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Gabun, Westafrika, um 1930: Mit einem Empfehlungsschreiben seines Onkels landet ein junger Franzose in Libreville. Er will Berufserfahrung sammeln, die Welt sehen. Doch in der Gluthitze am Äquator, wo keiner auf ihn gewartet hat, weiß Joseph Timar nicht wohin mit sich, und niemand scheint ihm helfen zu wollen außer Adèle, die Frau des Hotelbesitzers, die ihn verführt, abweist, verführt, bis ihm schwindelig ist vor ohnmächtiger Lust. Dann stirbt Adèles Mann, und in derselben Nacht wird ein schwarzer Boy erschossen. Timar ist sicher, dass Adèle etwas damit zu tun hat. Er wird schweigen, wenn sie tut, was er will. Damit steckt er in der Sache mit drin, tief drin.

 

 

Originaltitel: Le coup de lune
Autor: Georges Simenon
Übersetzer: Annerose Melter
Verlag: Diogenes
Erschienen: 2010
ISBN: 978-3-257-24102-0
Seitenzahl: 191 Seiten

 

Die Grundidee der Handlung
Was verschlägt einen jungen Franzosen in die Kolonien? Noch dazu ins schwülheiße, am Äquator gelegene, Gabun. Er weiß es selbst nicht so recht. Getrieben von Abenteuerlust und Entdeckergeist, versucht er dort sein Glück zu machen. Doch außer erbarmungsloser Hitze und einer nie vergehenden Tristesse scheint ihn dort nichts zu erwarten. Die von seinem Onkel protegierte Stelle löst sich in Luft auf – die Firma steht kurz vor dem Bankrott. Während er im Hotel ‚Central’ auf sein Schiff in die Heimat wartet, lernt er Adèle kennen. Eine Amazone, die ihre nackten üppigen Kurven nur durch ein schwarzes Samtkleid verhüllt und ihm eine Nacht schenkt, die alles verändert. Timar, der noch grün hinter den Ohren ist, fühlt sich von der Situation überfordert. Schließlich ist sie mit dem Wirt des Hotels verheiratet und auch andere, wie die Holzfäller oder auch der Staatsanwalt, haben wohl ihren Spaß mit der adretten Adèle. Die flirrende feuchte Hitze und sein unbändiges Verlangen nach der Frau vernebeln ihm sein Urteilsvermögen. Und als kurz hintereinander der Hotelboy Thomas und Adèles Mann sterben geht Timar ein Licht auf. Doch Adèle hält ihn weiter in ihrem Bann und überredet ihn, mit ihr ins Landesinnere zum Holzfällen zu gehen. Timar, der mit sich und der Situation um Adèle immer unzufriedener und mürrischer wird, fängt an zu trinken und erleidet auf der Fahrt einen Dengue-Fieber Anfall. Völlig entkräftet und von Fieberträumen geplagt will er hinter das Geheimnis von Adèle kommen. Doch wem kann er noch Trauen?


Stil und Sprache
Georges Simenon - vor allem bekannt durch seine ‚Maigret’-Krimis - ist der Meister des Wortes. Er schafft es wie kein anderer in wenigen Sätzen und mit einfachen Worten eine atemraubende Atmosphäre zu zaubern, die jeden Leser in ihren Bann zieht. Als Handlungsort hat er sich bei ‚Tropenkoller’ das 1930 noch koloniale Gabun mit seiner Hauptstadt Libreville gewählt. Haupteinnahmequelle dort ist der Holzeinschlag, was ein hartes Geschäft ist in dieser für Europäer so lebensfeindlichen Umgebung. Die meisten denken, dass dorthin zu gehen einem Urlaub gleichkommt, doch die Realität sieht anders aus. Die wenigen Weißen bleiben unter sich, stumpfen in der gnadenlosen Hitze ab und geben sich aus Eintönigkeit dem Glücksspiel und dem Alkohol hin. Georges Simenon beschreibt dies sehr eindringlich. Er legt großen Wert darauf, dass der Leser ein Gefühl bekommt als wäre er Mitten in dieser staubigen, heißen Stadt. Dies gelingt ihm so gut, dass man förmlich den Schweiß auf der Haut spürt, diese atemlose Hitze, die einem den letzten Verstand zu rauben scheint, nicht mehr aushält und sich mit dem Buch am liebsten in den Schatten verzieht.

Zum Zeitpunkt des Romans gelten die Einheimischen noch als Menschen zweiter Klasse. Simenon beschreibt sie ungepflegt, stinkend und stoisch. Fast schon wie Tiere wirken sie auf die Weißen befremdlich, und wer noch keinen Schwarzen getötet hat, ist noch nicht in den Kolonien angekommen. Ein hartes, erbarmungsloses Bild, das zu dieser Zeit der Realität entsprach und neben seinen detailreichen Beschreibungen der Orte und Szenen für diese besondere knisternde Atmosphäre verantwortlich ist. Selbst Erotik, die in seinen ‚Maigret’-Romanen nie denkbar war, baut der Autor gekonnt in seinen Plot ein. Es passt zur schwülen Hitze, wenn sich vom Schweiß feuchte Körper berühren und bis zur Ohnmacht vereinen. Selten hat mich ein Roman so in den Bann gezogen.


Figuren
Allen voran steht Joseph Timar, ein junger Franzose, voll Tatendrang und neugierig auf das Abenteuer, welches ihn in Gabun erwartet. Frisch von der Schule und ohne Erfahrung - weder im Leben noch mit Frauen -, hat er sich von seinem einflussreichen Onkel eine Stelle in Gabun vermitteln lassen. In allem was er tut, in allem was er denkt, wirkt er naiv und einfältig. Vielleicht ist er aber auch nur von der Situation überfordert. Zum einen das neue Land mit seinen fremden Bewohnern, mit unbekannten Sitten und Gebräuchen. Zum anderen die alles einnehmende und das Letzte fordernde Hitze. Für Timar eine zu große Herausforderung. Als er sich dann auch noch in Adèle, ein gestandenes Vollweib, die weiß was sie vom Leben will, verliebt, übermächtigen ihn seine Gefühle. Alkohol, Hitze, Eifersucht, das ohnmächtige Gefühl nichts tun zu können, Adèle, die mit ihm zu spielen scheint, die er aber - obwohl er weiß, dass er nicht der einzige Liebhaber ist - nicht loslassen kann, Fieberschübe und Einheimische, die er nicht versteht - all dies scheint ihn langsam in den Wahnsinn zu treiben.
Bei Adèle ist man sich lange nicht sicher, ob sie nun ein Spiel mit ihm spielt oder ob sie es ernst meint. Sie ist taff aber vom Leben gezeichnet. Sie weiß, wie man sich in den Kolonien verhält und tut dies auch zu ihrem Vorteil. Georges Simenon zeichnet seine Charaktere hart und erbarmungslos, passend zum Klima und passend zur Story. Alle wirken abgestumpft - ob nun die Holzfäller wie Bouilloux oder der Vizedirektor der Bank Maritain, sie haben sich mit den Gepflogenheiten vor Ort abgefunden und arrangieren sich so gut es geht. Die Eingeborenen sind nur Menschen zweiter Klasse. Sie werden ausgenutzt, körperlich, bei Spielen mit ihren Frauen oder der harten Arbeit beim Bäumefällen. Ein Leben zählt nichts, ein Zustand, an den sich Timar nicht gewöhnen kann. Simenons Figuren wirken ohne Schwäche, doch ist genau diese gespielte Stärke ihre eigentliche Schwäche. Sie sind in ihrem Tun gefangen und wer nicht mitmacht, wird den Verstand verlieren.


Aufmachung des Buches
Diogenes ist einer der Verlage, dessen Bücher man in jedem Regal sofort erkennt. Das Grundstyling ist immer gleich; so auch bei diesem Buch. Das HC im Taschenbuchformat ist komplett in Weiß gehalten und zeigt auf dem Cover in einem dünnen schwarzen Rahmen zusammen mit Titel und Autor ein Foto eines Mannes, der vor einer gleißend gelben Wand sitzt. Palme und Kleidung des Mannes deuten darauf hin, dass es sich um einen tropischen Ort handeln muss. Durch die grelle Farbe wird das Buch zum Eyecatcher. Ein hellgraues Lesebändchen vervollständigt den edlen Gesamteindruck.


Fazit
Eine fesselnde, spannende, hochemotionale Geschichte, die einem den Schweiß auf die Haut treibt. Chapeau – Simenons ‚Nicht-Maigrets’ sind besser als seine Krimis, und das will was heißen.


5 Sterne


Hinweise
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Backlist
Band 1: Die Verlobung des Monsieur Hire

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