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Die langen heißen Sommer zogen Peter Kurzeck einst ins südfranzösische Uzès. Aber mit den Jahren merkt er, dass die Winter noch viel schöner sind. Von seiner winterlichen Provence erzählt Peter Kurzeck auf "Mein wildes Herz": von Ausflügen nach Nîmes und Avignon; Sätzen über Rembrandt; vier Bahnhofsuhren mit vorwurfsvollem Blick, die in der Wohnung ticken, beinahe so wie die seit Monaten vor sich hergeschobene Steuererklärung; von der unter südlichem Licht und Mistral sich endlos ausdehnenden Landschaft und den Menschen, die sie prägt. Ein besonderer Wintertag steht im Zentrum seiner Erzählung: Freitag, der 13. Februar 2004. Es ist der Tag seines Schlaganfalls. Er gibt ihm das Gefühl, die Kontrolle über sein Leben verloren zu haben. Auf dem Monitor flattern seine Herzklappen wie Flaggen im Wind, existenzbedrohend, aber "man möchte ewig leben, solange der Mistral weht".

 

 

Autor:  Peter Kurzeck
Sprecher: Peter Kurzeck
Verlag: Supposé
Erschienen: 15. Dezember 2010
ISBN: 978-3932513985
Spieldauer: 120 Minuten, 2CDs; ungekürzte Fassung


Die Grundidee der Handlung
Ausgerechnet Freitag der 13.! Peter Kurzeck wandert durch kurze Augenblicke seines Lebens, erzählt liebevoll von seiner zweiten Heimat in Südfrankreich, bis hin zur Liebeserklärung an den Mistral, „das ist für mich ein heiliges Wetter“, und steuert doch unaufhaltsam auf diesen unglückseligen Abend zu. Wie sich herausstellt, geht dem Schlaganfall ein Herzklappenfehler voraus, den er einer nichtauskurierten Erkältung verdankt.

Kurzeck besitzt die Gabe, aus Nichtigkeiten, kleinen Begebenheiten des Lebens, denen man normalerweise keinerlei Beachtung schenkt, die Poesie darin zu offenbaren. So lässt er uns bei seiner Spurensuche, wie es zu dem Schlaganfall hat kommen können, teilhaben, erklärt uns immer wieder, dass der Gedanke an seine unerledigte Steuererklärung ihn beunruhigt: „du hast deine Steuer noch nicht gemacht! Was mich einfach nicht mehr zur Ruhe kommen ließ", berichtet von den unterschiedlichen Cafés in Uzès, die er zu unterschiedlichen Zeiten und Absichten aufsucht, nimmt uns zu seinen Ausflügen nach Nîmes oder Alès mit oder gar zu einem Einkauf vierer Wanduhren, die ihn an die Bahnhofsuhren aus seiner Kindheit erinnern. Dennoch dürfen die Uhren nicht die gleiche Zeit und schon gar nicht die richtige Zeit angeben, so „dass ein Umrechnungsmodus erforderlich ist“. Die unterschiedlichen Zeitangaben der Uhren stehen als Metapher für eine ungewisse Lebenszeit, für ein nicht-so-genau-wissen, auf welchem Zeitabschnitt seines Lebens man sich gerade befindet.

Obwohl Kurzeck in Südfrankreich die Einsamkeit zum Schreiben gesucht und seit 15 Jahren in Uzès gefunden hat, der Mentalität, der Gelassenheit, der milden Winter wegen, erzählt er uns freimütig, als die Decke in seinem Badezimmer zum zweiten Mal einzustürzen droht und es niemanden interessiert, er sei schon sehr entmutigt. „Ich hab öfter erlebt in Frankreich, dass sie Zustände lange tolerieren, die man in Deutschland keinen Tag aushalten würde, und dass es nicht sehr viel Sinn hat zu sagen, dass muss jetzt sofort repariert werden. (…) Dann denken sie, dass ist dieser verrückte Deutsche, der mit seinem Leben nicht zurechtkommt, sonst würde er ja nicht auf solche Ideen kommen. Dann muss ich auch sehr aufpassen, nicht zu sagen, in Deutschland würde so etwas nicht geben, obwohl einer der Gründe, warum ich nicht in Deutschland lebe, ja auch der ist, dass es dort zu viel Ordnung gibt, und dass man an zuviel Ordnung auch krepieren kann.“ Peter Kurzeck erzählt sein Leben nicht linear, sondern integriert immer wieder Erinnerungen an zurückliegende Momente. Dieses kreisförmige Erzählen erzeugt eine immer stärker werdende Anziehungskraft, denn je mehr er zu erzählen hat, umso atemloser läuft er der Zeit hinterher. Seine gesammelten Erinnerungen, der Verlauf seiner Erkrankung, nebenbei der gewährte Einblick in sein Leben, kann man durchaus auch als subtile Sozialkritik auffassen. Eine Kritik, die nicht mit Missbilligung einhergeht, sondern mit aus der Zufälligkeit der Erzählung ergebenden Betrachtung der Situation und deren Folgen.


Darstellung des Hörbuchs
In fließenden Übergängen von Vergangenheit, Erinnerung und Gegenwart erzählt Peter Kurzeck frei, ohne Manuskriptvorlage, einen Teil seines Lebens. Detaillierte Ausführungen von Marginalien, seine Beobachtungsschärfe und seine Unbekümmertheit entfalten einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Seine fesselnde Erzählweise und seine melodische, leicht singende Stimme umschließen den Hörer, ziehen ihn fest in seinen Bann und lassen ihn erst los, wenn die viel zu schnell vorbeigehenden zwei Stunden vorüber sind. Der supposé-Verleger Klaus Sander hat zusammen mit Michael Schlappa ein beeindruckendes Zeugnis atmosphärischer Erzählung herausgebracht, der man ewig zuhören könnte.


Aufmachung des Hörbuchs
Die Aufmachung des Hörbuchs ist von ansprechender Schlichtheit. Die unaufdringliche Pappbox enthält ausschließlich die beiden CDs. Es gibt keine Informationen zum Autor, keine weiteren Beschreibungen zur Entstehungsgeschichte, nichts was von der Erzählung in irgendeiner Weise ablenken könnte. Eine Erzählung, wie sie schöner nicht sein könnte.


Fazit
Peter Kurzeck ist ein wahrer Meister der Erzählung und erinnert wieder an die alte Tradition der Oral History. Man könnte fast sagen, er hat eine neues Genre erfunden: die Erzählliteratur.


5 Sterne


Hinweise
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