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Janne Teller wagt erneut ein eindringliches Gedankenexperiment: Sie macht uns klar, was es bedeutet, Kriegsflüchtling zu sein – durch einen schlichten Wechsel der Perspektive.

 

 

Originaltitel: Hvis der var krig I Norden
Autor: Janne Teller
Übersetzer: Sigrid C. Engeler
Verlag: Carl Hanser
Erschienen: März 2011
ISBN: 978-3-446-23689-9
Seitenzahl: 61 Seiten
Altersempfehlung: ab 12 Jahren

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Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Die Autorin Janne Teller konfrontiert den jugendlichen Leser in direkter Anrede „Du“ mit fiktiven Gedankenspielen über die Folgen eines Krieges. Erstmals in Dänemark veröffentlicht, wurden nun die Szenarien der Lizenzausgaben der politischen Situation des jeweiligen Landes angepasst, in dem das Buch erscheint. Und so findet sich in der deutschen Ausgabe folgende Ausgangssituation: Seit einigen Jahren herrscht in ganz Europa Krieg. Alles ist zerbombt, die Infrastruktur total zusammengebrochen, die Europäische Union gibt es nicht mehr, genauso wenig eine Demokratie. Vielmehr übernimmt eine totalitäre Regierung mit einer „Gleichschaltungspolizei“ als ausführendes Organ unter Federführung Frankreichs die Macht. Von ganz Europa strömen Flüchtlinge in die arabisch-islamische Welt. Dort wird man zunächst übergangsweise in Flüchtlingslagern untergebracht, die Gewährung von Asyl ist so gut wie aussichtslos, bei der Riesenmenge an Anträgen. Was soll werden, wenn man wieder ins zerstörte, von der Militärpolizei regierte Europa zurückbeordert wird?

Als normale Leselektüre wird dieses rund 50 Seiten umfassende Essay sicherlich nicht funktionieren, dafür knallt man dem Leser im emotionslosen, sachlichen Staccato-Ton alles viel zu kurz und knapp schnell mal vor den Latz. Auszug von Seite 7-8: […] Deine Mutter hat Bronchitis, und bald wird sie eine Lungenentzündung bekommen. Dein großer Bruder hat schon früh bei einem Vorfall mit einer Mine drei Finger der linken Hand verloren und unterstützt gegen den Willen deiner Eltern die Milizia. Deine kleine Schwester wurde von Granatsplittern am Kopf verletzt, sie liegt im Krankenhaus, dem es an allem fehlt. Deine Großeltern starben, als eine Bombe ihr Pflegeheim traf. Du bist noch unversehrt […]
Die Flut an Informationen im Telegramm-Stil erschlägt einen förmlich. Wie soll man da in der Lage sein, sich selbst mit der angesprochenen „Du-Person“ zu identifizieren? Mir gelang es jedenfalls nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass das Ganze nicht linear in logischer oder chronologischer Reihenfolge dargebracht wird, sondern die Zusammenhänge sich erst nach und nach erschließen.

Anders sieht es aus, wenn man diese Gedankenspiele als Anregung für eine Gruppendiskussion (z.B. in der Schule) heranzieht. Themen wie Migration und Integration, die im Mittelpunkt des Essays stehen, gedanklich mal aus umgekehrter Sicht durchzuspielen, fördert bei der jugendlichen Zielgruppe zweifellos das Verständnis für die schwierige Lage der Flüchtlinge in unserer Mitte. Denn wer von uns kann sich schon richtig vorstellen, was es heißt, fremd in einem anderen Land zu sein, die Sprache nicht zu verstehen, keine Arbeit, kein Geld und kein Zuhause zu haben oder getrennt von der Familie und den Freunden zu sein? Diesbezüglich leistet das Büchlein einen unbestreitbar wichtigen Beitrag – nicht umsonst kommt es im „Passport-Look“ daher.

Arg störte mich, dass Deutschland Urheber dieses fiktiven Krieges sein soll und unseren Kindern hier erneut mit der alten Schuldfrage hart ins Gewissen geredet wird. Auszug von Seite 31: […] Die haben unsere Häuser zerstört, denkst du jedes Mal. Die haben meine Großeltern umgebracht. So denkst du, auch wenn dir dein Vater sagt, du dürftest nie vergessen, wer den Krieg anfing […] Deutschland konnte nicht auf Dauer für alle anderen bezahlen, die nichts anderes wollen, als streiken und Rotwein trinken. […]
Müssen wir Deutsche denn für immer und ewig als Sündenbock in Europa dastehen? Kann dieses Thema nicht endlich mal ruhen und verjähren, frage ich mich?


Aufmachung des Buches
Passend zum Hauptthema Migration sieht dieses kleine weinrote Büchlein mit Goldprägung nicht nur dem Cover nach wie ein Reisepass aus, mit Abmessungen von 14,3 cm x 10,3 cm fällt es nämlich nur minimal größer und mit seinen 61 Seiten auch nicht viel dicker als „der Echte“ aus. Der Seitenteil besteht aus einem rauen, etwas dickeren rohweißen Papier, außerdem ist er mit zahlreichen von Helle Vibeke Jensen beigesteuerten abstrakten Farbillustrationen bzw. -grafiken  durchsetzt. Den Abschluss bildet ein ausführliches Nachwort der Autorin, worin sie u.a. auf die Entstehung von "Krieg" und die inhaltliche Anpassung der Lizenzausgaben eingeht.


Fazit
Das Büchlein beinhaltet schwerpunktmäßig nicht – wie der Titel vermuten lässt – den Krieg selbst, sondern die Folgen daraus. Mit fiktiven Szenarien regt es zum Nachdenken und Diskutieren an, genauso leistet es einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Migrations- und Flüchtlingsproblems, als normale Leselektüre ähnlich einem Jugendroman kann ich es allerdings nicht empfehlen.


3 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Auf der Website der Autorin gibt es einen Schreibwettbewerb und einen Diskussionsbereich zum Buch.

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