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Kategorie: Romane

In Kamen, dem Heimatort der Autorin wurde 2010 Anton Praetorius anlässlich seines 450 Geburtstages geehrt. Der reformierte Pastor kämpfte unter Lebensgefahr gegen die damals üblichen Hexenprozesse und verlangte darüber hinaus eine menschenwürdige Behandlung in den Gefängnissen. Mit seinen Forderungen gilt er heute als Vorreiter von amnesty international.
Die Lebensgeschichte dieses streitbaren Predigers inspirierte Roswitha Koert zu ihrem Buch „Die Hexen von Kamen". Unter Berücksichtigung der geschichtlichen Tatsachen, aber mit einfühlsamer zurückhaltender Fantasie gestaltete die Autorin das Leben von Anton Praetorius zu einem ungewöhnlichen Buch. Zwei Handlungsstränge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, werden auf fesselnde Weise miteinander verknüpft. Geschickt verwob sie das harte Leben Ende des 16. Jahrhunderts, das Thema Seelenwanderung vor allem den von der Kirche gestützten Hexenglauben in einem spannenden Roman. Wie Frau Koert selbst mit einem vielsagenden Lächeln sagt, steckt in jeder Frau heute noch eine Hexe. Dieser Aussage trägt sie Rechnung, indem sie Hexen der heutigen Zeit parallel agieren lässt. Durch diese geschickte Gegenüberstellung der Gegensätze entsteht ein gut lesbarer, unterhaltsamer und lebendiger Roman, der sowohl Geschichte als auch das Phänomen magischer Kräfte einbezieht. Wobei letzteres nur dezent angedeutet wird, um nicht in das Genre des sogenannten Fantasy-Romans abzugleiten. Auf jeden Fall packend bis zum überraschenden Schluss. 


Die_Hexen_von_Kamen 

Autor: Roswitha Koert
Verlag: OCM Verlag
Erschienen: Dezember 2010
ISBN: 978-3-942672-00-9
Seitenzahl: 193 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
In dem Buch laufen zwei Handlungen parallel. Der historische Handlungsstrang spielt um 1600 n. Chr., in dem die Magd Agnes und drei andere Frauen der Hexerei beschuldigt werden. Während sich zwei der Frauen durch den Freitod der Befragung entziehen, wird Agnes auf so brutale Weise "verhört", dass sie an den Folgen der Folter stirbt. Pastor Praeterius, der bei der Befragung zugegen ist, jedoch die grausame Vernehmung nicht verhindern kann, macht sich über sein Versagen große Vorwürfe, die ihn bis an sein Lebensende verfolgen. In diesen schlechten Zeiten werden Sündenböcke für ausbrechende Krankheiten oder schlechte Ernten gesucht und auch gefunden. Die "Hexenhysterie" schwappt über das Land und macht auch vor der Ehefrau von Pastor Praetorius nicht halt, die davon überzeugt ist, dass sie vom Geist der verstorben Magd Agnes verfolgt wird.
Der zweite Handlungsstrang widmet sich dem Leben von Regina Mohl in der heutigen Zeit, in deren Umfeld ebenfalls eigenartige Dinge geschehen. Als Regina ihre Fähigkeiten einige Zeit nicht anwendet, hat sie das Gefühl, dass sie ihre "Hexenkräfte" verloren hat. Sie wendet sich an die aktive Hexe Helga, die ihre schlummernden Fähigkeiten wecken soll. Die beiden lösen damit eine Kettenreaktion aus, mit der keine der beiden Hexen gerechnet hätten.


Stil und Sprache
Die Autorin hat beide Handlungsstränge deutlich voneinander abgegrenzt. Der Roman beginnt damit, dass Regina die Todesanzeige ihres Exfreundes Thomas Bergental liest und wechselt sich mit der zweiten Erzählung über das Leben und den Kampf von Pastor Praeterius gegen die Hexenverfolgung ab. Während Regina in der gegenwärtigen Zeit und in der Ich-Form erzählt, wurde der historische Handlungsstrang mit den Hauptpersonen, Praetorius und der Magd Agnes, in der 3. Person geschrieben. In diesem Teil wurde teils aus der Sicht des Pastors und teils aus Agnes Blickwinkel erzählt.

Die historische Handlung beginnt mit den Anfeindungen und dem Hexenverdacht gegen die Magd. Besonders der Hexenprozess gegen Agnes und ihr Tod durch die dabei eingesetzten Foltermethoden sind der Auslöser für die Gewissensqualen des Pastors, die er bis zum Ende seines Lebens durch Aufklärungsversuche zu sühnen versucht. Die Geschichte verläuft nahezu linear von Agnes Verhaftung bis zum Tod von Praetorius, nur unterbrochen von einer Rückblende in Agnes Kindheit. Die augenfällige Verbindung zwischen den beiden großen Handlungssträngen ist der Ort Kamen, und der Hass seiner Bewohner auf mögliche Hexen, der auch im "modernen" Teil der Geschichte spürbar ist. Hier wurde der geschichtliche Teil spannend und gut vorstellbar umgesetzt. Durch die gefühlsmäßige Vertrickung des Pastors und die daraus folgenden familiären und gesellschaftlichen Probleme ist dieser Handlungsstrang auch sehr gut nachvollziehbar.
Als zweite Geschichte wurde ein Blick in das Leben der modernen "Hexe" Regina Mohl gewählt. In der Ich-Form geschrieben und in der "modernen" Zeit angesiedelt, vergleicht die Autorin indirekt die Probleme und Wünsche der heutigen mit den damaligen "Hexen". Beide Handlungsstränge sind straff gehalten und spannend geschrieben, allerdings fehlt die Grundsatzaussage im modernen Teil des Romans.
Reginas Geschichte beginnt mit einer Rückblende, der eine weitere, tiefergehende Rückblende bis zu ihrem Liebhaber Thomas und ihrer Hexenfreundin Helga folgt. Hier mutet die Geschichte sehr biographisch an, was die Kurztexte unter den beigefügten Bildern am Beginn und am Ende des Romans und die Kurzvita von Regina Mohl in der Innenklappe des Buchumschlages ebenfalls annehmen lassen. Allerdings verläuft Reginas Geschichte in Form einer Schleife. Beginn und Ende des Handlungsstranges erzählt vom Tod von Reginas Ex-Geliebten Thomas. Die speziellen Zusammenhänge werden gegen Ende des Buches genauer berichtet, trotzdem ist der Schluss ziemlich abrupt. Zwar ist auch hier einiges an Spannung verpackt, leider ist es  jedoch nicht  gelungen die Prämisse bzw. Moral der Geschichte deutlich zu machen. Da dieser Erzählstrang außerdem große Ähnlichkeit mit dem Aufbau einer Biografie aufweist, lässt dieser den Leser am Ende des Buches etwas ratlos über die Auswirkung von Reginas Erlebnissen auf die Geschichte selbst und ihr eigenes Schicksal zurück.


Figuren
Regina Mohl entdeckt schon in ihrer Kindheit, dass sie anders ist als andere Kinder. Sie kann sich Dinge "wünschen". Wenn sie jemanden nicht mag schickt sie ihm „böse Gedanken“, sodass der Betreffende krank wird oder einen Unfall hat. Als sie glaubt, dass ihre Hexenkräfte versiegen, wendet sie sich an die moderne Hexe Helga, die ihr hilft, diese abermals zu erwecken. Doch Regina fühlt sich mit ihren Fähigkeiten bald überfordert und will nun, da ihre Kräfte wieder zur Verfügung stehen, die Verantwortung für ihre Handlungen nicht übernehmen. Helga mag Regina sehr und versucht ihr zu helfen. Sie recherchiert die Geschichte der Hexe Agnes nach und entdeckt Parallelen zu Reginas Leben. Helga übernimmt bis zur letzen Konsequenz die Beschützerrolle in Regina Leben.

Pastor Anton Praetorius ist ein Mann seiner Zeit, der sich mit dem Versuch, den verurteilten Hexen eine menschenwürdige Haft und einen fairen Prozess zu ermöglichen, selbst in höchste Gefahr bringt. Je entschiedener Praetorius allerdings gegen die Hexenprozesse wettert, umso stärker glaubt seine Frau an die Existenz von Hexen und ihr konsequenter Aberglaube macht ihm das Leben zusätzlich schwer.
Agnes wird mit besonderen Fähigkeiten geboren. Schon als kleines Kind ahnt sie oftmals Unheil voraus und kann mit ihrem Willen verschiedene Dinge geschehen lassen. Ihre Eltern versuchen sie zu schützen und verbieten ihr, ihre Fähigkeiten jemals einzusetzen. Zu ihrer eigenen Sicherheit muss Agnes von daheim fortgehen und bei fremden Menschen als Dienstmagd arbeiten. Trotzdem kann sie ihrem Schicksal nicht entgehen. Sie wird als Hexe beschimpft, verhaftet und stirbt an den Folgen der Folter.

Während man sich in die Figuren des mittelalterlichen Kamen gut hineinversetzen kann, da jeder aus vollster Überzeugung handelt und durch seinen (Aber-)Glauben sicher ist, dass er aus gutem Grund handelt, tut man sich mit den Motiven von Regina schwer. Sie wirkt recht egoistisch und selbstverliebt. Man bekommt bald den Eindruck, dass das Wichtigste für sie ausschließlich die Erfüllung ihrer Wünsche ist. Ganz im Gegensatz zu Helga, die Regina liebt und sie vor allem "Bösen" beschützen möchte. Dazu ist ihr jedes Mittel recht.


Aufmachung des Buches
Das Taschenbuch hat eine angenehme Größe und ist gut zu lesen. Am Titelbild sind Flammen zu sehen, die gut zum historischen Teil passen. Der Text auf der Rückseite des Buches ist ungewöhnlich lang. Er beschreibt sowohl den Inhalt, als auch die Motivation der Autorin, das Buch zu schreiben. Auf den Innenseiten des Einbandes entdeckt man die Kurzvitas von Pastor Anton Praetorius und Regina Mohl. Außerdem finden sich auch eine grob gezeichnete Karte von Kamen und den größeren Städten in der näheren Umgebung auf der Innenseite des Umschlags. Am Beginn und am Ende des Romans sind auch Bilder aus dem Ort Kamen eingefügt. Die kurzen Kapitel und die knappen Handlungsstränge sind übersichtlich und leicht lesbar.


Fazit
Die Hexen von Kamen ist ein sehr eigenwillig geschriebenes, durchaus spannendes Buch, das sich sehr nach dem persönlichen Geschmack der LeserInnen richtet. Man kann viel Spaß mit ihm haben, solange man es nicht hinterfragt. In zwei deutlich abgegrenzte Handlungen unterteilt, ist vor allem der historische Teil sehr gut geschrieben und unterhaltsam zu lesen. Der zweite Handlungsstrang ähnelt einer Biografie, die eine sehr kurze Lebensspanne der Hauptperson Regina Mohl in Form von Rückblenden zeigt. Durch die etwas egoistisch und entscheidungsschwach dargestellte Hauptperson ist es nicht ganz einfach, sich in Regina einzufühlen. Auch eine sogenannte "Moral von der Geschichte" konnte ich hier - im Gegensatz zum historischen Teil - leider nicht finden.


3 5 Sterne


Hinweise
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