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Zur Liebe, glaubt sie, sei sie nicht begabt. Tsukiko, Ende dreißig, Angestellte, Single, führt ein unaufgeregtes Leben. Ihre Freizeit verbringt sie mit einem Buch zu Hause oder sie geht zum Essen und Trinken in ihr Stammlokal. Dort begegnet sie eines Abends ihrem alten Japanischlehrer. Auch er ist alleinstehend. Von da an sitzen die beiden des Öfteren bei Sake und Lotuswurzel gemeinsam am Tresen. Zunächst sind die Treffen rein zufällig; keiner der beiden legt sich auf eine Verabredung fest. Ganz langsam entspinnt sich eine Zuneigung zwischen den eher spröden Charakteren – der Beginn einer zarten und ungewöhnlichen Liebesgeschichte.

In seiner zweibändigen Comic-Adaption des Bestseller-Romans von Hiromi Kawakami gelingt es dem preisgekrönten Zeichner Jiro Taniguchi mühelos, die sowohl leichtfüßige als auch eindringliche Atmosphäre der Erzählung einzufangen.

 

 

Originaltitel: Sensei no Kaban
Autor: Hiromi Kawakami
Übersetzer: John Schmitt-Weigand
Illustration: Jiro Taniguchi
Verlag: Carlsen
Erschienen: März 2011
ISBN: 978-3-551-75447-9
Seitenzahl: 205 Seiten
Altersgruppe: ab 15 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)


Die Grundidee der Handlung
Der Klappentext sagt eigentlich schon alles Wesentliche über den Manga aus, so dass ich dem nicht mehr viel hinzufügen möchte. Hier steht weder Spannung noch Action an der Tagesordnung. Diese Geschichte kommt auf ganz leisen Sohlen daher und weiß ihren Zauber in unspektakulären Alltagsszenen, allein durch die Magie des Augenblicks, zu entfalten.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Ich bin der festen Überzeugung, kein anderer Mangaka als Jiro Taniguchi hätte Hiromi Kawakamis Romanvorlage besser und treffender in Bilder umzusetzen vermocht. Sein einerseits nüchterner, mit strengen Linien exakt wiedergebender Zeichenstil und gleichzeitig seine Fähigkeit, die Bilder mit hellen Grauabstufungen und nur ganz wenigen Schwarz-Akzenten luftig und zart wirken zu lassen, passen haargenau zu dieser verkappten Romanze zweier Menschen, die weit über das Teenager-Alter hinaus sind und weder Schmetterlinge im Bauch noch eine wilde unbändige Leidenschaft verspüren, wenn sie sich begegnen.

Die sehr häufig anzutreffenden städtischen Motive erhielten durch modernste Graphic Software den letzten Schliff und wirken deshalb in ihrer Detailliertheit und gestochen scharfen Perfektion fast schon so real, als hätte man Schwarz-Weiß-Fotos vor sich. Gleichzeitig sind sie extrem nüchtern und kühl. Ganz anders verhält es sich bei den Szenen im Grünen. Hier verwischen sich die Details. Bäume, Sträucher und Blüten verschmelzen zu einer einheitlich hellen, filigranen Fläche mit vage umrissenen zarten Linien, was einen gleich in eine wohltuende, warme Atmosphäre eintauchen lässt.

Seine Protagonisten zeichnet Taniguchi realistisch und überaus menschlich. Sie sind weder überirdisch schön noch sind sie mit einer umwerfenden, perfekten Figur gesegnet. Der „Sensei“ hat seinem Alter entsprechend viele Falten im Gesicht, Tsukiko mit ihren 38 Jahren zeigt frauliche Rundungen um die Hüften und an den Oberschenkeln und auch jede der Nebenfiguren hat ihre eigene Charakteristik von Taniguchi verpasst bekommen.
In Mimik und Gestik agieren die Protagonisten ganz natürlich, d.h. verhalten sich damit gänzlich anders, als man es üblicherweise von Mangas gewohnt ist, wo Überzeichnungen zum Standard gehören. Dennoch lassen die Szenen immer unmissverständlich erkennen, was der Mangaka ausdrücken möchte.

Die Leserichtung wurde westlichen Lesegewohnheiten angepasst und verläuft von links nach rechts und von vorne nach hinten. Auch die streng lineare Bilderfolge ist für Neulinge, die sich zum ersten Mal an einen Manga heranwagen, geradezu eine Einladung. Die gut zuordenbaren Sprechblasen kommen klassisch rund daher, der Erzähltext in Kursivschrift ist rechteckig eingefasst. Das Schriftbild in Groß- und Kleinschreibung hat normale Größe und ist nicht hemmend beim Lesen. Eher selten trifft man auf Geräuschwörter, die sämtlich auf Deutsch übersetzt sind.
In der Übersetzung gibt es nur eine einzige, in meinen Augen jedoch gravierende Schwachstelle. Tsukikos Wahl der Anrede für ihren ehemaligen Lehrer ist wie folgt übersetzt: Er ist nicht der „Herr Lehrer“. Er ist auch nicht „Herr Matsumoto“. Er ist der „Sensei“. Und diese Anredeform behält Tsukiko im gesamten Manga bei, die Bedeutung „Sensei“ wird allerdings nirgendwo näher erklärt. Damit lässt man Manga-Neulinge ein wenig im Regen stehen. Gerade weil Jiro Taniguchis Werke ihrer „westlichen Lesefreundlichkeit“ wegen gern von Gelegenheits-Mangalesern gekauft werden, hätte ich in dem Punkt mehr Weitsichtigkeit erwartet.


Aufmachung des Manga
Der Manga ist als großformatige Klappenbroschur verlegt. Auf der hinteren, fliederfarbenen Klappe finden sich Kurzporträts von Autorin und Zeichner. Vor dem Inhaltsverzeichnis erwarten den Leser drei Farbseiten mit dem vorher erwähnten Monolog Tsukikos über die Anredeform für den „Sensei“. Die Seiten im Innenteil bestehen aus rohweißem, etwas dickerem Papier. Im Anhang befindet sich eine ausführliche, doppelseitige Biografie über Jiro Taniguchi, anschließend folgt die Vorstellung weiterer Taniguchi Titel und einiger Graphic Novels aus dem Verlagsprogramm.

Das romantische, stimmungsvolle Covermotiv mit Tsukikos Porträt vor herbstlich verfärbten Baumkronen und zartrosa Kirschblüten im unteren Teil ist vordergründig ein magischer Blickfänger, passt aber auch ganz wunderbar zum Inhalt, in dem sich diese Motive wiederfinden. Auf der fliederfarbenen Rückseite ist eine Zeichenskizze aufgedruckt, die wiederum von einer angedeuteten Banderole mit der Inhaltsangabe teilweise überdeckt wird.


Fazit
In behutsamem Erzählton und realistischer Optik nimmt die zögerliche Annäherung zweier Menschen, die im Alter stark differieren, aber ansonsten vieles gemeinsam haben, ihren Anfang. Jiro Taniguchi hat aus Hiromi Kawakamis Romanvorlage ein echtes Juwel für eine Manga Leserschaft der reiferen Generation erschaffen! Nur wegen eines Übersetzungsmangels mache ich einen klitzekleinen Abzug.


4 5 Sterne


Hinweise
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Hiromi Kawakamis gleichnamige Romanvorlage ist in deutscher Erstausgabe bei Hanser (ISBN 978-3446209992) erschienen. In weiteren Ausgaben auch als Taschenbuch und Hörbuch erhältlich.

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