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Kategorie: Interviews mit Übersetzern

Linda_Budinger_klein


Hallo Frau Budinger. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben.
Sie sind Autorin, Übersetzerin und Lektorin. Alle drei Tätigkeiten sind sicher sehr interessant und spannend, in diesem Interview möchte ich jedoch vor allem auf das Übersetzen eingehen. Was hat Sie dazu gebracht Übersetzerin zu werden?

Dazu gekommen bin ich über Verlagskontakte, und weil ich einen Übersetzer kannte beziehungsweise mit ihm zusammenarbeitete. Das hat sich also mehr zufällig ergeben.


Welche Voraussetzungen muss man als Übersetzer mitbringen? Gibt es eine vorgeschriebene Ausbildung z.B. ein Fremdsprachenstudium? Haben auch QuereinsteigerInnen eine Chance? Kann man von der Übersetzung von Romanen leben, oder braucht man eine Nebenbeschäftigung?

Literarischer Übersetzer ist ein freier Beruf, und anders als z.B. beim Dolmetscher oder Diplomübersetzer gibt es dafür nicht unbedingt eine geregelte Ausbildung. Es lässt sich auf die einfache Formel bringen: Wer kann, der kann.
Entsprechende Fremdsprachenkenntnisse sind natürlich erforderlich, genauso wichtig ist aber der kreative und stilsichere Ausdruck in der Zielsprache. Das macht diese Beschäftigung ideal für Quereinsteiger, und tatsächlich betätigen sich viele Autoren auch als Übersetzer. Ob man davon leben kann, eine Nebenbeschäftigung braucht oder das Übersetzen nebenbei erledigt, hängt natürlich von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel dem jeweiligen Auftragsvolumen und den Vorlieben.


Was muss man bei Übersetzungen grundsätzlich beachten?

Grundsätzlich sollte sich eine Übersetzung lesen wie ein muttersprachlicher Roman. Das macht es nötig, die Geschichte quasi noch einmal neu mit den Möglichkeiten der Zielsprache (bei mir Deutsch) zu erzählen.


Luther soll mal gesagt haben Wörter seien wie Kinder, genauso anspruchsvoll. Ich stelle mir vor, dass es nicht einfach ist, immer die passenden Worte parat zu haben. Wie gehen Sie damit um? Sollte man besser wortwörtlich übersetzen oder eher dem Sinn nach? Was tut man, wenn ein Wort in der Originalsprache doppeldeutig ist und es im Deutschen keine Entsprechung gibt, desgleichen bei Sprichwörtern? Darf man sich da Freiheiten herausnehmen?

Im Grunde ist jeder Schreibvorgang eine Übersetzung, nämlich die Übersetzung einer abstrakten Idee oder eines Bildes in Worte, und diese Worte kommen mir beim Schreiben. Bei der Literaturübersetzung läuft es genauso. Erfassen und Ausdrücken gehen da Hand in Hand.
Vermutlich gibt es so viele Methoden wie Übersetzer, und ich kann natürlich nur über meine Vorgehensweise reden. Den ersten Lesedurchgang nutze ich, um mich mit dem Text komplett vertraut zu machen, Worte nachzuschlagen, ein Thema zu vertiefen. Im Idealfall höre ich beim englischen Lesen der Satzteile gleich die deutsche Übersetzung im Hinterkopf und brauche das nur noch stimmig zusammenzufügen. Während der ersten Fassung einer Übersetzung schreibe ich oft noch Varianten oder Alternativen in Klammern dazu und wäge im folgenden Arbeitsschritt ab, was der Intention am besten dient, was am besten passt oder klingt. Im Grunde ist das dem eigenen Schreiben wirklich sehr ähnlich - nur, dass das Gerüst bereits steht.
Feilen und Polieren des fertigen Texts folgt dann abgestuft in weiteren Arbeitsschritten, bis schließlich nur noch ein reiner Korrekturdurchgang meinerseits erfolgt, ehe das Manuskript zum Verlag geht.
In der literarischen Übersetzung wird gemeinhin sinngemäß übertragen, zu wörtlich funktioniert einfach nicht gut, weil sich Inhalte nie eins zu eins übertragen lassen. Übersetzen ist gelebter Kompromiss, denn ein Sprichwort, eine Metapher oder auch Humor verlangen nach einem passenden Gegenstück in der anderen Sprache, nicht nach erklärenden Passagen. Das Schlimmste, was man tun kann, ist, ein halbgares Element hineinzusetzen in der Hoffnung, dass der Leser den Anglizismus versteht, oder sich seinen Teil denkt. Besser ist ein sauberer bedeutungsgleicher oder möglichst ähnlicher Ersatz.
Es gibt Problemfälle, wo man nicht mehr übersetzen, sondern nur noch Bedeutung übertragen kann. Größere Änderungen markiere ich da eigens, (auch Korrekturen zum Original) um den Lektor/Bearbeiter darauf hinzuweisen, dass es kein Fehler, sondern Absicht ist, und erläutere in Fußnoten, wieso ich das gemacht habe, z.B. wenn sich der Sinn einer Änderung erst weiter hinten erschließt.


In einigen Büchern werden die Eigennamen des Originals beibehalten, in anderen nicht. Wer bestimmt das? Der Autor, der Übersetzer oder der Verlag?

Bei einzelnen Romanen entscheidet i.d.R. der Übersetzer, manchmal in Absprache mit dem Bearbeiter beziehungsweise Lektor. Hierbei sind die »sprechenden Namen« besonders zu erwähnen, wenn also über den Namen zusätzliche Informationen zur Person etc. transportiert werden. Es hängt auch vom Kontext ab, bei Indianer- oder vergleichbaren Charakternamen ist es üblicher als bei Allerweltsnamen wie ‚Fisher‘. Innerhalb einer Reihe muss man sich natürlich an die Vorgängerbände anpassen, damit die Kontinuität der Geschichte erhalten bleibt.


Sie übersetzen historische Krimis - der Fachjargon ist sicher nicht immer leicht zu übersetzen. Erhalten Sie hier Unterstützung vom Verlag oder müssen Sie selbst recherchieren? Sollte man sich mit dem betreffenden Zeitalter auskennen, oder ist das eher hinderlich?

Die Recherche gehört eigentlich zur Übersetzung dazu und wird erwartet. Ich persönlich finde es sehr spannend, in andere Zeiten einzutauchen, und je mehr man drüber weiß und in Erfahrung bringen kann, desto besser. Wenn man sich für die tatsächliche Historie interessiert, darf man auch kleinere Fehler des Autors ausbügeln, solange die innere Logik und der Inhalt des Werkes davon nicht betroffen sind. Aber solche Änderungen werden eigentlich immer mit dem Lektorat abgesprochen.


Kann oder sollte man Kontakt zum Autor des Originals aufnehmen, bevor man anfängt oder falls es Schwierigkeiten gibt?

Es kommt darauf an, wie es sich ergibt und ob der Autor Interesse hat. Ich kenne Übersetzer, die Fragelisten an den Originalautor schicken und rege diskutieren. Das ist aber vermutlich umso angebrachter, je literarischer das Werk ist, wenn es darauf ankommt, ob und welche Nuancen erhalten bleiben sollen.
Bei Unterhaltungsliteratur ist es aber, soweit ich weiß, unüblich. Um kompetent mitzureden, müsste der Autor ja die Zielsprache angemessen beherrschen, und das ist bei Deutsch eher selten der Fall. Tolkien, der bei der Carroux-Übersetzung des »Herrn der Ringe« auch das eine oder andere Wörtchen mitgeredet hat, war immerhin Sprachwissenschaftler und interessiert an germanischen Sprachen, so dass eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich war. So ein Glücksfall ist jedoch sehr selten.


Sie sind nicht nur Übersetzerin, sondern auch Autorin, Ist es förderlich wenn man selbst Autor ist, oder eher das Gegenteil, weil man dann den eigenen Stil einbringt? Außerdem müssen Sie sich bei Übersetzungen an einen vorgegeben Text halten, schränkt das nicht zu sehr ein?

Ich fühle mich als Autorin bei der Übersetzertätigkeit nicht eingeschränkt, denn die Rahmenbedingungen sind ja von Anfang an klar. Es ist eben eine eigene Art des Erzählens: Man jongliert Worte, schwelgt in Formulierungen und wählt das passendste aus. Manchmal braucht es Knobelei, um schwierige Stellen zu erschließen und adäquat auszudrücken, und wenn man das Ergebnis eines runden Texts liest, ist das auch ein schönes Erfolgserlebnis.
Wobei der persönliche Stil eines Übersetzers bei aller Flexibilität immer ein bisschen durchschimmert. Das gehört ganz einfach dazu. Wichtig ist allerdings, dem Original treu zu bleiben, der Geschichte nichts aufzuzwingen, sondern nur die Leerstellen zu füllen, die durch die Übersetzung in ein anderes Sprachmodell unweigerlich auftreten.
Diese individuelle Note bedeutet auch, dass nicht jeder Übersetzer gleich gut zu jedem Werk/Autor passt und der Wechsel eines Stammübersetzers von der Leserschaft oft nicht gut aufgenommen wird.
 

Wie lange braucht man in der Regel für die Übersetzung eines durchschnittlichen Romans mit durchschnittlicher Seitenzahl? Von welchen Faktoren hängt das ab?

Das hängt ganz klar vom Schwierigkeitsgrad des Textes ab (und von der eigenen Übung natürlich). Ist der Text literarisch, arbeitet er auf mehreren Ebenen oder ist er locker / flockig runter erzählt. Das kann bei gleicher Seitenzahl einen Unterschied wie Tag und Nacht ausmachen. Humor ist wieder ein ganz eigenes Thema. Sprachspielereien und Mehrdeutigkeiten verlangen einfach mehr Gehirnschmalz als beispielsweise Situationskomik. Allerdings hat jeder Roman Passagen, die sich schneller, und welche, die sich langsamer bearbeiten lassen. Stimmungsvolle Beschreibungen oder straffe Action-Szenen dauern in der Regel länger als Dialoge, die oft sehr intuitiv übersetzbar sind. Romane, die stark auf Fachbegriffe setzen oder eine Menge Recherche zum Lokalkolorit erfordern, sind allgemein auch langwieriger zu bearbeiten.


Wer liest Übersetzungen Korrektur, und muss dabei das Original mit der Übersetzung verglichen werden, oder nur darauf geachtet, ob der deutsche Text keine grammatikalischen sowie Rechtschreibfehler aufweist?

Die Reihenfolge sieht in Publikumsverlagen für gewöhnlich so aus: Der Übersetzer gibt den Text so gut und fehlerfrei wie möglich ab (und das ist relativ, da selten unbegrenzt Zeit zur Verfügung steht). Dieses Manuskript geht an den Bearbeiter (im Impressum oft unter ‚Textredaktion‘ oder ‚Lektorat‘ zu finden) der einerseits den deutschen Text liest und überprüft, aber auch die Originalfassung vorliegen hat, um in Zweifelsfällen nachzuschlagen.
Dann erfolgt der Satz und zuletzt geht der Text in die Korrektoratsphase. Die Prüfung der Druckfahnen übernimmt dann ein zweiter Bearbeiter, der Korrektor, der den Text nicht kennt und nur noch Rechtschreibfehler und ›Layout‹fehler anmerkt, damit daraus keine Druckfehler werden.


Kann man sich die Bücher aussuchen, oder "muss" man übersetzen was einem vom / von den Verlag/en angeboten wird ? Hat ein Schriftsteller einen "festen" Übersetzer oder kann das schon mal von Band zu Band wechseln?

Den Auftrag für eine Übersetzung erteilt der Lektor, der das Projekt im Verlag vertritt. Er ist der erste Ansprechpartner bei Problemen, und damit diese Probleme möglichst klein bleiben, sucht sich der Übersetzer seine Aufträge aus dem vorhandenen Angebot möglichst selbst aus, je nach Zeitrahmen etc. Wenn er nicht sogar gezielt für ein bestimmtes Projekt angesprochen wird oder den Autor bzw. die Reihe ohnehin betreut.
Innerhalb des Verlags bleibt ein Autor möglichst bei seinem Übersetzer, damit für den Leser gewissermaßen auch die Erzählstimme gleich bleibt. Bei Reihen ist das natürlich ganz besonders wichtig, wegen der Kontinuität.
Aber viele Übersetzer sind freiberuflich tätig. Sie können nicht unbedingt immer auf ein bestimmtes Projekt warten. Außerdem verschieben sich Abgabetermine der Autoren oder Verlagsplanungen, gelegentlich schlagen auch Krankheiten zu, manchmal sollen alle drei Bücher einer Trilogie binnen weniger Wochen gleichzeitig auf den Markt ... etc. So kommt es bisweilen doch zum Wechsel. Allerdings kenne ich keinen Übersetzer, der gerne oder leichten Herzens einen solchen Auftrag mit einem ‚alten Bekannten’ ablehnt. Man ist halt mit den Eigenarten des Autors vertraut und fühlt sich auch ein wenig für ihn verantwortlich.


Wenn die Übersetzung keine Auftragsarbeit ist, wie läuft dann die eventuelle Veröffentlichung? Muss man sich da erst mühevoll einen Verlag suchen, oder sind die eher dankbar, wenn ihnen ein Buch schon fertig präsentiert wird?

Einfach eine Übersetzung anzufertigen und anzubieten ist schon alleine aufgrund der Rechtslage nicht anzuraten. Verlage müssen die Übersetzungslizenzen beim Originalverlag vorher einkaufen, damit sie eine Übersetzung überhaupt publizieren dürfen. Übersetzungen sind von daher eigentlich immer Auftragsarbeiten.
Ausnahme sind gemeinfreie Texte, deren Urheberrechte abgelaufen sind. Diese darf jeder als Übersetzung anbieten. Allerdings arbeiten Verlage am liebsten mit erprobten Profis zusammen. Ein unverlangtes Angebot zu prüfen, kostet Zeit und Geld. Man müsste schon großes Glück haben, um auf diese Weise eine Übersetzung zu verkaufen. Bei einer Bewerbung ein Probekapitel beizulegen, ist natürlich nie verkehrt ...
Man wird aber vermutlich eher bei kleineren Häusern und Nischenverlagen Erfolg haben, wenn man kompetent auftritt und die Verantwortlichen auf dieses und jenes fremdsprachige Juwel hinweist, das bisher unübersetzt ist.


Ich werde nun zum Schluss kommen, aber eine Sache liegt mir doch noch am Herzen: Eine gute Übersetzung ist, meiner Meinung nach, eine der Grundvoraussetzungen dafür, ob ein Buch auch in einer fremden Sprache Erfolg haben kann, aber ich bemerke immer öfter, dass Bücher sehr schnell und oft mit "schlampiger" Übersetzung auf den Markt geworfen werden. Ist das Desinteresse von Seiten der Verlage oder liegt es, wie so oft, am lieben Geld?

Gerade in der Belletristik herrscht ein ungeheurer Druck der Verlage untereinander, und der Faktor Geld spielt in der Wirtschaft natürlich immer hinein. Wenn sich überraschend ein Autor, ein Thema, eine Region gut verkauft, dann möchten gerne alle schnell mit am Tisch sitzen, oder besser gesagt im Buchladen vertreten sein.
Qualität jedoch hat ihren Preis und kostet Zeit, was heutzutage leider oft zu Gunsten des Hypes ins Hintertreffen gerät.
Andererseits sitzen auf allen Ebenen der Buchproduktion eben auch nur Menschen, denen gelegentlich Fehler unterlaufen und die das Beste aus dem gesteckten Rahmen machen müssen. Diesen Menschen sind Sprache und Bücher alles andere als gleichgültig.
Lektoren schauen nicht nur in ihre Bilanzen, sondern auch den Lesern ‚aufs Maul’. Nur wenn der Kunde seine Unzufriedenheit mit einem Produkt auch kommuniziert, kann an dieser Stellschraube ggf. nachjustiert werden. Ein Blog oder eine Leser-Community bieten sich dafür geradezu an. Und letztlich ist der Kunde König, der entscheidet, was ihm wieviel wert ist, und wieviel er für Qualität zu zahlen bereit ist.


Frau Budinger, ich bedanke mich sehr, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.