk |
Die Grundidee der Handlung
Margaretha ist fünfzehn Jahre alt, als ihre Mutter sie zum ersten Mal mitnimmt zu einer Entbindung. Von da an lernt sie nach und nach die Grundbegriffe der Kräuterheilkunde und der Arbeit als Hebamme. Krefeld, die Stadt, in der ihre Vorfahren einst Zuflucht fanden vor religiöser Verfolgung, bietet aber immer weniger Schutz. Ihre kleine Schwester wird schief angesehen, weil sie behindert ist, der Zusammenhalt der mennonitischen Gemeinde im harten Winter wird mit Argwohn beobachtet. Als dann Margarethas älteren Brüdern die Möglichkeit geboten wird, in der neu gegründeten Stadt Philadelphia Land zu erwerben und dorthin umzusiedeln, muss Margaretha sich mit dem Gedanken anfreunden, ihre Heimat aufzugeben. Doch was sie alle in Amerika erwartet, weiß niemand …
Was auf dem Buchrücken als Hauptthema erscheint, nämlich die Auswanderung der Familie op den Graeff, steht in Wahrheit gar nicht im Mittelpunkt der Geschichte. Vielmehr ist sie zwar ein Teil davon, aber das vorherige Leben der Familie in Krefeld, der Weg hin zur Entscheidung für ein Leben in Amerika nimmt viel größeren Raum ein. Was an sich nicht schlimm ist, aber eben nicht richtig wiedergegeben.
Stil und Sprache
Zunächst fällt auf, dass Ulrike Renk in ihrem Thema richtig zu Hause ist, das zeigen zum einen die vielen sorgfältig recherchierten Details, zum anderen auch die Umsetzung der wörtlichen Rede. Hier merkt man deutlich, dass die Einflüsse der niederländischen Sprache damals sehr groß waren, immer wieder werden entsprechende Ausdrücke, etwa Kosenamen, verwendet. So erzeugt die Autorin eine authentische Atmosphäre, die sie auch mit anderen, heute ungebräuchlichen Redewendungen unterstreicht. Man fühlt sich als Leser von der ersten Seite an zu Hause im Krefeld des Jahres 1677, nimmt teil am Alltagsleben der Familie op den Graeff.
Interessanterweise wird dies auch nicht langweilig, obwohl in den ersten zwei Dritteln des Buches gar nicht so viel passiert. Allerdings hätte ich mir an mancher Stelle gewünscht, dass die Autorin ihren erzählerischen Focus etwas anders setzen würde. Zum Beispiel wird die Geschichte von Eva, Margarethas kleiner Schwester, doch sehr ausführlich beschrieben, obwohl sie für die eigentliche Handlung nicht so sehr wichtig ist. Schön hätte ich es auch gefunden, wenn der Überfahrt nach Amerika und den ersten Jahren dort mehr Aufmerksamkeit gewidmet worden wäre. Dieser Teil wird dann doch recht knapp abgehandelt und das Ende kommt dann schon sehr plötzlich. Aber möglicherweise wird Ulrike Renk die Geschichte ja noch fortführen? Lesen würde ich eine solche Fortsetzung auf jeden Fall gern …
Figuren
Das Schöne an den historischen Romanen Ulrike Renks ist es, dass ein Großteil der von ihr verwendeten Figuren wirklich gelebt hat. So auch Margaretha op den Graeff und ihre Familie, denen man die Realitätsnähe von Anfang an anmerkt. Sie sind allesamt lebendig, sprühen vor Leben und lassen den Leser mitfiebern und teilhaben an ihrer Geschichte.
Im Mittelpunkt steht natürlich Margaretha selbst, aus deren Sicht ja auch erzählt wird. Sie ist zu Beginn der Handlung 15 Jahre alt, am Ende 22, und macht auch eine entsprechende Entwicklung durch, vom unerfahrenen Mädchen zur heilkundigen Frau, die ihre Verantwortung mit Würde trägt und ihr Leben zu organisieren weiß. Besonders gut gefällt mir an ihrer Darstellung, dass sie keine außergewöhnliche Frau ist, sich nicht über die Sitten und Gebräuche ihrer Zeit hinwegsetzt und mehr will, als für sie möglich ist. Sie lebt ihr Leben so, wie es in ihrer Zeit viele getan haben, und vermittelt ein authentisches Bild der damaligen Gesellschaft.
Das tun auch alle anderen Charaktere, bis zur kleinsten Nebenfigur haben sie ihre Eigenheiten, die sie so besonders machen, einige von ihnen sind sympathisch, andere nicht. Der einzige, der fast gar keine Rolle spielt, obwohl er sogar im Rückentext erwähnt wird, ist Jan, ein Junge aus der Gemeinde, der sich mit Margaretha anfreundet. Er wirkt ein bisschen so, als wenn die Autorin ihm erst eine größere Rolle geben wollte und dann diesen Plan wieder aufgegeben hat, weil er nicht ganz in die Geschichte passen wollte. Aber vielleicht ist er auch einfach eine von den Autoren gern bemühte Figur, die sich im Laufe des Schreibprozesses „selbständig macht“, das soll es ja öfter geben …
Aufmachung des Buches
Das Taschenbuch ist mit über 600 Seiten auf relativ festem Papier ungewöhnlich dick und verbiegt sich leider auch bei vorsichtigem Lesen im Rücken leicht und sieht dann schnell etwas mitgenommen aus. Dafür ist die Covergestaltung gut gelungen mit einer Zeichnung einer Familie, die in einem Ruderboot zu einem im Hintergrund liegenden Segelschiff gebracht wird. Der Titel ist in goldener Schrift gedruckt und nimmt so die Farbtöne des rot-golden gemusterten Hintergrundes auf. Innen gibt es 34 recht lange Kapitel und ein kurzes Nachwort mit Erläuterungen zu historisch belegten Figuren und Tatsachen.
Fazit
Ein richtig schöner Schmöker ist „Die Heilerin“, mit diesem Buch verbringt man gern einige Stunden in der Vergangenheit. Lebhaft erzählt und gut recherchiert macht Margarethas Geschichte einfach Spaß und lässt einen mitfiebern. Für alle, die gern am Leben einer ganz normalen Familie teilhaben und keine Generäle, Könige oder großen Intrigen brauchen, die perfekte Lektüre.
Hinweise
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