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Kategorie: 1250 – 1450 Spätmittelalter

Frankreich im Jahre 1313. Die junge Séverine wächst auf einer Burg fernab vom Königshof auf und weiß nicht, dass sie blutsverwandt ist mit den drei Schwiegertöchtern Philipps des Schönen. Als zwei der jungen Frauen schließlich des Ehebruchs überführt werden – ein beispielloser politischer Skandal –, gerät Séverine unversehens in das Ränkespiel der höchsten Kreise, das auch sie den Kopf kosten könnte … Ein packender historischer Roman um einen authentischen Skandal des Mittelalters.

 

 

Autor: Marie Cristen
Verlag: Knaur TB
Erschienen: 1. Dezember 2009
ISBN: 3426639920
Seitenzahl: 496 Seiten

 


Die Grundidee der Handlung
Anfang des 14ten Jahrhunderts erschüttert ein beispielloser Skandal das französische Königshaus, dessen Auswirkungen letztlich mit zum Aussterben der Hauptlinie der Kapetinger und zum Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England beigetragen haben. Zwei Schwiegertöchter König Philippes IV. werden des Ehebruchs überführt und zu lebenslangem Kerker verurteilt, die dritte wird wegen Mitwisserschaft ebenfalls, wenn auch nicht ganz so hart, bestraft. Vor diesem historisch verbürgten Hintergrund spielt die Geschichte der jungen Séverine, die nicht um ihre wahre Herkunft weiß und in die Intrigen und Machtkämpfe am Hof verstrickt wird.
Die imaginäre Séverine ist dabei im Grunde nur eine Nebenfigur, die Hauptrollen in diesem wahren Drama spielen tatsächlich die engste Familie König Philippes „des Schönen“ und seine wichtigsten Höflinge. Dabei ist es der Autorin gelungen, aus vielen, gut recherchierten, historischen Fakten und ein wenig Fiktion ein authentisches Bild des französischen Mittelalters zu zeichnen.


Stil und Sprache
Das Buch lässt sich leicht und flüssig lesen. Die Sprache ist der damaligen Zeit angepasst, ohne aufgesetzt zu wirken. Das mittelalterliche Paris mit seinen vornehmen Palästen und wohlhabenden Bürgern wird genauso anschaulich beschrieben, wie das Elend der Bauern und Leibeigenen, die für den Wohlstand des Adels hungern und schuften müssen. Man merkt, dass die Autorin sich wirklich mit dieser Zeit auseinander gesetzt hat, immer wieder sind interessante Erklärungen und Beschreibungen des damaligen Lebens eingestreut, so z.B. dass eine Amme Medizin einnehmen musste, die dem Säugling zu Gute kommen sollte.
Die historischen Ereignisse sind sehr geschickt mit dem fiktiven Geschehen verwoben, die Geschichte ist stimmig und ohne Brüche. Sie umfasst einen Zeitraum von knapp 2 Jahren und stellt scheinbar das Mädchen Sévérine in den Mittelpunkt. Tatsächlich ist diese aber nur das Glied, dass die einzelnen Elemente der Handlung miteinander verbindet. Durch ihre Augen beobachtet man das Leben in der nächsten Umgebung der königlichen Familie. Sévérine entdeckt als Hofdame der Gräfin von Poitiers das Geheimnis des Turms von Nesle, sie kommt aber mit ihrer Warnung zu spät, muss miterleben, wie hart der König seine Schwiegertöchter bestraft und folgt ihrer Herrin in die Verbannung. Die glaubwürdige Beschreibung ihrer Ängste und Gefühle erwecken im Leser Interesse und Teilnahme. 
Spannung bezieht der Roman einerseits aus der Frage, wie sich Sévérines Schicksal und ihr Verhältnis zu ihrem Beschützer Adrien entwickeln wird, und andererseits durch die Auswirkungen, die der Ehebruch der beiden Prinzessinnen nicht nur über die Königsfamilie, sondern über ganz Frankreich bringt.


Figuren
Fast alle Personen dieses Buches sind historisch verbürgt. Philippe IV. hat Frankreich 30 Jahre lang regiert und seine drei Söhne folgten ihm nacheinander als Könige auf dem Thron. Sowohl sie, als auch ihre Ehefrauen, Kinder und nächsten Verwandten werden in geschichtlichen Quellen so beschrieben, wie Marie Cristen sie schildert. Der Autorin ist es gelungen, diese Menschen nach 700 Jahren wieder zum Leben zu erwecken: den allmächtigen König Philippe, der die Templer vernichtet hat und sogar dem Papst seinen Willen aufzwang; seine Söhne, den ewig mißtrauischen Thronfolger Ludwig von Navarra, den maßvollen und klugen Philippe von Poitiers und den eitlen und einfältigen Karl von Marche, und ihre Gattinnen, die sie auf väterlichen Befehl heiraten mussten, wodurch das Unglück, das zwei von ihnen über die königliche Familie bringen sollten, schon beinahe absehbar war. Dazu kommen noch die Brüder des Königs, die Mutter der Prinzessinnen, Kirchenfürsten und Höflinge, die alle nach Reichtum und Einfluss strebten, während das Volk hungerte und darbte.

Alle diese Charaktere sind so lebendig, glaubwürdig und menschlich dargestellt, dabei so nah an die historisch belegten Fakten angelehnt, dass der Leser mitten im Geschehen ist, mitleidet, mithofft und sich letztendlich sagt: Es könnte so gewesen sein!


Aufmachung des Buches
Das dunkelrote Cover des Taschenbuches zeigt den Titel in edlen Goldbuchstaben. Im Hintergrund erkennt man auf einer Radierung aus dem 17ten Jahrhundert den Turm von Nesle in Paris. Der düstere Anblick des Bauwerks, das dem Buch seinen Namen gegeben hat, wird gemildert durch einen Frauenarm im Vordergrund, der in die blumengemusterten Rüschen des 18ten Jahrhunderts gekleidet ist. Obgleich die Handlung mehr als 400 Jahre früher spielt, ist die Abbildung durchaus passend und ansprechend.
Auf den Prolog von 1297 folgen 20 Kapitel, die im Jahre 1313 beginnen. Im Anhang gibt es ein Register der historischen Personen, das ich mir etwas ausführlicher gewünscht hätte, so vermisse ich darin König Philippe und seine Söhne, die aber wenigstens in der Stammtafel des französichen Königshauses von 1314 zu finden sind.


Fazit

„Turm der Lügen“ ist ein sehr schöner, spannender und wirklich gut recherchierter historischer Roman, bei dem sich der Ausspruch „die besten Geschichten schreibt das Leben selbst“ bewahrheitet!


4 5 Sterne


Hinweise
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