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Der 16jährige Yoba und sein kleiner Bruder Chioke leben als Straßenkinder in Nigeria. Als Yoba einen Auftrag für den örtlichen Gangsterboss erledigt und plötzlich in den Besitz einer Tasche mit Geld gelangt, ist das ihre große Chance: Die Brüder fliehen und lösen bei einem Menschenschleuser ein Ticket nach Europa. Wie so viele andere wollen sie es auf eines der Flüchtlingsboote nach Sizilien schaffen. Doch der Weg dorthin ist lang und viel gefährlicher als gedacht. Ein ums andere Mal gerät ihr Leben in Gefahr, aber für ihren Traum sind sie bereit jedes Risiko in Kauf zu nehmen.

 

 

Autor: Ortwin Ramadan 
Verlag: Carlsen Verlag
Erschienen: April 2011
ISBN: 978-3-551-31017-0
Seitenzahl: 285 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Der 16 jährige Yoba und sein autistischer Bruder Chioke fristen als Straßenkinder ein elendes Dasein. Hunger und Gefahr sind allgegenwärtig, da es kaum Möglichkeiten zum Geld verdienen gibt. In der Hoffnung der Armut zu entrinnen, nimmt Yoba einen Auftrag des Gangsterbosses Big Eagle an. Doch die Sache gelingt nicht wie geplant. Er klaut Big Eagle eine Tasche voller Geld und flieht mit seinem Bruder schnellstens aus der Stadt. Antony, der alte Parkplatzwächter, hilft ihnen und so machen sich die beiden Brüder auf den Weg nach Sizilien. Obwohl Yoba - ebenso wie alle anderen, die sich auf die Reise ins Ungewisse machen - weiß, dass möglicherweise nicht jeder die Flucht nach Sizilien überleben wird, setzen er und all die anderen Flüchtlinge ihr Leben für eine bessere Zukunft aufs Spiel.
Während sich Yoba und Chioke durch die gnadenlose Wüste schlagen, macht der deutsche Junge Julian mit seiner Familie "gezwungenermaßen" Urlaub auf Sizilien. Er hasst die Schule, der Urlaub ödet ihn an und seine Schwester nervt ihn total. Seine Einstellung ändert sich aber, als er die Halbsizilianerin Adria kennenlernt. Als Julian nach einem Tauchgang das Tagebuch von Yoba an den Strand gespült findet, beginnt er die Geschichte der abenteuerlichen Flucht der Brüder zu lesen. Er will das Tagebuch zurückgeben und macht sich mit Adria auf die Suche nach dem Jungen ins Flüchtlingslager der Insel Lampedusa.  


Stil und Sprache
Das Buch ist brandaktuell, sehr spannend und gleichzeitig erschreckend in seiner Intensität. Die Sprache ist einfach und gut zu lesen. An Kraftausdrücken wurde sehr gespart, doch wenn sie vorkommen, sind sie sehr gezielt und dadurch äußerst wirksam in den Text eingeflochten. Dadurch heben sie die eingeflochtenen gewalttätigeren Szenen im Text sehr gut hervor, wodurch dieser viel eindringlicher wirkt, und gleichzeitig hebt es die Spannung zusätzlich. Besonders der zweite Handlungsstrang macht den großen Unterschied zwischen den "modernen" Problemen der Europäer und den Ängsten und Hoffnungen der notleidenden afrikanischen Flüchtlinge gut sichtbar. Auch im Buch wissen viele Menschen, dass es das "Flüchtlingsproblem" auf der Insel Lampedusa gibt, doch genauso wie in der Realität gehen auch hier die einzelnen Menschen und Schicksale in der Masse des gesichtslosen Flüchtlingsstromes unter.

Mit der Geschichte der beiden Jungen Yoba und Chioke gibt der Autor den Flüchtlingen einen Namen und ein Schicksal und nimmt den Leser auf eine entbehrungsreiche Reise voller Gefahr und Hoffnung mit. Er lüftet den "Schleier der Anonymität" und ermöglicht es den LeserInnen so, sich anhand der Gespräche und Handlungen der Flüchtlinge in die Not der Protagonisten hineinzufühlen und das "Warum" zu verstehen.
Die Umsetzung des Themas sowie die Sprache und auch die etwas gewalttätigeren Szenen sind gut an das Alter 13+ angepasst. Jüngere Kinder könnten mit dem Buch aber etwas überfordert sein. Flüssig geschrieben und sehr gut aufgebaut, setzt sich die Geschichte aus zwei Handlungssträngen zusammen, die sich in der Erzählzeit und der Formatierung unterscheiden, aber am Ende der Geschichte zeitmäßig exakt passend zusammenlaufen. Obwohl hier die prekäre Situation des Flüchtlingsstromes zur Insel Lampedusa und die damit einhergehende Überforderung der Politik gut aufgezeigt wird, ist weder eine Anprangerung der einen oder anderen Seite zu finden.
Der Autor hat es mit einer faszinierenden und äußerst spannenden Geschichte geschafft, dem Leser das "Flüchtlingsproblem" nahe zu bringen und ihn dabei emotional mit einzubinden. Frei nach der Art:"Seht her! Keiner von ihnen geht, weil es so toll ist, diese lebensgefährliche Reise zu machen. Sie wissen, dass sie dabei sterben können. Aber für diese Menschen ist alles besser, als zu bleiben, denn als Flüchtlinge haben sie wenigstens noch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Was würdet ihr tun?"

Durch Yoba, seinen Bruder Chioke und die anderen Flüchtlingen, die ihnen im Laufe ihrer Flucht begegnen, bekommen die vielen gesichtslosen Flüchtlinge aus Afrika eine Geschichte und einen Hintergrund. Spannend bis zum Schluss, zeigt die Erzählung die blanke Verzweiflung jener Menschen, die alles aufs Spiel setzen, um aus einem Leben bitterster Armut und den allgegenwärtigen Schrecken ihres Daseins zu entkommen. Anhand der Erlebnisse der beiden Brüder, die vor dem brutalen Bandenchef flüchten müssen, und ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben, das ihre unmenschliche Flucht zum und übers Mittelmeer ertragbar macht, erlebt der Leser hautnah die sinnlose Gewalttätigkeit und unglaubliche Skrupellosigkeit jener Menschen, die das große Geschäft mit dem Leid anderer machen. Die Geschichte prangert nicht an, sondern zeigt einfach "so wie es ist" und lässt den Leser damit tief berührt und betroffen zurück.  


Figuren
Yoba steht mit seinen 16 Jahren vor der großen Aufgabe, seinen autistischen Bruder zu beschützen. Sie leben in einer sehr gefährlichen Umgebung, in der Hunger, Gewalt und Willkür allgegenwärtig sind. Als Yoba plötzlich überstürzt fliehen muss, hat er nur ein Ziel: er möchte mit seinem Bruder zu seinem Onkel in Hamburg reisen. Chioke liebt seinen Bruder und richtet sich total nach ihm. Durch seine Krankheit und durch ein furchtbares Trauma einer Vodoozeremonie, bei der man ihm den "bösen Geist" austreiben wollte, hat er sich fast völlig in sich zurückgezogen. Anthony, der alte Parkplatzwächter, hilft den Jungen bei der Flucht aus der Stadt, um sie vor dem wütenden Bandenchef in Sicherheit zu bringen.
Der deutsche Teenager Julian wurde dazu "zwangsverpflichtet", mit seiner Familie Urlaub zu machen. Er hasst die Schule und hat weder ein Ziel noch eine Perspektive. Als er die Halbsizilianerin Adria kennenlernt taut er etwas auf. Nachdem er am Strand das Tagebuch von Yoba findet, beginnt er langsam über seinen "Tellerrand" hinauszusehen und sich für andere Menschen zu interessieren.

Alle Figuren sind optimal motiviert und glaubwürdig dargestellt. Durch ihre Handlungen werden sie laufend charakterisiert und entwickeln sich im Lauf der Geschichte immer weiter. So kann man sich gut in die Figuren hineinversetzen und das Abenteuer aus ihrem Blickwinkel erleben.  


Aufmachung des Buches
Auf dem Cover des Taschenbuches ist das Gesicht eines dunkelhäutigen Jungen und ein überfülltes Flüchtlingsboot auf dem offenen Meer zu sehen. Der Titel selbst hat zwar nur bedingt mit dem Inhalt zu tun, passt aber trotzdem sehr gut dazu. Auf der Innenseite der Klappbroschur ist auf der Vorderseite ein kurzer Auszug aus dem Buch zu finden und auf der Hinterseite entdeckt man die Kurzvita des Autors.
Beide Handlungsstränge sind auch durch eine unterschiedliche Formatierung voneinander abgegrenzt. Das Buch schließt mit einem kurzen Nachwort des Autors sowie weiterführenden Links. Auf den letzten drei Seiten findet man eine kleine Vorschau auf weitere Bücher des Carlsen-Verlages. 


Fazit
Als ich das Buch bekommen habe, hätte ich aufgrund des Themas und des Titelbildes niemals erwartet, dass es mich so sehr beeindrucken würde. Der Schrei des Löwen ist sicher eines der besten und intensivsten Bücher, die ich jemals gelesen habe. Mehr als aktuell und überaus spannend geschrieben, regt es zum Nachdenken an und macht gleichzeitig aufrichtig betroffen. Es wäre toll, wenn dieses Buch in den Schulen zur Pflichtlektüre in den Unterricht aufgenommen würde, der Inhalt würde für eine spannende Diskussion zum Thema Menschlichkeit und Ethik sorgen. Der Roman richtet sich in Stil und Thematik nicht nur an Jugendliche über 13 Jahren, sondern wird auch erwachsene Leser besonders ansprechen. Es überzeugen mich nicht sehr viele Bücher so sehr, dass ich 5 Sterne vergebe, doch dieses Buch hat jeden einzelnen Stern absolut verdient.


5 Sterne


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