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Marica Bodrožic wurde 1973 in Dalmatien (im heutigen Kroatien), geboren. Nach einer Buchhändlerlehre holte sie ihr Abitur auf dem Abendgymnasium nach und studierte Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Slawistik in Frankfurt am Main. Für ihre Gedichte, Romane und Essays erhielt sie zahlreiche Preise und Stipendien. 2007 drehte sie zusammen mit der Filmemacherin Katja Gasser ihren ersten Dokumentarfilm „Das Herzgemälde der Erinnerung. Eine Reise durch mein Kroatien“. Marica Bodrožic lebt heute als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin.


Ihr neuer Roman „Das Gedächtnis der Libellen“ ist eine Beschreibung einer unglücklichen Liebe. Die Protagonistin Nadeshda, eine selbstständige und emanzipierte Frau, verliebt sich in einen verheirateten Mann. Dennoch ist der Roman mehr als nur eine Liebesgeschichte. Es ist ein psychologisches Porträt einer Frau mit kroatischen Wurzeln. Sie scheint eine Suchende zu sein, verloren in der Welt, scheinbar heimatlos. Verkörpert Nadeshda auch das Schicksal von Immigranten?

Mein Roman ist auf den ersten Blick dieser unglücklichen Liebesgeschichte gewidmet, auf den zweiten ist es aber ein Buch über Freundschaft und Selbstwerdung, ein innerer Monolog über das eigene Sein, über Liebe, Verlust, Schmerz und Schönheit. Neben dem Geliebten Ilja gibt es eine Freundin – Arjeta, die in Nadeshdas Leben letztlich viel wichtiger ist als der Mann, obwohl sich alles um ihn dreht. Er ist wie ein unglaublich brachialer Vulkanausbruch in ihrem Leben, aber er verbrennt eben auch alles, was da ist, bis sie begreift, dass sie sich nur im Abschiednehmen retten kann. Ilja ist übrigens nicht dieser Vulkan, weil er verheiratet ist, sondern weil er feige ist und sich nicht für ein anderes Leben entscheiden kann. Er liebt Nadeshda. Und er entscheidet sich für die Sicherheit. Das machen meines Wissens nicht nur Immigranten, das machen alle Menschen, egal, wo sie leben. Übrigens sind die Wurzeln dieser Figuren nicht kroatisch, sie sind jüdisch, jugoslawisch und damit europäisch. Sie verweisen auch auf etwas, das wir gerade in Deutschland schwer diskutieren – in Jugoslawien war die mehrschichtige Identität etwas Normales. Leider hat der Krieg diese Normalität zerstört. Auch davon handelt dieses Buch, es erzählt, wie schwer es ist, eine alte Welt loszulassen. Und auch das erleben nicht nur Ex-Jugoslawen, das haben alle Menschen zu allen Zeiten überall aufs Schmerzlichste erleben müssen. Das gehört offenbar leider zu unserer Existenz. Mich hat es interessiert, diese drei Weltengeher in ein Buch zu fassen und sie hier leben zu lassen, in diesem Buch, aber auch in diesem Europa, das uns alle prägt und verändert. Insofern verkörpert Nadeshda zwar das Schicksal einer Auswanderin, aber im Buch heißt es an einer Stelle: Jeder von uns, der in seiner Stadt nicht gegrüßt wird, der lebt im Exil. Das heißt, wenn uns Menschen nicht kennen, wenn uns niemand grüßt und keiner uns liebt, sind wir fremd. Das ist das, worüber ich schreiben wollte – über die Liebe und über unsere Gesichter, über das, was uns zu Personen macht.


Die vielen Assoziationen und Reflexionen Nadeshdas sind manchmal verwirrend. Zudem lässt der Roman eine Menge Spielraum für eigene Gedanken. Das ist sehr ungewöhnlich. Inwieweit vertrauen Sie Ihrem Leser, dass er der Geschichte folgen kann?

Das erste Mal, als das ungewöhnlich war, war vielleicht als James Joyce seinen „Ulysses“ geschrieben hat. Dass der Roman Gedanken für den inneren Raum des Lesers lässt, verbuche ich mal als Kompliment. Ich setze immer auf die Intelligenz und auf die Wachheit des Lesers, weil ich ihn von nichts überzeugen will. Ich halte auch nicht immer etwas von Logik, manchmal ist Logik genau das, was das Leben am liebsten aushebelt, und im Schreiben ist es viel interessanter, ein anderes Netzwerk zu erstellen, auf das enigmatische Archiv eines jeden Sehnsüchtigen zu setzen. Ich habe immer von Menschen gelernt, die mir Rätsel aufgegeben haben, auch in der Literatur ging es mir so, beim Lesen. Manchmal habe ich Jahre später etwas aus einem Buch begriffen und es hat mich als Frage begleitet, meinen Blick verändert, mich aufgefordert, genau zu sehen, genau zu lesen, genau zu sein –  denn das ist die Folge. Deshalb macht Lesen klug.


Obwohl der Roman doch einige Parallelen zu Ihrem eigenen Leben aufweist, betonen Sie, es sei Ihr erster Roman, der sich vom Autobiografischen abhebt. Dauerte die Arbeit an Ihrem Roman fünf Jahre, um sich selbst von dem Roman zu lösen?

Warum wollen eigentlich alle immer das Leben im Roman finden und nicht den Roman im Leben? Natürlich ist meine Biographie ein Echoraum in diesem Buch, aber ich spiele in allen meinen Büchern mit dem Ich, das ist ein faszinierendes Spiel, aber es ist auch immer Erfindung, Konstruktion, manchmal steht ein Ich für die bestmögliche Lüge, für etwas, das man im Leben selbst nie tun würde. Das, was mich wirklich bekümmert, ist dass Literatur so degradiert wird. Als würde man sich so einem banalen Tun über fünf Jahre widmen müssen – Schreiben ist nicht Leben, aber eben eine Erfindung. Ich habe ja keinen Vater, der Kindermörder ist, vielleicht bin ich ja der Ilja und nicht die Nadeshda! Aber verheiratet bin ich auch nicht! Ich habe einmal ohne Absicht ein Gespräch in einem Flugzeug mitgehört, da hat ein Mann zu einer Frau gesagt, ABER ICH BIN MADAME BOVARY. Das ist doch das Interessante: was Menschen erleben, wie sie ihre vielen inneren Facetten in ihrem Kopf und in ihren Herzen unterbringen. Ich schreibe nicht, um mich zu verstecken, sondern um etwas zu erfahren, was ich vorher nicht wusste und niemals vorher war und es vielleicht nach dem Buch auch nie wieder sein werde, nur in diesem absurden kleinen Moment, wo das geschriebene Ich die Fiktion meines anderen Ichs streift.


In Ihrem Essayband „Sterne erben, Sterne färben“ beschreiben Sie Ihren Weg zur deutschen Sprache. Viele behaupten, die deutsche Sprache sei rau und kantig, unförmig. Sie beweisen in Ihren Texten das Gegenteil. Sie spielen mit der Sprache, geben ihr ein „Herz“ und eine „Seele“. Wäre dieses Spielen auch in Ihrer Muttersprache möglich?

Nein, das wäre nicht möglich, sonst würde ich es ja machen.


Schlägt sich in Ihrer Sprache die slawische Seele nieder?

Was ist die slawische Seele? Ich bin vorsichtig mit Exotismen dieser Art. Ich habe mal ein paar Wochen in Sibirien verbracht, nichts war mir fremder als das Slawische – das ist wie fast alles in unserem Leben: eine Fiktion. Was wäre die deutsche Seele? Ich spreche und widme mich lieber Kulturen, ja, die Kultur, die Erfahrungsräume, die spielt ganz sicher eine Rolle für mich. Aber Slowenien ist anders als Bulgarien, Russland anders als Serbien, Polen anders als die Slowakei – zum Glück!, denn so ist das Leben interessant.


Obwohl Sie nur neun Jahre in Dalmatien gelebt haben, fühlen Sie sich eher als Kroatin denn als Deutsche. Sind die ersten Lebensjahre die wichtigsten im Leben, um eine eigene Identität zu konstituieren?

Wer behauptet das? Ich fühle mich als Mensch, mit einer Adresse in Berlin. Ich bin deutsche Staatsbürgerin und war ein jugoslawisches Kind. Das ist alles. Und recht besehen habe ich mich noch nie als Kroatin gefühlt. Was aber wichtig ist und was Sie sicher meinen, das ist meine im Süden Kroatiens verbrachte Kindheit. Jeder hat eine Kindheit. Und jeder behält sie, obwohl sie vergeht. Das geht allen Menschen so. Und jeder Mensch wird von dieser Zeit geprägt. Das bleibt für immer. Da ist nichts Exotisches dran. Manchmal ist es das Gegenteil von aufregend.


Vergleichen Sie manchmal Ihre zwei Leben?

Ich habe nur ein Leben.


In einem Interview erwähnten Sie, in Ihrer ersten Sprache wären sie vielleicht Sängerin geworden. Worin unterscheidet sich die Muttersprache von einer Sprache, die man zwar perfekt beherrscht, aber dennoch von außen erlernen musste, ohne die kulturelle Innenwelt?

Ich habe das Deutsche als Kind gelernt. Ich bin jetzt ein Teil dieser Sprache. Diesen literarisch umpflügten habe ich in „Sterne erben, Sterne färben“ beschrieben. Kinder lernen anders als Erwachsene, sie sind offener, angstloser, freier, sie sprechen einfach, weil sie intuitiv verstehen. Später wird es schwieriger.


Gibt es einen deutschen Autor, den Sie immer wieder gerne lesen?

Ja, unzählige. Natürlich.


Sie sagten einmal, sie glauben, Ihre Lektoren haben Angst vor Ihrer Schreibe. Wie rebellisch gehen Sie mit der deutschen Sprache um?

Ach das war eine Art Witz. Ich bin keine Rebellin, ich bin eine Liebende.


Sie sagen, Sie achten die Literaturkritiker. Aber ist diese Kritik nicht auch nur eine subjektive Meinung, entstanden aus der eigenen kulturellen Herkunft? Kann ein deutscher Kritiker deutscher Herkunft eine deutsche Schriftstellerin kroatischer Herkunft interpretieren und Kritik üben?

Was weiß ich, wo ich das mal gesagt habe. Ich achte alle Menschen. Alles ist subjektiv, gerade die Literaturkritik! Ich achte das Subjektive, auch wenn’s mir nicht passt, ich bin ja auch ein Einzelwesen.


Sie selbst übersetzen aus dem Englischen und Kroatischen. Die Genauigkeit einer Übersetzung ist neben der Technik auch eine Ideologie und birgt die Gefahr einer Veruntreuung des Originals. Eine ideale Übersetzung scheint eine flüchtige Schimäre zu sein. Vladimir Nabokov war einer der vehementen Verfechter einer minimalen Adaption der Übersetzung, dementsprechend würden alle Spuren des Originals beibehalten und eventuell das Verständnis leiden. Welche Freiheiten räumen Sie sich als Übersetzerin ein? Würden Sie Ihre Werke lieber selbst übersetzen, um Syntax und Symbolik beizubehalten?

Genauigkeit ist alles! Aber manchmal muss man kulturell übersetzen, es reicht nicht, die Syntax zu transferieren. Alles ist Chimäre. Dennoch hilft einem Genauigkeit, beim Übersetzen genauso wie beim Schreiben, übrigens gilt das auch in der Liebe. Je genauer und achtsamer wird sind, desto schöner wird alles.


Liebe Frau Bodrozic, herzlichen Dank für das Interview.

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