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„Genau an dem Punkt, an dem die Ärzte mich aufgegeben hatten und ich sie, als es so schien, als wäre ich zu lebenslangen chronischen Schmerzen verurteilt, schlug mir jemand einen bizarren Ausweg vor: Stillsitzen, hieß es, und atmen.“ Tim Parks

„In unserer von billigen Selbstenthüllungen und Quacksalber-Ratgebern dominierten Welt ist Die Kunst stillzusitzen das einzig Wahre: Ein Werk echter Tröstung, das einen Weg aus dem dunklen Wald der mittleren Jahre weist, in den wir alle, früher oder später, unwiderruflich eintreten werden.“ Will Self

„Ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen.“ David Lodge


 

Originaltitel: Teach us to sitt still. A sceptic's search for health and healing
Autor: Tim Parks
Übersetzer: Ulrike Becker
Verlag: Kunstmann
Erschienen: 2010
ISBN: 9-783888-976803
Seitenzahl: 400 Seiten

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Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Bereits mit Mitte vierzig fühlte der bekannte Romanautor und Essayist Tim Parks sich unwohl. Mit der Zeit verschlimmerten sich seine Beschwerden zusehends. Er litt unter starken chronischen Schmerzen im Unterleib, erlebte eine Odyssee, die ihn von einem Arzt zum nächsten (alles Spezialisten) führte – und schließlich in beiderseitiger Ratlosigkeit endete. Parks Werte waren alle vollkommen in Ordnung, seine Organe „gesund“ - was war los? In Indien (Parks sollte dort einen Vortrag halten) lässt sich der Skeptiker Parks von einem Ayurveda-Arzt beraten und beginnt langsam damit, sich Gedanken über die Zusammenhänge zwischen Körper und Geist zu machen. Zurück in Italien, wo der gebürtige Brite bereits seit 30 Jahren lebt und arbeitet, entschließt er sich kurzfristig gegen die Prostata-Operation, die ihm empfohlen wurde. Er bestellt sich einen Ratgeber aus den USA – ein Buch mit dem Titel „Kopfschmerzen im Becken“ - und beginnt zu lesen. Parks erkennt, dass unglaublich viele Menschen (Männer wie Frauen) unter Beckenschmerzen (also Unterleibsschmerzen) leiden und probiert die beschriebene Methode aus. Mit Hilfe der „paradoxen Entspannung“ erzielt er erste Erfolge. Schließlich beginnt er noch mit Shiatsu-Massagen und sein Therapeut empfiehlt ihm Meditation (um gerade stehen und gehen zu lernen). Parks nimmt an verschiedenen mehrtägigen Meditationsseminaren teil – und erlebt zahlreiche Veränderungen. Sein Gesundheitszustand verändert sich – die Scherzen verschwinden und auch die nächtliche „Pinkelei“ geht zurück. Der Autor beginnt, seine Krankheit als Glücksfall zu betrachten. Er findet eine Menge über sich selbst und über unsere Kultur, eine Kultur des (geschriebenen) Wortes, heraus.

Tim Parks hat hier eine „Krankengeschichte“ mit Happy End geschrieben. Er beschreibt seinen Leidensweg – und schließlich seine Genesung. Interessant fand ich v.a. den zweiten Teil, in den Parks viele interessante Überlegungen einbringt, die einen dazu anregen, über unsere Kultur und unseren Alltag nachzudenken. Zu was befähigt uns die Sprache? Aber welche „Nachteile“ bringt sie auch mit sich? Das ist ungeheuer spannend!
Parks Buch ist sehr persönlich (wenn er seine Beschwerden, die Untersuchungsmethoden usw. explizit beschreibt, bricht er damit einige Tabus). Es ist zugleich humorvoll und nachdenklich stimmend. Oft lässt er Zitate von bekannten Schriftstellern, wie z.B. Beckett oder Hardy, einfließen, die zeigen, welche Rolle Krankheit für Autoren gespielt hat und immer noch spielt.
Da das Buch so persönlich ist, ist es sehr gut verständlich. Parks humorvolle und offene Art, mit seinem heiklen Problem umzugehen, wirkt einfach sympathisch.

Das Buch eignet sich für alle Menschen, die mal etwas über Meditation erfahren möchten – vor allem auch Skeptiker (wie Parks einst einer war). Man sollte sich allerdings darauf gefasst machen, dass Parks seine Probleme bisweilen sehr explizit schildert.


Aufmachung des Buches
Das Buch ist fest gebunden und mit einem Schutzumschlag versehen. Darauf ist ein Mann zu sehen, der im Schneidersitz meditiert, während schemenhaft eine Frau und ein Mann durch's Bild eilen. Hier wird schon sehr schön auf den Gegensatz zwischen dem "Alltagstrott" und der Ruheinsel Meditation verdeutlicht.
In einer Vorbemerkung stellt Tim Parks gleich am Anfang klar, dass ihm Bilder wichtig sind und ihn während der Zeit seiner Erkrankung und Genesung begleitet haben: „Es begann mit meinem Bedürfnis nach Klarheit, dem Wunsch, meine körperlichen Beschwerden in einer Abbildung wiederzufinden, aber allmählich schien die Betrachtung von Bildern aller Art – Illustrationen, Fotos, Gemälden – mir Erleichterung von den sprachgesteuerten Ängsten und Sorgen in meinem Körper zu verschaffen.“Man stößt also immer wieder auf Bilder, die den Autor beschäftigt haben – kleine schwarz-weiße Illustrationen (z.B. von den urologischen Untersuchungsgeräten), Gemälde (z.B. Velazquez' „Wasserverkäufer“) oder Fotos (etwa Aussichten aus dem Fenster). Diese kleinen schwarz-weißen Abbildungen helfen dem Leser dabei das zu verstehen, was Parks in seinen Texten beschreibt. Ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte!


Fazit
Ich konnte „Die Kunst stillzusitzen“ kaum zur Seite legen. Genau einen Tag habe ich für die 363 Seiten gebraucht. Was macht dieses Buch von Tim Parks zu so etwas Besonderem? Ist es der Tabubruch oder die persönliche Art des Erzählens? Man kann es vielleicht nicht genau sagen. Auf alle Fälle ist das Buch ein Lektüreerlebnis, das Lust macht, sich selbst hinzusetzen und zu meditieren.



Hinweise
Rezension von Sigrid Grün
Herzlichen Dank an den Kunstmann-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.


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