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Dirk Bernemanns neuestes Werk über Menschen mit Vergangenheit, die erkennen, dass sie auch Menschen mit Zukunft sein könnten ...

"Und ich dachte: ein Frühlingstag. Ja, ja, ja, ein Frühlingstag. Der Mai hat seine Mitte erreicht. Doch was bringt die Mitte eines Mais, wenn es so was wie Vergänglichkeit gibt, wenn man von der Mitte des Mais schon das Ende eines Novembers erkennen kann?"

 


Vogelstimmen 

Autor: Dirk Bernemann
Verlag: U Books
Erschienen: September 2010
ISBN: 978-3-86608-135-2
Seitenzahl: 281 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Dirk Bernemanns neuestes Werk handelt von einer Person, der die Gewöhnlichkeit der Normalität, das sinnentleerte Leben eines regulären Arbeitnehmers ohne nennenswerte soziale Kontakte, zunehmend zu schaffen macht. Er führt ein sorgloses Leben und hat eigentlich alles, was man zum Leben braucht, doch ist die farblose Existenz, die er da führt, es überhaupt wert gelebt zu werden? Die Mutter liegt mit Alzheimer im Endstadium in einem Pflegeheim, Kontakt zum Vater besteht praktisch gar nicht mehr und der ewig gleiche Arbeitsalltag lässt ihn mehr und mehr an seinem gesamten Dasein zweifeln. Ein Ausbruch aus dem System scheint unmöglich, doch die Freundschaft mit seinem Nachbarn Kai hilft ihm hin und wieder für einen Augenblick der Realität zu entfliehen ...

Ein großartiges Werk über die Sinnlosigkeit unseres täglichen Daseins, den Sinn des Lebens und bissiger Gesellschaftskritik. Dabei wartet Bernemann aber mit einer sprachlichen Kompetenz auf, die ihresgleichen sucht.


Stil und Sprache

Die Satzkonstrukte, die Bernemann erschafft, sind von großer Ausdruckskraft. Seine bildhafte Sprache ist von erlesener Einzigartigkeit, eine wahre Fundgrube voller feinsinniger Wortspiele. Das Lesen dieser Zeilen ist ein sehr intensives, den Geist in Beschlag nehmendes Erlebnis, das keinerlei Raum für Ablenkungen zulässt. Sofort verliert man den roten Faden, und die eh schon recht schwer erfassbaren Zusammenhänge verschwinden im Nichts. Dieser rote Faden ist eh kaum greifbar, denn immer wieder verliert sich Bernemann in den kunstvollen Satzgebilden - und dabei die eigentliche Botschaft völlig aus den Augen. Doch diese Ausschweifungen sind gleichzeitig wieder Teil der Botschaft, die uns Bernemann nahebringen möchte. Das gesamte Werk scheint nur als Gerüst zu dienen, dessen einziger Daseinszweck es ist, das fragile Kunstwerk aus gehaltvollen Wörtern am Zusammenbruch zu hindern. Der Autor schmeißt dabei mit reichlich Fremdwörtern um sich, welche dergestalt sind, dass man deren Sinn in einem handelsüblichen Fremdwörterlexikon vergeblich nachschlägt. Der Intellekt des Lesers ist also maximal gefordert und eine gewisse Bildung unerlässlich. Dies schränkt den Kreis der etwaigen Leserschaft immens ein, was besonders schade ist, geht es doch um das Leben eines sehr gewöhnlichen und durchschnittlichen Menschen. Ein solcher wird jedoch mit der Lektüre von "Vogelstimmen" völlig überfordert sein.

Es ist ein seltener Genuss, die kunstvollen Gebilde der deutschen Sprache auf sich einwirken zu lassen. Doch konsumiert man zu viel auf einmal, so fühlt sich das Gehirn wie eine Wurstpelle an, in die mit großer Geschwindigkeit das Wurstbrät gepresst wird, um am Ende keinen Raum mehr übrig zu lassen, um geistig zu erfassen, was die Augen gerade auf der Oberfläche der Papierseiten wahrnehmen. Die Bildhaftigkeit, mit der Bernemann sich ausdrückt, ist gigantisch - hier ein kleines Beispiel: "Das Leben ist kein Theaterstück, für das es Rezensionen gibt. Wäre es so, dann wäre der Dramaturg meines Lebens ein misanthropischer Pfandflaschensammler, nach toten und abgestandenem Alkohol riechend, der sich nur zum Spaß mein Leben ausgedacht hat." Ein willkürlich ausgesuchtes Exempel, das sehr gut zeigt, mit welcher Finesse hier zu Werke gegangen wird. 


Figuren

Da "Vogelstimmen" eigentlich keinen Plot hat bzw. dieser völlig nebensächlich ist, fällt es schwer, über die handelnden Figuren zu berichten. Die Emotionen und Gefühle, die zum Ausdruck gebracht werden, könnten greifbarer und echter nicht sein, schließlich geht es genau darum. Nahezu alles dreht sich um die Gedankenwelt und die geistige Anschauungsebene des Protagonisten. Alles setzt sich damit auseinander wie er denkt, was er über die jeweilige Begebenheit denkt und ob er eventuelle Erinnerung an vergangene Begebenheiten besitzt, die das jeweilige Ereignis in ihm weckt. Diese Erinnerungen werden dann sehr ausführlich aufgearbeitet, teilweise ohne an der vorher stehen gebliebenen Stelle fortzufahren. Die Nebenfiguren beschränken sich auf die wenigen Spuren und Eindrücke, die sie in seinem Dasein hinterlassen. 


Aufmachung des Buches
Das Buchcover des solide gebundenen Buches ist eine Mischung aus subtiler Ästhetik und obszöner Provokation. Das halbvermoderte Gerippe eines Vogel, grau und fahl, ist angetan mit Schwingen aus rosa Fliederblüten, vereint zu einer grotesken Vollkommenheit. 


Fazit

"Vogelstimmen" ist ein sehr emotionales Buch. Die Wucht der Gefühle ist zum Teil extrem eindringlich und die lebendige, sehr bildhafte Sprache drängt mit großer Kraft ins Gehirn des Lesers. Literatur ohne Unterhaltungswert, jedoch mit einem enormen Sättigungsvermögen ausgestattet, welches selbst den Hunger einer ganzen Elfantenherde zu stillen vermag.


4,5_Sterne


Hinweise
Rezension von Thomas Lang
Herzlichen Dank an den U Books Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.


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